Die Sehnsucht, aus ihrem überregulierten Leben zumindest auf Zeit auszubrechen, lässt immer mehr Menschen ins Gebirge gehen. Des drohen aber auch Gefahren: Altschneefelder sind an heißen Tagen ein willkommener Kontrast – aber auch eine häufige Unfallursache.

foto: thomas neuhold

Auch wenn es der Märzwinter der vergangenen Tage nicht vermuten lässt: Es kann schnell gehen mit den Temperaturen –und auf einmal steht die Outdoorsommersaison vor der Tür. Zweifelsfrei wird der Trend zum Aufenthalt im Freien und damit auch in der heimischen Bergwelt anhalten, übrigens völlig unabhängig von irgendwelchen Corona-Maßnahmen. Die Zahlen der alpinen Vereine belegen das deutlich: Sie kommen in Österreich inzwischen auf weit über 800.000 Mitglieder.

Warum Outdoor boomt, warum vor allem die Berge seit einigen Jahren trendy sind, hat der Psychologe Ulrich Aufmuth in seinem Standardwerk "Psychologie des Bergsteigens" schon vor Jahren versucht zu ergründen. Seine bis heute gültigen Erklärungen beginnen beim sportlichen Leistungsprinzip, gehen über die Suche nach Selbstbestimmtheit und das Naturerlebnis bis hin zur Ersatzhandlung für Defizite im Alltags- und Berufsleben wie den Mangel an elementaren natürlichen Erlebnismöglichkeiten. Aktuell tragen dann wohl auch diverse Reisebeschränkungen ihren Teil zur Flucht in die Berge bei.

"Unverantwortlich und leichtsinnig"

Sicher ist auch, dass mit Einsetzen der Bergwandersaison und nach den ersten Bergrettungseinsätzen aus Facebook und Co wieder der eine oder andere Shitstorm losbrechen wird; das Ziel sind meist die "unverantwortlichen und leichtsinnigen" Unfallopfer selbst – eine oft stark verkürzte Darstellung des Unfallhergangs in den Krawallmedien heizt die Stimmung in der Bubble zusätzlich an.

Die Berge können den Mangel an elementaren natürlichen Erlebnismöglichkeiten im Alltag und im Berufsleben ausgleichen.
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Für einen differenzierteren Blick ist in Echokammern und im Boulevard naturgemäß kein Platz. Er würde freilich lohnen: Vergangenes Jahr etwa waren in Österreichs Bergen nur 261 Todesopfer zu beklagen. Das ist ein deutlicher Rückgang im Vergleich zum Jahr 2019, in dem 304 Personen auf dem Berg starben. Das Zehnjahresmittel liegt laut Kuratorium für Alpine Sicherheit bei 290 Toten pro Jahr. Allerdings wurden 2020 um rund 500 verletzte Personen mehr geborgen, es waren rund 7.500.

Noch weniger schlagzeilenträchtig sind die Detaildaten im Zehnjahresmittel: Mit etwas mehr als 100 Toten entfällt rund ein Drittel der Alpintoten hierzulande auf das Bergwandern, gefolgt von Pistenunfällen mit zwölf Prozent.

Gute Ausrüstung – wenig Wissen

Auch wenn Stolpern und Ausrutschen immer noch die häufigsten Unfallursachen beim Bergwandern sind, das Bild vom ungeschickten Halbschuhtouristen auf dem Berg stimmt trotzdem längst nicht mehr. Noch in den 1990er-Jahren schrieb das Nachrichtenmagazin Profil über die "rot-karierten Wanderschweine". Spricht man heute mit Bergrettern und -retterinnen über ihre Einsätze, dann kommen Worte wie "Flachlandindianer" oder "schlecht ausgerüstet" kaum noch vor.

Das Kuratorium für Alpine Sicherheit hält fest: "Alt und Jung sind bestens ausgerüstet: Hightech- und Ultralight-Ausrüstungsgegenstände sind der Renner, egal ob man einer Wandergruppe von Senioren oder einer Familie mit Kindern begegnet."

Auch Günter Karnutsch, Chef des Salzburger Bergführerverbands, thematisiert im STANDARD-Gespräch weniger die Ausrüstungsfrage, sondern mehr die Entfremdung von einfachen Naturregeln. Man könne oft nichts mehr voraussetzen, sagt Karnutsch: "Wenn’s kalt ist, kann Wasser frieren, und dann kann man auf Eis ausrutschen. Wenn’s unten regnet, kann’s oben schneien. Wenn der Wind geht, fühlt sich die Temperatur kälter an. Liegt Schnee, kann man die Markierungen nicht mehr sehen." Karnutsch stellt fürs Bergwandern nicht so sehr eine alpine Grundausbildung in den Vordergrund, er plädiert "für einfaches Nachdenken und Reflektieren" und eine exaktere Planung der Touren.

Wegzeiten

Dabei können schon die einfachsten Grundrechenarten die Erlebnisqualität einer Bergwanderung deutlich erhöhen. Will man nicht völlig erschöpft am Ziel ankommen, kann man relativ simpel die Wegdauer berechnen. Als Wegzeit gibt das Kuratorium für Alpine Sicherheit folgende Richtwerte an: 400 Höhenmeter pro Stunde im Anstieg plus vier Kilometer pro Stunde horizontale Distanz. Wobei für die Berechnung der Anstiegszeit dann die horizontale Zeit halbiert und mit der Höhenmeterzeit addiert wird. Für den Abstieg werden rund 500 Höhenmeter in der Stunde als Richtwert angegeben.

Gefahr aus dem Netz

Bei der Planung ist das Internet Segen und Fluch in einem: Zwar gibt es beispielsweise auf der AV-Seite in der Rubrik Bergwandern zehn gutgemachte Videotutorials zu dem Thema, gleichzeitig findet man im Netz auch viel Fragwürdiges.

Schwierig? Einfach? Im Netz findet sich nicht immer die richtige Antwort.
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Karnutsch warnt vor den zahllosen Internetforen: "Ich vermisse die Professionalität, da ist jeder ein Fachmann. Für den User ist es nahezu unmöglich, Qualität von oft auch gefährlichem Schund zu unterscheiden." Das gelte auch für die GPS-Tracks, die im Netz sonder Zahl zu finden sind. Auch auf den Seiten des Alpenvereins wie Alpenvereinaktiv oder Outdooraktiv würden von Privatpersonen Touren ins Netz gestellt: "Da findet man von tollen Beiträgen bis zu wahrlichem Dreck alles."

Wohin des Weges?

Im österreichischen Alpenraum setzt sich der gelbe Pfeil als Wegweiser immer mehr durch – inzwischen fast flächendeckend, aber mit regionalen Differenzierungen. Neben Richtung und Ziel benennt der Wegweiser Gehzeit, Wegnummer, den Wegerhalter und gibt mittels Piktogramm Zusatzinfos wie Einkehr- oder Übernachtungsmöglichkeit. Bei wichtigen Punkten beschreibt eine weiße Tafel den Standort genauer.

Die gelben Pfeile sind inzwischen Standard.
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Mittelschwierige Bergwege (oft steil mit kurzen versicherten Passagen, Trittsicherheit erforderlich) sind rot, schwierige Steige (schmal, steil, Absturzgefahr, längere versicherte Geh- und Kletterpassagen, Schwindelfreiheit) sind schwarz bezeichnet. Wichtig: Die Bewertung ist auf "normale" Verhältnisse ausgelegt. In vielen Bundesländern wie etwa in Salzburg sind einfache Tal- oder Alm wege mit einem blauen Punkt versehen. Alpine Routen werden mit einem schwarzen Dreieck gekennzeichnet, sie bleiben ausgebildeten Bergsteigern mit entsprechender Ausrüstung vorbehalten. (Thomas Neuhold, 27.3.2021)