Der Ausbau institutioneller Kinderbetreuung zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Job und Familie ist seit bald zwei Jahrzehnten ein Fixstern der europäischen Sozialpolitikziele. Beim EU-Gipfeltreffen in Barcelona im Jahr 2002 haben die Mitgliedsstaaten erstmals gemeinsame Ziele festgesetzt. Vor allem um die Situation von Frauen am Arbeitsmarkt zu verbessern, sollte bis 2010 für mindestens 90 Prozent der Kinder zwischen drei Jahren und dem Schulantrittsalter sowie für mindestens 33 Prozent der Kinder unter drei Jahren ein Kinderbetreuungsplatz zur Verfügung gestellt werden.

Und tatsächlich, wie in vielen anderen EU-Ländern, steigen die Kinderbetreuungsquoten in Österreich seit vielen Jahren kontinuierlich an. 1999 lag die Betreuungsquote in Österreich laut Statistik Austria noch bei rund 7 Prozent für 0- bis 2-Jährige und 76 Prozent für 3- bis 5-Jährige. Diese Quoten stiegen bis ins Jahr 2009 auf 16, beziehungsweise 89 Prozent an und liegen 2019, weitere zehn Jahre später bei 28 respektive 93 Prozent. Die Betreuungsquote für 0- bis 2-Jährige hat sich somit in den letzten zwanzig Jahren fast vervierfacht, während die schon damals vergleichsweise hohe Betreuungsquote für 3- bis 5-jährige Kinder um fast 15 Prozentpunkte angestiegen ist. Diese Zahlen lassen vermuten, dass der Zugang zu institutioneller Kinderbetreuung gegeben ist und die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben heute kein allzu großes Problem mehr darstellt.

Ganztags- oder Teilzeitbetreuung

Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Der Anstieg der Kinderbetreuungsquoten in Österreich geht nämlich größtenteils nicht auf Ganztags-, sondern lediglich auf Teilzeitbetreuung mit wenigen Stunden pro Woche zurück. Dies wird deutlich, wenn man die österreichische Entwicklung mit jener in anderen europäischen Ländern vergleicht.

Daten des europäischen statistischen Amts (eurostat) zeigen, dass EU-weit die Ganztagskinderbetreuungsquoten (mindestens 30 Stunden pro Woche) für 3- bis 5-Jährige in den letzten zehn Jahren um bis zu 38 Prozentpunkte angestiegen sind. In Österreich stieg diese Quote im selben Zeitraum lediglich um drei Prozentpunkte an.

Österreich hinkt bei der Ganztagsbetreuung anderen europäischen Staaten hinterher.
Foto: APA/dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Während Länder wie Portugal, Slowenien, Belgien und Dänemark im Jahr 2019 Quoten von weit über 80 Prozent aufweisen, liegen diese in Österreich bei nur 24 Prozent. Der Abstand zum EU-Durchschnitt ist damit stark angestiegen. Auch in Bezug auf die Betreuungsquoten der 0- bis 2-Jährigen kann man ähnliche Entwicklungen beobachten. Der Abstand Österreichs zum EU-Durchschnitt vergrößert sich. Während viele Länder starke Zuwächse in der Ganztagsbetreuung von Kleinkindern verzeichnen (von 16 auf 36 in Belgien, von 12 auf 47 in Luxemburg, von 27 auf 44 in Slowenien), bewegen sich die Anteile an Kleinkindern in institutioneller Betreuung von über 30 Wochenstunden in Österreich zwischen zwei und acht Prozent.

Diese Ergebnisse sind ernüchternd und lassen den Traum der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben jäh zerplatzen, denn aus der Praxis ist klar, Kinderbetreuung unter 30 Stunden ermöglicht keine volle Berufstätigkeit beider Eltern.

Die vielen Welten der österreichischen Kinderbetreuung

Ein weiteres Problem ist die Tatsache, dass das aktuelle Angebot von Ganztagskinderbetreuung in Österreich sehr stark durch regionale Unterschiede geprägt ist. Während in manchen Gemeinden die Betreuungsquoten bei weit über 40 Prozent liegen, gibt es in anderen Gemeinden gar keine institutionelle Möglichkeit für Ganztagskinderbetreuung.

Anteil der 0- bis 5-jährigen Kinder in institutioneller Ganztagskinderbetreuung.
Grafik: Eigene Darstellung auf Basis von Statistik Austria Daten

Gute Gründe?

Die spezifische Entwicklung der öffentlichen Kinderbetreuung in Österreich kann durch unterschiedliche Faktoren erklärt werden. Erstens zeigen viele internationale Studien, dass in Österreich immer noch ein vergleichsweise traditionelles Familienbild vorherrscht. So stimmen etwa in der aktuellen Welle des World Value Survey 46 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher der Aussage zu, dass "Vorschulkinder darunter leiden, wenn ihre Mutter berufstätig ist". In anderen Ländern sind deutlich weniger Befragte dieser Meinung (Dänemark neun Prozent, Japan 13 Prozent, Schweden 15 Prozent). Ein zweiter wichtiger Einflussfaktor ist die Tatsache, dass die Hauptverantwortung für die Bereitstellung von Betreuungsplätzen bei den Gemeinden und nicht etwa beim Bund oder den Ländern liegt. Damit entscheiden vor allem Bürgermeisterinnen, Bürgermeister und Gemeinderäte darüber, ob und wie in den Ausbau von Kinderbetreuung investiert wird. Kombiniert mit der Tatsache, dass Frauen in der Gemeindepolitik stark unterrepräsentiert und traditionell eher konservative Parteien stark überrepräsentiert sind, kann die Tatsache, dass der Ausbau von Kinderbetreuung in der österreichischen Familienpolitik nur eine untergeordnete Rolle spielt, eigentlich keine Überraschung mehr sein. (Carmen Walenta, 29.3.2021)