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Wer kreuzreagierende Antikörper nach früheren Infektionen mit Erkältungs-Coronaviren hat, könnte bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 eine gewisse Hintergrundimmunität besitzen. Ob dies den Verlauf von Covid-19 milder macht, ist aber noch nicht sicher.

Foto: REUTERS

Coronaviren, die den Menschen infizieren können, wurden bereits Mitte der 1960er-Jahre identifiziert. Vier davon – 229E, NL63, OC43 und HKU1 – sind harmlose Erkältungsviren, die normalerweise nur leichte Erkrankungen der oberen Atemwege auslösen. Bekanntschaft macht man mit ihnen zumeist bereits in der Kindheit. Etwa ein Fünftel aller Menschen haben sie im Blut.

Zwei weitere, mitunter tödliche und vom Tier auf den Menschen übergesprungene Coronaviren traten im Gegensatz zum aktuell kursierenden Sars-CoV-2 nur in einigen Teilen der Welt auf: Sars-CoV-1 verursachte 2003 einen Ausbruch des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (Sars) in Asien, und 2012 führte das Mers-CoV (Mers steht für Middle East Respiratory Syndrome) zu einer Erkrankungswelle in Saudi-Arabien.

Die erstgenannten vier harmlosen Arten könnten für uns Menschen noch hilfreich sein. Und zwar dann, wenn die für die Immunabwehr produzierten Antikörper eine Hintergrundimmunität geschaffen haben. Das ist der Fall, wenn diese Antikörper bestimmte während der Evolution unveränderte Strukturen neutralisieren können, die auch bei Sars-CoV-2 auftreten.

Langlebige Antikörper gegen Erkältungscoronaviren

Grundsätzlich wäre eine Hintergrundimmunität gegeben, wenn ein Mensch sich mehrmals mit einem Erkältungscoronavirus infiziert hat oder wenn er nach einmaliger Infektion zusätzlich gegen das jeweilige Virus geimpft wurde.

"Dann haben sich infolge der mehrfachen Abwehrreaktion sogenannte langlebige antikörperproduzierende Plasmazellen gebildet, weil das sehr effizient arbeitende Immunsystem realisiert hat, dass dieser Feind regelmäßig bekämpft werden muss", sagt Hannes Stockinger, Professor für Molekulare Immunologie und Leiter des Instituts für Hygiene und Angewandte Immunologie an der Medizinischen Universität Wien.

Während kurzlebige Plasmazellen vergleichsweise schnell wieder verschwinden, bekommen die langlebigen Plasmazellen als Teil des immunologischen Schutzgedächtnisses einen Platz in einer speziellen Nische im Knochenmark oder auch in der Milz. Dort kümmern sich Pflegezellen um sie und sorgen dafür, dass sie möglichst lange erhalten bleiben.

Können die "alten" Antikörper den Covid-19-Verlauf beeinflussen?

Diese "alten" Antikörper könnten laut einer aktuellen Studie dazu beitragen, dass der Verlauf von Covid-19 milder ausfällt. Ein Team aus Wissenschaftern unter Leitung von John Altin und Jason Ladner von der Northern-Arizona-Universität und dem dortigen Translationalen Genomforschungsinstitut fanden im Blut ehemaliger Covid-19-Patienten überwiegend Antikörper, die das Immunsystem nach der überstandenen Infektion mit Sars-CoV-2 gebildet hatte.

Sie fanden jedoch auch Antikörper, die Teil des früher angelegten immunologischen Gedächtnisses waren und die wichtige Molekülabschnitte, Epitope genannt, eines Sars-CoV-2-Antigens im Spike-Protein erkennen können. Das ist jenes Protein auf der Virusoberfläche, das an ACE2-Proteine auf menschlichen Zellen andockt, um sein genetisches Material in die Zelle einzuschleusen.

Das Vorhandensein zweier Epitope im Spike-Protein, die in allen Coronavirus-Typen erhalten sind, führte also dazu, dass das Immunsystem nicht nur Sars-CoV-2-spezifische Antikörper bildet. Zusätzlich reaktiviert es Antikörper gegen diese beiden Aminosäureketten, die noch von der früheren Abwehr gegen Erkältungscoronaviren stammen.

Wer in der Kindheit häufig wegen dieser eher harmlosen Viren krank war, könnte deshalb möglicherweise im Nachhinein davon profitieren. Offenbar verfügen diese Personen über langlebige Antikörper gegen Strukturen von Sars-CoV-2 und hätten demnach bei einer Infektion mit Sars-CoV-2 eine gewisse Hintergrundimmunität.

Eine Studie mit einigen Abers

Studienautor Ladner formuliert die Studienergebnisse vorsichtig: "Unsere Ergebnisse eröffnen die Möglichkeit, dass die Antikörperantwort eines Menschen auf frühere endemische Coronavirus-Infektionen den Verlauf einer Covid-19 Erkrankung beeinflussen könnte."

Der Wiener Forscher Hannes Stockinger bezeichnet die US-Studie zwar als gelungen, sieht aber mehrere Einschränkungen, die die Studienautoren auch selbst einräumen. So kann die Studie laut Stockinger nicht eindeutig zeigen, dass die Antikörper gegen die gefundenen Strukturen tatsächlich neutralisierend sind. Wäre das so, dann würde es den Verlauf von Sars-CoV-2 milder machen.

Neutralisierend würde bedeuten, dass das Virus nicht mehr in der Lage ist, eine Zelle zu infizieren. "Fakt ist aber: Bislang ist eine neutralisierende Wirkung der 'alten' Antikörper gegen Erkältungscoronaviren nicht bewiesen", sagt Stockinger. "Wäre sichergestellt, dass die Antikörper neutralisierend sind, dann wären diese Molekülabschnitte sicherlich Zielstrukturen für eine Impfung, weil sie sich über lange Zeit nicht verändert haben und eine bei verschiedenen Coronavirus-Typen konservierte Struktur sind."

Die Antigen-Erbsünde mit einer Impfung vermeiden

Eine aktuelle Studie von US-Medizinern der Perelman School of Medicine an der Universität von Pennsylvania kommt nun sogar zu dem Ergebnis, dass Antikörper gegen Erkältungscoronaviren nicht in der Lage sind, Sars-CoV-2 zu neutralisieren und eine Infektion zu verhindern. Sars-CoV-2 scheint ihren Ergebnissen zufolge eher eine Kreuzimmunität gegen Erkältungscoronaviren zu erzeugen. Ein Schutzeffekt gegen Sars-CoV-2 würde dagegen nicht entstehen.

"Dieser Mechanismus, dass das Immunsystem von Personen, die schon einmal mit einer Virusvariante infiziert wurden, bei Kontakt mit einer zweiten Variante nur Antikörper gegen Epitope bilden, die schon auf der ursprünglichen Virusvariante vorhanden waren, ist in der Immunologie nichts Neues und wird als Antigen-Erbsünde bezeichnet", so Stockinger.

Solche Antikörper können, so der Wiener Forscher, einerseits für eine schützende Hintergrundimmunität verantwortlich sein oder andererseits gegen die neue Virusvariante unwirksam sein. Im schlimmsten Fall könnten sie verhindern, dass sich neue Antikörper gegen nur bei der neuen Virusvariante vorhandene, noch wirksamere Epitope bilden. Das ist die eigentliche Antigen-Erbsünde. Denn dadurch könnte sich die Immunantwort abschwächen und es zu einem chronischen Verlauf von Covid-19 kommen.

Auch bereits Infizierte sollten sich impfen lassen

"Aber wir wissen aktuell leider noch zu wenig. Ziemlich sicher ist derzeit nur, dass jene nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 vorhandene Antikörper gegen die Rezeptorbindungsstelle im Spike-Protein nicht nur neutralisierend, sondern auch am langlebigsten sind", sagt Stockinger. Das hat Ende 2020 eine Studie von Wiener Forschern gezeigt, an der auch Stockinger beteiligt war.

Ende 2021 wissen wir hoffentlich viel mehr. Der Antigen-Erbsünde sind wir dank der neuentwickelten Impfungen aber nicht hilflos ausgeliefert. "Derzeit ist schon ziemlich sicher, dass mögliche, die Immunantwort schwächende Antigen-Erbsünden durch die derzeitigen gezielten Impfstoffe aufgehoben werden", so Stockinger. Durch die Impfung bilden sich Antikörper speziell gegen das Spike-Protein. Deshalb rät er: "Auch Personen, die sich auf natürlichem Weg mit Sars-CoV-2 infiziert haben, sollten sich impfen lassen."

Stockingers Empfehlung wird durch Ergebnisse einer aktuellen Preprint-Studie bestätigt. Sie zeigen, dass Personen, die bereits eine Infektion mit diesem gefährlichen Coronavirus überstanden haben, ihren Immunschutz durch eine einmalige Nachimpfung, quasi als eine Art "Booster", deutlich erhöhen können. Der Impfschutz soll dann so groß sein wie der von Menschen, die bis dato keine Sars-CoV-2 Infektion hatten, dafür aber zwei Impfdosen erhalten haben. (Gerlinde Felix, 6.4.2021)