Die Performancegruppe Henrike Iglesias bietet eine sportlich-bunte Show zum Thema Leistungsdruck (im Bild: Sophia Schroth).

Dorothea Tuch

Mit Stücktiteln wie diesen bedarf man keiner PR mehr: Erotische Außenreinigung ihres PKWs ohne Trocknung oder Wir kommen nicht aus dem Showbiz (auch wenn man das vielleicht denken könnte) oder auch nett: Wir haben heute leider ein Foto für dich. Da will man doch dabei sein! Die jüngste Arbeit des in Berlin und Basel beheimateten, 2012 gegründeten Performancekollektivs mit dem ebenso verheißungsvollen Namen Henrike Iglesias schützt da vergleichsweise Seriöses vor: Under Pressure, das gestern via Brut Wien in den Sophiensälen Berlin Premiere hatte, beschäftigt sich mit dem Elend des Leistungsdrucks.

brut Wien

Da denkt man an Belastbarkeit, Selbstoptimierung, Stressresistenz. Und diese Zwangslage, diese Dauerprüfung lässt sich mehr als anderswo auf einer Bühne anschaulich vorführen. Obendrein leben wir in Zeiten von Bildschirmtheater und interaktiver Technologie, sodass die Möglichkeit, dem Publikum dieser Leistungsschau eine Juryfunktion zu übertragen, einfach zu verlockend ist. Es kann – Hobby unserer Tage – gnadenlos abstimmen.

Viele Medaillen

Wie eine Heidi Klum der Theaterregie schickt Henrike-Mitglied Anna Fries drei Teilnehmerinnen (Laura Neumann, Marielle Schavan, Sophia Schroth) in diverse Wettbewerbskategorien: bester Auftritt, größte Authentizität, bestes Leben. Durch ihre hippen Glitzersportdressen (Kostüm: Nadine Bakota), die die verballhornten Labelnamen "lassdass" (für Adidas), "keinbok" (Reebok) oder "fail" (Fila) tragen, wirkt das wie ein Sportwettbewerb, der den Konkurrentinnen am Ende jeder Runde auch Medaillen bringt.

Es wäre nicht Henrike Iglesias, wenn Under Pressure den Leistungsbegriff nicht infrage stellen und pervertieren würde. Denn die weiteren Kategorien heißen "Best Lover" oder "Best Failure". Also gewinne, indem du am besten scheiterst! Der Wert von Leistung, bemessen nach größer, schneller, schöner, brillanter usw., wird unterwandert, indem andere Kategorien ins Spiel kommen.

Simples Bauprinzip

Wer kann es für sich verbuchen, "am heterosexuellsten" zu sein? Das Publikum votet. 30 Sekunden sind jeweils für die Stimmabgabe Zeit. In der Kategorie Authentizität wird zu Sinéad O’Connors Nothing Compares 2 U in Nahaufnahme möglichst glaubwürdig geflennt. Auf Knopfdruck weinen: eine in der Schauspielausbildung insbesondere für Frauen erdachte Disziplin, die Henrike Iglesias natürlich mit Zwiebeleinsatz und Tränensprühdose ad absurdum führt.

Der 80-minütige Abend hat ein simples Bauprinzip und bleibt durch und durch schlicht mit wenig überraschenden Schachzügen. Leistung als rückzuerobernde, zivilisatorische Größe abzufeiern wäre in einer leistungsorientierten Industriegesellschaft ja auch nicht zu erwarten gewesen. Das bezeugt auch die ironisch eingesetzte Einpeitsch- und Motivationsmusik. (Margarete Affenzeller, 26.3.2021)