Früher waren viele Fassaden reich verziert, heute sind sie glatt. Das gefällt nicht allen.

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Die gründerzeitlichen Fassaden machen Wien aus. Viele fürchten einen Verlust.

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Wenn der Abrissbagger anrückt, sorgt das in vielen Grätzeln für Aufregung. Oft muss nämlich ein altes Haus einem Neubau weichen, den viele im besten Fall als gesichtslos und im schlimmsten Fall als geschmacklos empfinden. Zwar hat die Stadt Wien mit einer Bauordnungsnovelle den Abriss alter Gebäude vor einigen Jahren erschwert. Abgerissen darf in manchen Fällen dennoch werden.

Wenn schon Neubau, möchte man angesichts der Empörung von Anrainerinnen und Anrainern fragen, warum baut man dann nicht anders? Warum erfindet man nicht die Gründerzeitfassaden neu, wenn sie so wichtig für die Stadt sind? Warum baut man nicht neue Gründerzeithäuser, wenn die Menschen offenbar so gern darin wohnen?

Günstige Mieten

Dafür muss man zuerst einmal wissen, was den Charme der alten Häuser überhaupt ausmacht. Das sind zum einen ganz sicher die im Altbau gedeckelten und damit vergleichsweise günstigen Mieten. Ein wichtiger Faktor ist aber auch der bunte Nutzungsmix im Gründerzeithaus: Im Erdgeschoß ist zum Beispiel ein Geschäft oder ein Lokal untergebracht, im Hof gibt es einen kleinen Gewerbe betrieb, darüber befinden sich Wohnungen und eine Arztpraxis.

Oft gibt es auch noch Seiten- oder Hinterhäuser. Bei den Häusern wurde in die Tiefe der Grundstücke gebaut. "Das ergibt eine unglaubliche Vielfalt, die man mit anderen Bauformen nicht erreichen kann", sagt Birgit Roth. Sie ist Architektin und wissenschaftliche Leiterin des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst.

Ein neues Stadthaus

In Gründerzeithäusern gibt es auch eine soziale Vielfalt, weil verschiedene Gruppen auf einer Parzelle zusammengebracht werden. Und wer in einem Gründerzeitviertel wohnt, kann mal schnell zum Bäcker gehen oder ins Restaurant nebenan. Auch die Schule liegt nicht weit entfernt. Denn auch das Drumherum, nicht nur die Wohnung an sich, trägt zur Lebensqualität in der gründerzeitlichen Stadt bei.

Wird das Prinzip heute auf gegriffen, muss es klarerweise transformiert werden. "Wir brauchen nicht die teilweise engen Höfe von damals, können also nicht genau dieselben Grundrisse bauen", sagt Roth. "Aber wir können sie an unsere Bedürfnisse anpassen."

Das bedeutet natürlich auch, dass ein modernes Wohnhaus heute ganz andere Richtlinien und Normen erfüllen muss – etwa was den Brandschutz oder die Barrierefreiheit angeht.

Der Architekt Peter Nageler vom Architekturbüro Nonconform hat vor einigen Jahren "Das neue Stadthaus" entworfen. Damit soll ein nutzungsoffenes Haus entstehen, in dem, ganz wie in einem Gründerzeithaus, vom Büro bis zur Wohnung alles unter einem Dach möglich ist.

Problem Raumhöhe

Das Realisieren eines solchen Hauses sei "immobilientechnisch diffizil", sagt er heute, weil hinter unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten auch ganz unterschiedliche Logiken stecken – und eben auch unterschiedliche Anforderungen. Da wäre zum Beispiel die Raumhöhe, die im Gründerzeithaus so gut wie nie unter drei Metern liegt, häufig sogar deutlich darüber. Über eine solche groß zügige Raumhöhe freuen sich Bewohnerinnen und Bewohner – und sie erfüllt gleichzeitig auch die Anforderungen für Büros, die mindestens drei Meter Raum höhe brauchen.

Anders gestaltet sich die Sache im heutigen Wohnungsneubau, weil dort die Raumhöhen deutlich knapper ausgelegt werden (die Mindesthöhe liegt bei 2,50 Metern). Muss ein Gründerzeithaus einem Neubau weichen, dann geht sich dadurch mindestens ein zusätzliches Stockwerk aus.

Aber es sind nicht nur die Raumhöhen, die flexible Nutzung im Neubau erschweren. Es sind auch die immer knapper bemessenen Grundrisse im Wohnbau, die das mit der Flexibilität später schwierig machen.

Projekt in der Seestadt

"Das neue Stadthaus" von Nonconform wurde vor einigen Jahren in der Seestadt Aspern gebaut, "mit einigen Abstrichen", wie Nageler berichtet. Die Flexibilität habe sich zwar ausgezahlt. "Aber wir haben gesehen, dass das kein Massenprodukt ist", sagt er. Man müsse ein solches Haus partizipativ, also gemeinsam mit den späteren Nutzerinnen und Nutzern, entwickeln.

Vielen Menschen sind ganz besonders auch die schmucken Fassaden der alten Häuser wichtig. Wobei gesagt werden muss: Auch in der Gründerzeit wurde schon mit Fertigteilfassaden gearbeitet. Auch damals wurde mit Rendite-Gedanken gebaut – und manche der Verzierungen aus einem bunten Sortiment bestellt.

Neuinterpretation gefragt

Von einer Imitation dieser alten Fassaden halten Architektinnen und Architekten naturgemäß ohnehin wenig. Aber man könnte diese ja neu interpretieren. Oft scheitern auch aufwendigere Fassaden allerdings schon an den Kosten: "Eine verzierte Fassade kann man sich heute nicht mehr leisten", sagt Architekt Nageler. Auch weil Arbeit heute anders bezahlt wird als früher.

Und noch etwas betont der Architekt: "Was im Gebäudeinneren an Großzügigkeit fehlt, kann auch außen nicht zutage treten." Auch eine noch so schmucke Fassade kann also nicht darüber hinwegtäuschen, dass Grundrisse und Raumhöhen immer knapper bemessen werden.

Und auch die Gebäudehöhen sind heute andere als in der Gründerzeit. Ein gründerzeitliches Gebäude mit einer Traufhöhe von 17 Metern passe zur Straßenbreite und sei auch eine gute Proportion für den menschlichen Maßstab. "Aber was will man auf einer 50 Meter hohen Fassade noch gestalten?", so Nageler.

Weniger glatt

Ideen für Fassaden gibt es immerhin zuhauf. Nageler schlägt vor, diese weniger glatt zu gestalten – und auch durch Vorsprünge Schatten auf der Fassade und damit Bilder im Kopf entstehen zu lassen. "Das wird zu einem Gebäude, das mir Geschichten erzählt", so Nageler.

Die Architektin Sabine Pollak zählt einen Sockel, verschiedene Fenstergrößen in den Stockwerken, kleine bis größere Balkone und Gesimse als mögliche Elemente auf. All das müsse gut interpretiert – und auch an moderne Anforderungen angepasst werden: "Wenn wir den Vollwärmeschutz gar nicht umgehen können, um nachhaltig zu denken, könnte man mehr mit Fassadenstärken spielen", schlägt die Architektin vor. Sie glaubt auch, dass die Ablehnung von Neubauten bei vielen Menschen geringer wäre, wenn mehr Holz oder begrünte Fassaden im Spiel wären.

Rückkehr der Abrissbagger

Klar ist: Ein Neubau ist nicht automatisch schlechter als ein Altbau. Schon die Gründerzeithäuser verdrängten die noch älteren Biedermeierhäuser. Und: Architektur muss nicht jedem gefallen. "Architektur war nie der Geschmack der Masse, das muss man schon sagen", sagt Pollak. "Aber es ist schon nachvollziehbar, dass vieles heute der Masse nicht gefällt."

Die Architektin kritisiert auch, dass die Häuser, die nun in die Höhe gezogen werden, einen viel kürzeren Lebenszyklus haben werden. Irgendwann, in einigen Jahrzehnten, wird also auch hier wieder der Abrissbagger anrücken. Wird das die Menschen auch wieder so aufregen? Es darf bezweifelt werden. (Franziska Zoidl, Bernadette Redl, 26.3.2021)