Noch scheint die Stadt ganz weit weg zu sein, wenn man in Rothneusiedl den Blick über die Äcker in Richtung Süden schweifen lässt. Das wird sich ändern. Denn die wachsende Stadt wird auch vor dem noch ländlich anmutenden Stadtteil in Wien-Favoriten nicht haltmachen. Wie stark sich Rothneusiedl verändern wird, ist offen.

Die Stadt rückt in Rothneusiedl immer näher. Das freut nicht alle.
Foto: Gugumuck

Pläne gibt es schon lange. Ernst wird es aber erst mit einem U-Bahn-Anschluss werden. Die U1-Station Rothneusiedl wird noch auf sich warten lassen. Doch die Veränderung kündigt sich schon an. Vor wenigen Wochen erst wurde eine Online-Werkschau veranstaltet und die Ergebnisse eines Beteiligungsprozesses präsentiert. In einem Stadtteilentwicklungskonzept wurde verankert, dass in Rothneusiedl 25 Hektar an Parks geplant sind. Eine Werkstatt, in der noch einmal viel diskutiert werden dürfte, folgt.

Der Schneckenzüchter Andreas Gugumuck will nicht darauf warten, dass ihm die ersten Visualisierungen von Wohnbauten für die Äcker vor seiner Haustür vor den Latz geknallt werden. Der Unternehmer hat 2019 einen Verein gegründet und entwickelt mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern die Zukunft des Stadtteils pro aktiv. Seit Anfang 2020 bespielt das Team von "Zukunftshof Stadtlandwirtschaft" den früheren Haschahof als Zwischennutzer.

Zentrum und Seele

Es hat sich in einem Auswahlverfahren durchgesetzt. Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) erhofft sich "positive Effekte für die ganze Region Favoriten Süd". Der mehr als hundert Jahre alte Haschahof, der seit den 1980er-Jahren ein Mekka der Selbsternte war und der heute dem Wohnfonds Wien gehört, soll Zentrum des Stadtteils werden. Oder, so formuliert es Gugumuck: seine Seele. Und die Zivilgesellschaft das gute Gewissen, das bei Ausschreibungen mitgestalten und in der Jury sitzen will.

Im Zukunftshof soll Stadtlandwirtschaft nach dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft erprobt werden. Zuerst muss der Hof aber saniert werden. Dafür wird ab dem Sommer ein Crowdfunding-Projekt gestartet. Parallel dazu werden Veranstaltungen und Pop-up-Events stattfinden. "Da drüben wird eine Bäckerin einziehen", sagt Gugumuck bei einer Führung über den Hof. Ein Jugendkollektiv bastelt auch bereits an einem Veranstaltungsraum. Auch Sozialprojekte werden hier Platz bekommen.

"Es ist klar, dass hier Stadt entsteht", sagt Gugumuck. Es soll aber eine andere Stadt werden. Der Unternehmer spricht von Haushalten als Mikrofarmen, von Vertical Farming auf Fassaden, von Holzbauten – und von Bewohnerinnen und Bewohnern, die von Stadtkonsumenten zu Stadtproduzenten werden.

Essbare Stadt

Rothneusiedl soll zur klimaneutralen und zur essbaren Stadt werden – und zu einem Ort der Utopie und der Philosophie. Ob das so eintritt, wird sich weisen. Ob hier irgendwann wirklich die Wohnbauten in die Höhe gezogen werden, wird auch vom Stadtwachstum abhängen. Die Bürgerinitiative "Stopp Mega City Rothneusiedl" kämpft weiter für den Erhalt der Felder und Grünräume. Auch Viktor Schwabl, Klubobmann der Grünen in Favoriten, plädiert dafür, dass Wohnungsleerstand und das Potenzial von Baulücken und Parkplätzen erhoben werden, bevor Flächen versiegelt werden und landwirtschaftliche Flächen verlorengehen.

Doch die Weichen für die Zukunft müssen heute gestellt werden, betont Gugumuck. Etwa um die Grünflächen zu sichern, bevor irgendwann die Bauarbeiter an rücken: "Wenn die Bagger drüberfahren, ist der Boden tot", sagt Gugumuck mit Blick auf die Felder. Dabei braucht es diese Böden in einer Stadt der Zukunft. Auch wenn sie heute noch ewig weit weg erscheint. (Franziska Zoidl, 30.3.2021)