Immer wieder werden Lügendetektoren als Hilfe zur Aufdeckung von Kriminalfällen benutzt. Wissenschaftlich bewiesen ist deren Aussagekraft nicht.

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Emmanuel Mervilus musste drei Jahre ins Gefängnis. Vielleicht, weil er zur falschen Zeit am falschen Ort war. Oder weil er sich auf eine Technologie verließ, die verdächtiger war als er selbst. Schließlich sei der US-Amerikaner – so erzählt er es später – am Tag der Verhaftung nur mit einem Freund zu einem Dunkin' Donuts in New Jersey gefahren, als er ein paar Minuten darauf von der Polizei aufgehalten wurde. Diese warf den beiden vor, kurz zuvor einen Mann überfallen und ausgeraubt zu haben. Das Opfer habe die beiden aus der Entfernung wiedererkannt.

Mervilus beteuert seine Unschuld. Er bietet an, einen Lügentest zu machen, die Ermittler willigen ein. Wenige Tage vor dem Test stirbt seine Mutter. Mervilus ist unruhig und aufgewühlt, als er an den Detektor angehängt wird. Er fällt durch. Vor Gericht wird Mervilus zu elf Jahren Haft verurteilt – gestützt auf die Ergebnisse des Detektors und die Aussagen des Polizisten, wonach es ein zuverlässiges Lügenmessgerät sei. Drei Haftjahre später wird der Fall neu aufgerollt. Das Gericht befindet, dass die Aussage des Polizisten über den Test unzulässig war. Mervilus wird freigesprochen. Das war im Jahr 2013.

Kein Einzelfall

Emmanuel Mervilus ist nicht der Einzige, dessen Schicksal von einer höchst umstrittenen Technologie abhing. Denn der Lügendetektor ist weit mehr als ein Relikt aus Kriminalfilmen oder Fernsehshows. Allein in den USA werden laut dem Magazin "Wired" jedes Jahr 2,5 Millionen Überprüfung mithilfe eines Lügendetektors durchgeführt, in den meisten Fällen bei Job-Bewerbungen. In Großbritannien wird der Test jedes Jahr an hunderten Sexualstraftätern angewandt, die auf Bewährung freigelassen werden. Und die EU experimentierte mit einem Programm bei Grenzkontrollen, das "gefährliche" von "ungefährlichen" Einreisenden aussieben soll.

Unterstützt werden diese Systeme zunehmend von Algorithmen und künstlicher Intelligenz. Diese sollen die Geräte sowohl schneller, als auch exakter machen. Geht es nach den Befürwortern, könnten die Detektoren so bald auch vermehrt an Grenzen, bei Bewerbungsgesprächen, Versicherungsbetrugsvorwürfen oder zur Terrorismusbekämpfung zum Einsatz kommen. Und das, obwohl der Einsatz der Technologie in der Wissenschaft als nicht verlässlich und obendrein ethisch bedenklich gilt. Für viele Experten steht fest: Die Technologie droht, mehr zur Gefahr zu werden, als dass sie uns etwas nützt.

Jahrtausendealter Wunsch

Das Interesse, Lügen besser erkennbar zu machen, ist schon Jahrtausende alt. Im antiken China vor 3000 Jahren beispielsweise wurden verdächtigten Lügnern Reiskörner in den Mund gestopft, die diese kauen und anschließend wieder ausspucken mussten. Man nahm an, dass die Körner in den von Nervosität trockenen Mündern der Beschuldigten kleben bleiben müssten. Ab dem Ersten Weltkrieg setzten Wissenschaftler in den USA Maschinen ein, die den Blutdruck messen und so Lügen aufdecken sollten. Später kamen auch Geräte zum Einsatz, die zusätzlich zum Blutdruck auch Puls, Atmung und Schweiß messen sollten.

Psychologen und Neurowissenschafterinnen kritisieren die Methoden seit ihrer Entwicklung. Es gebe keine Beweise dafür, dass ein höherer Blutdruck oder Puls tatsächlich mit einer Lüge in Verbindung steht, so ihre Argumente. "Die Idee, dass man Lügen anhand von Emotionen oder Verhaltensänderungen erkennen kann, ist wissenschaftlich nicht belegt und sogar teilweise widerlegt", sagt Kristina Suchotzki, Psychologin an der Universität Mainz. Unterschiede zwischen Lügnern und Nichtlügnern ließen sich in Studien nur wenige finden und würden sich nicht für die Lügenerkennung in der Praxis eignen. Zudem gebe es viele individuelle und kulturelle Unterschiede bei der Art und Weise, wie Menschen lügen, was eine Verallgemeinerung beinahe unmöglich mache.

Detektoren leicht zu täuschen

Lügendetektoren sind laut der Expertin sehr fehleranfällig. Beispielsweise sind auch Menschen, die die Wahrheit sagen, bei Befragungen meist nervös. Das sei einer der Gründe, weshalb Detektoren oft falsch positive Ergebnisse produzieren – was bei der Ermittlung von Kriminalfällen besonders problematisch werden kann.

Der Einsatz der Detektoren ist in den meisten nationalen Gerichten daher untersagt – in den USA beispielsweise ist er nur unter der Einwilligung beider Parteien erlaubt. Innerhalb der Polizei von Staaten wie beispielsweise Großbritannien wird deren Einsatz nicht explizit verboten, sondern lediglich davon abgeraten.

Schlechte Lügenerkenner

Das Problem ist: Schon wir Menschen sind äußert schlecht darin, Wahrheit von Lügen zu unterscheiden. Laut einer Studie aus dem Jahr 2006 liegen Menschen bei der Erkennung von Lügen nur zu 54 Prozent richtig – sie sind also nicht viel besser als der Zufall. Auch zwischen Experten und Laien gebe es keine Unterschiede bei der Fähigkeit, Lügen zu erkennen, so Suchotzki. Das ist vor allem dann eine ernüchternde Erkenntnis, wenn man bedenkt, wie häufig wir in unserem Leben mit Lügen konfrontiert sind: Schon im Alter von zwei bis fünf Jahren lernt jedes Kind zu lügen. Jeden Tag lügen wir durchschnittlich ein bis zwei Mal, so eine Studie.

Die meisten dieser Lügen sind allerdings nicht besonders schlimm und könnten auch als "kleine Unwahrheiten" bezeichnet werden. Der Freundin oder dem Freund zu sagen, dass ihr oder sein Essen gut schmeckt, auch wenn es das nicht tut, fällt etwa darunter. Daneben gibt es aber auch "größere" Lügen, die generell dazu dienen, den Lügenden zu "beschützen", wie es in der Studie heißt. Eine Beziehungsaffäre zu vertuschen fällt etwa darunter. Die meisten dieser schwereren Lügen gehen allerdings nur von einigen wenigen Menschen aus, so eine Studie. Diese "geübten" Lügner verpacken ihre Lügen in wahrheitsgetreue Informationen, formulieren klare und detailreiche Erzählungen und plausible Hintergründe für ihre Geschichten.

Renaissance der Detektoren

Trotz der vielen grundsätzlichen Bedenken versprechen viele Start-ups und etablierte Unternehmen, eine neue Generation von Lügendetektoren entwickeln zu können, die weit "schlauer" sein sollen als bisherige Technologien und erhoffen sich davon gleichzeitig einen riesigen Absatzmarkt bei Regierungen und anderen Unternehmen. Ein ausgeklügelter Algorithmus soll dabei helfen, kleine Verhaltensmuster von Verdächtigen zu analysieren und im Anschluss eine Einschätzung zu deren Aussagen zu treffen.

Das US-amerikanische Start-up Converus entwickelte beispielsweise eine Software, genannt "Eyedetect", die die Erweiterung der Pupillen des Befragten analysiert, um so Stress und psychische Belastungen festzustellen, die auf eine Lüge hindeuten sollen. Die Software kam bisher bereits bei Bewerbungsverfahren in Polizeistationen in den USA zum Einsatz, sowie bei der Ratingagentur Experian, die damit ihre Mitarbeiter auf betrügerisches Verhalten testen ließ. Auch die Regierung in Afghanistan soll bereits von der Technologie Gebrauch gemacht haben.

EU-Grenzschutz

Eine ähnliche Software wurde auch von der EU für den Grenzschutz getestet, um die Überwachung laut Herstellern schneller, effizienter und genauer durchzuführen. Das System "iBorderCtrl" zeigt einen virtuellen Grenzbeamten, der Reisenden einige Fragen stellt und anschließend via Webcam deren Gesichtszüge nach möglichen Hinweisen zu Lügen untersucht. Die Technologie, die als Testprogramm zwischen 2016 und 2019 lief, wurde von zahlreichen Aktivisten und Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Der Detektor sei eine "Pseudowissenschaft" und führe zu Diskriminierung, so der Tenor.

Das hat bis zu einem aktuellen Gerichtsprozess geführt, in dem die Beurteilungskriterien untersucht werden sollen, die zur Genehmigung der rund fünf Millionen Euro Forschungsgelder für das "iBorderCtrl"-Projekt herangezogen wurden. Obwohl einige Experten bezweifeln, dass die Technologie noch einmal zur Grenzkontrolle in der EU eingesetzt wird, befürchten sie nun, dass sie künftig vermehrt in der Privatwirtschaft – etwa bei Bewerbungsverfahren – genutzt werden könnte. Denn Unternehmen hätten weniger Auflagen als Regierungen und Gerichte im Umgang mit der Technologie.

Zeit- und Ressourcenverschwendung

Expertinnen wie Suchotzki halten die neuen Technologien für noch bedenklicher als die alten Polygraphen. "Zum einen ist es sehr unwahrscheinlich, dass mit solchen Programmen tatsächlich Lügen erkannt werden können. Zum anderen sind die Algorithmen, die verwendet werden, oft nicht an repräsentativen Stichproben getestet, was zu Verzerrungen und zur Diskriminierung von bestimmten Gruppen führen könnte." Forschungsgelder für solche Technologien auszugeben, ohne an den Befragungstechniken und theoretischen Grundlagen zu arbeiten, sei reine Zeit- und Ressourcenverschwendung, so Suchotzki.

Von den Entwicklern wiederum heißt es, die Systeme würden nur Einschätzungen und keine bindenden Entscheidungen über wahr oder falsch abgeben können und könnten so als Entscheidungsunterstützung eingesetzt werden. Auch das hält Suchotzki für bedenklich: "Wenn mir das Programm schon ein falsches Ergebnis zeigt, beeinflusst das die Informationssuche danach. Ich bin nicht mehr unvoreingenommen." Die Expertin plädiert dafür, in Kriminalfällen und bei der Erkennung von Lügen stattdessen auf andere, bewährtere Methoden zu setzen, beispielsweise auf gut strukturierte Fragetechniken oder den Tatwissentest, bei dem stattdessen nach relevanten Informationen in den Antworten des Befragten gesucht wird.

Skepsis gegenüber Technologie

Vom Glauben, dass Lügen durch bloße Konzentration auf die Entwicklung neuer Technologien leichter zu erkennen seien, sollten wir uns jedenfalls verabschieden, so Suchotzki. Das hat wohl schon der Fall von Emmanuel Mervilus am Anfang des Berichts gezeigt. Wäre es nicht wegen des Lügendetektors und des Glaubens daran, hätte Mervilus wohl nicht drei Jahre seines Lebens im Gefängnis sitzen müssen. Ebenjenes Vertrauen verleitete Mervilus dazu, den Test durchzuführen, und den Richter wiederum, die Ergebnisse als stichhaltig für den Fall zu werten.

Wir werden uns wohl auch in Zukunft noch damit abfinden müssen, ab und zu getäuscht zu werden. Das muss nicht unbedingt immer negativ sein: Schließlich sind die kleinen Unwahrheiten des Alltags auch die Schmiere, die unsere Beziehungen zusammenhält. Der Traum vom perfekten Lügendetektor wird – trotz aller Bedenken – aber wohl auch in Zukunft weiterleben. (Jakob Pallinger, 6.4.2021)