Man habe eben besser mit Astra Zeneca verhandelt als Brüssel, sagt Gesundheitsminister Matt Hancock.

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Mit einer Mischung aus Schmeicheleien, subtilen Drohungen und prahlerischem Auftrumpfen hat die britische Regierung am Donnerstag versucht, Einfluss auf die Beratungen des virtuellen EU-Impfgipfels zu nehmen. Premier Boris Johnson wich im Parlament Fragen nach etwaigen Gegenmaßnahmen im Falle eines Boykotts aus Brüssel aus. "Unsere europäischen Freunde" sollten nur bedenken, so der konservative Regierungschef, dass Protektionismus zukünftige Investitionsentscheidungen innovativer Pharmafirmen beeinflussen werde.

Hingegen sprach Gesundheitsminister Matthew Hancock mit Schadenfreude über den Streit der EU mit dem Unternehmen Astra Zeneca (AZ): Der britische Liefervertrag übertrumpfe den EU-Vertrag. "Man nennt das Vertragsrecht, das ist sehr eindeutig."

"Zu viel versprechen"

Die britisch-schwedische Firma vertreibt das an der Uni Oxford entwickelte Covid-19-Medikament AZD1222 zum Selbstkostenpreis, es ist viermal so günstig wie das Konkurrenzprodukt von Biontech/Pfizer. Allerdings hat AZ des Öfteren mehr versprochen, als es tatsächlich halten konnte. So blieben die Lieferungen an EU-Staaten im ersten Quartal 2021 um 70 Prozent hinter den Brüsseler Erwartungen zurück. Da trete eine Charakterschwäche des charismatischen AZ-Vorstandschefs Pascal Soriot hervor, kommentiert die Financial Times (FT): "eine Tendenz, zu viel zu versprechen".

Die Firma hat stets argumentiert, man habe gegenüber der EU eine Absichtserklärung ("best effort") abgegeben, keineswegs aber bestimmte Liefermengen vertraglich zugesichert. Dass man Großbritannien zuverlässig und in großer Menge beliefere, sei der großzügigen Förderung durch die Londoner Regierung geschuldet, die sich sowohl auf die Entwicklung des Impfstoffs als auch auf die nötige Expansion der Lieferkette erstreckte.

Exklusiv gegen "Best Effort"

Im FT-Interview schlug Hancock in die gleiche Kerbe. "Die EU hat einen 'Best Effort'-Vertrag, wir haben eine exklusive Liefervereinbarung." Hingegen haben führende Mitglieder der Brüsseler Kommission stets auf die Gegenseitigkeit der Impfversorgung hingewiesen: Während der Kontinent mehr als zehn Millionen Dosen nach Großbritannien geliefert habe, betrage die Liefermenge in der Gegenrichtung null. "Unserem Gefühl nach gibt es Impf-Nationalismus eher auf der anderen Seite des Ärmelkanals", findet der französische Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton.

Die Gesundheitsbehörden auf der Insel luden am Donnerstag alle über 50-Jährigen und jüngere Menschen mit gesundheitlichen Vorbelastungen zur baldigen Impfung ein. Man solle bis spätestens Montag einen Termin für die erste Dosis vereinbaren, hieß es. Im April wird es erklärtermaßen zu einem Engpass kommen. Einerseits haben die Hersteller weniger Dosen in Aussicht gestellt, andererseits müssen nun zunehmend größere Zahlen all jener ihre zweite Dosis erhalten, die im Jänner ihre erste Teilimpfung bekamen.

Die britischen Verantwortlichen hatten zur Jahreswende das Intervall zwischen erster und zweiter Impfung von drei Wochen auf bis zu zwölf Wochen vergrößert. Dadurch konnten bis Dienstag 42,2 Prozent aller Briten mindestens einmal gegen Sars-CoV-2 immunisiert werden, darunter mehr als die Hälfte aller Erwachsenen. Bei den über 70-Jährigen lag die Impfquote bei 95 Prozent. Im vergleichbar großen Frankreich haben 9,7 Prozent der Bevölkerung eine Immunisierung erhalten, in Deutschland betrug die Rate 9,5 Prozent. Allerdings haben dort mehr Menschen (4,2 Prozent) bereits beide Dosen erhalten als im Königreich (3,7).

Keine Zeit für Streit

Unterdessen haben führende Wissenschafter auf der Insel vor einer Fortsetzung des Impf-Disputes mit dem Klub der 27 gewarnt. Professor Anthony Harnden von der Universität Oxford mahnte das Königreich und die EU zur Zusammenarbeit. "Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns in einer globalen Pandemie befinden", sagte der Spezialist für die öffentliche Gesundheit der BBC.

Jeremy Farrar vom milliardenschweren Wellcome Trust, einer Stiftung zur Gesundheitsforschung, lobte den länderübergreifenden Beitrag von Wissenschaftern bei der Bekämpfung von Covid-19. "Jetzt brauchen wir von den Politikern Staatskunst und Diplomatie", teilte Farrar mit und wandte sich ausdrücklich gegen Exportbeschränkungen. Im Gegenteil, das Königreich solle nicht benötigte Impfstoffe freigeben, und zwar sowohl für den europäischen Kontinent als auch für das Covax-System, mit dem Entwicklungsländer beliefert werden sollen. "Damit würde Großbritannien global gut dastehen." (Sebastian Borger aus London, 25.3.2021)