Rechtsextreme Hooligans bei der Corona-Demo am 13. Februar, die von Gottfried Küssel angeführt wurde.

Foto: Markus Sulzbacher

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich in der vergangenen Woche höchst alarmiert. "Es war bei Demonstrationen zu beobachten, dass amtsbekannte Rechtsextremisten, rechtsextreme Gruppierungen, Hooligans und Holocaust-Leugner Demonstrationen als Plattform nutzen, um ihre Hassbotschaften zu streuen", warnte er in einer Aussendung. Dies sei inakzeptabel, und dagegen werde seitens der Polizei entschieden vorgegangen. Tatsächlich müssen organisierte Rechtsextreme nicht mit der Lupe auf den Corona-Demonstrationen gesucht werden, einige waren auch schon im vergangenen Jahr im April bei der ersten Kundgebung in Wien anzutreffen. Wie Identitären-Sprecher Martin Sellner, der dem TV-Sender Ö24 ein Live-Interview gab.

Sie werden toleriert

Neben den Identitären und deren Parallelorganisation "Die Österreicher" stechen bei den Kundgebungen immer wieder bekannte Personen aus der Neonazi-Szene hervor. Traten sie in den vergangenen Jahren kaum öffentlich auf, verspüren sie nun Morgenluft und nutzen die Demonstrationen, um sich zu vernetzen, Präsenz zu zeigen und um sie zu beeinflussen. Probleme mit anderen Demonstrierenden gibt es nicht, ihre Anwesenheit wird toleriert.

Bei den Corona-Demonstrationen ist die zwischen zehn und 20 Personen umfassende Gruppe rund um den 62-jährigen Gottfried Küssel besonders auffällig. Dieser gilt seit Jahren als Säulenheiliger der Szene. Bei Demonstrationen führt er mittlerweile Züge an oder gibt anderen Demonstrierenden Tipps, wie sie sich gegenüber der Polizei verhalten sollten. Im Gegensatz zu vielen anderen hat Küssel Erfahrungen mit Demonstrationen gesammelt und kann Situationen daher besser einschätzen. Ein Wissen, über das sonst nur wenige Identitäre verfügen, die jedoch auch größtenteils deutlich jünger als Küssel und seine Begleiter und Begleiterinnen sind und daher nur selten ernst genommen werden.

Gottfried Küssel, wie er im Februar einen Demo-Zug in Wien anführte.
Foto: Markus Sulzbacher

Die Demonstrationen werden auch genutzt, um das Feld nicht den Identitären zu überlassen. Zwischen beiden Gruppierungen herrscht eine Rivalität, wobei der Aktionismus der Identitären derzeit besser bei Jüngeren ankommt. Aus Sicht von Neonazis sind die Identitären Verräter an der Sache, da sie ohne Hakenkreuz und Deutschnationalismus auftreten. Dazu kommen persönliche Animositäten. So wird Identitären-Sprecher Sellner nicht verziehen, dass er nach einer Repressionswelle gegen die Szene rund um Küssel diese verlassen und die Identitären mitgegründet hat. Ihm wird auch immer wieder vorgeworfen, nur deswegen politisch aktiv zu sein, weil er dafür Spenden bekommt und so sein Auskommen findet.

Küssel hält sich zurück

Mit einschlägigen politischen Äußerungen hält sich Küssel bei den Corona-Kundgebungen zurück. Er und andere treten als "Corona-Querfront" auf, die Flyer mit Rechtshilfe-Tipps oder Informationen für von der Pandemie betroffene Unternehmen verteilt. Man gibt sich als seriöse, politisch überparteiliche Organisation. Aus der Gruppe sticht jedoch ein jüngerer Mann hervor, der bei Demonstrationen meist mit einer Camouflage-Hose und einer Haube mit dem Logo der deutschen Kleinstpartei "Der III. Weg" mitmarschiert.

Die Partei "Der III. Weg" wird von den deutschen Behörden als "Auffangbecken von Personen, die der neonazistischen Szene angehören" beschrieben. Selbst lässt sie wenig Spielraum für ihre politische Verortung, sie tritt für einen "Nationalen Sozialismus" ein, wie auf ihrer Homepage zu lesen ist. Dort finden sich auch regelmäßig Beiträge über Österreich, die zeigen, dass die Partei gut vernetzt und sehr am Geschehen interessiert ist. So wurde ein Interview mit der Tanzbrigade veröffentlicht, einer einschlägigen Gruppierung aus Wien, die neben ihrer Vorliebe für Techno einen sehr liberalen Umgang mit allerlei Drogen pflegt.

So werden die Corona-Demonstrationen als "Chancen für Nationalisten" bezeichnet. Nach der von der FPÖ maßgeblich organisierten Demonstration am 6. März war etwa zu lesen: "Ob sich beispielsweise Gottfried Küssel – mit seiner Corona-Querfront – gegen die FPÖ und ihre Anhängsel aus der sogenannten Neuen Rechten durchsetzen wird können, bleibt offen."

Seit 1921 hoch im Kurs

Österreicher stehen bei ihren Gesinnungskameraden im Nachbarland noch immer hoch im Kurs, da, so die Denkweise, das NS-Verbotsgesetz dafür sorgt, dass hierzulande nur "wahre Nationalsozialisten" aktiv sind und keine Mitläufer oder "Salon-Nazis".

Neben der Gruppe rund um Küssel zählt auch eine größere Gruppe rechtsextremer Kampfsportler oftmals zu den Teilnehmern der Corona-Kundgebungen, die offensichtlich bewusst nicht mit der Corona-Querfront marschieren wollen. Darunter Personen, die in Deutschland bei Kampfsportveranstaltungen der Szene mit "Noricum"-Shirts angetreten sind. Kampfsport ist in der Szene besonders attraktiv und hat die Wehrsportübungen abgelöst. Besonders Mixed Martial Arts liegen im Trend. Für die Neonazis ist der Kampfsport laut den deutschen Behörden eine Vorbereitung für den "Endkampf der Kulturen", für den "Tag X". Die Kämpfer liefern sich im Ring einen blutigen, brutalen Schlagabtausch, fast alles ist erlaubt. Das unterscheidet die Mixed Martial Arts von anderen Kampfsportarten.

Propaganda auf Telegram

Kampfsport ist auch ein zentrales Thema des Telegram-Channels "Infokanal Deutschösterreich". Dort werden Veranstaltungen wie der "Kampf der Nibelungen" beworben, die größte Kampfsportveranstaltung der rechtsextremen Szene Europas, die seit 2013 in Nicht-Pandemiezeiten in Ostdeutschland über die Bühne geht. Der Messenger Telegram nimmt eine wichtige Rolle in der Medienstrategie von Neonazis ein. Mindestens drei Channels mit jeweils einigen hundert Abonnenten können österreichischen Neonazis zugeordnet werden.

"Unwiderstehlich" wieder online

Wie sehr die Szene gerade Morgenluft verspürt, zeigt auch, dass die Webseite "Unwiderstehlich" seit einigen Tagen wieder online ist. Sie war über Monate offline, nachdem gegen die anonymen Betreiber im Jahr 2019 behördliche Ermittlungen wegen Verhetzung und eines fehlenden Impressums eingeleitet wurden. Zum Neustart betonen die Betreiber, dass eine neue Mannschaft übernommen habe: "Mit der neuen Domain wird eine neue, stark verjüngte Mannschaft den Kampf um die Freiheit unseres Volkes an der Medienfront fortführen." Die Inhalte bleiben aber die gleichen.

In Wien sind mittlerweile auch solche Pickerln zu finden, die das Logo der Antifaschistischen Aktion verhunzen.
Foto: Markus Sulzbacher

Die Seite gilt als Sprachrohr der Szene, das Themen vorgibt. Neben Nachrichten über sogenannte Ausländerkriminalität bietet die Webseite auch "Grundsatzartikel" an, in denen sich die Betreiber als orthodoxe Nationalsozialisten zu erkennen geben, deren Leitbild das 25-Punkte-Programm der NSDAP ist – ein wesentlicher Unterschied zu den Identitären rund um Sellner, die tunlichst darauf achten, nicht am NS-Verbotsgesetz anzustreifen. Auch findet sich auf "Unwiderstehlich" antisemitische Propaganda, die ohne einschlägige Codes auskommt und stattdessen einfach den Judenhass der Nationalsozialisten und ihrer völkischen Vorläufer wiedergibt.

Unorganisiert

Neben organisierten Neonazis sind auf den Demonstrationen auch neonazistische Hooligans anzutreffen, die in den vergangenen Wochen immer wieder Journalisten und Journalistinnen körperlich attackiert haben oder sich Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten liefern. Sie sind oft dabei, wenn es darum geht, Polizeisperren zu durchbrechen – und sie marschieren sowohl bei den Identitären als auch bei den Kampfsportaktivisten mit. (Markus Sulzbacher, 26.3. 2021)