Vogl: Das Konstrukt der Demokratie steht auf dem Spiel.

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Drei lateinische Wörter bilden traditionell den staatsbürgerkundlichen Grundreim: Demokratie beruht auf der geteilten Gewalt von Legislative, Exekutive und Judikative. So lernt man das schon in der Schule, und die herkömmlichen Medien merken dann gern an, dass sie als vierte Gewalt darüber wachen, dass das Gleichgewicht der Gewalten nicht aus dem Lot gerät.

In dem neuen Buch Kapital und Ressentiment von Joseph Vogl, deutscher Literatur-, Kultur- und Medienwissenschafter, taucht nun noch eine fünfte Macht auf: die Monetative. Das Geld drängt sich also zunehmend stärker in die staatliche Ordnung, es bringt die Demokratie aus dem Gleichgewicht und verändert die bürgerliche Öffentlichkeit, mit einem Wort: Es wird selbst zu einer Gewalt.

Deswegen der Begriff Monetative, den Vogl im Übrigen nicht erfunden hat, sondern der in gemeinnützigen Geldreformbewegungen wurzelt. Er bekommt in dem Buch Kapital und Ressentiment nur ein anderes Gewicht, denn die Monetative, wie Vogl es akzentuiert, ist zu einem Faktor geworden, der sich eben nicht mehr so ohne weiteres durch Gewaltenteilung einhegen lässt. Die ganze Konstruktion der Demokratie steht auf dem Spiel.

Entfesselte Finanzmärkte

Das hat mit den Entwicklungen des Kapitalismus seit dem 19. Jahrhundert zu tun, auf die Vogl mit seiner "Kurzen Theorie der Gegenwart" abzielt. So lautet der Untertitel seines Buchs, mit dem er an seine Bestseller Das Gespenst des Kapitals (2010) und Der Souveränitätseffekt (2015) anschließt. Das Verhältnis von Staat und Regierung gegenüber zunehmend entfesselten Finanzmärkten stand im Mittelpunkt der früheren Bücher.

Nun kommt ein Faktum hinzu, das in den vergangenen zehn Jahren erst so richtig in seiner Wucht erkannt wurde: die Plattformen, die sich als die großen Gewinner der Digitalisierung und weltweiten Vernetzung erwiesen. Facebook und Google sind für Vogl direkt aus den liberalen Markttheorien ableitbar, die in der Entkoppelung der Geldwirtschaft von substanziellen Werten wie Gold ihre erste Erfüllung fanden.

Von Beginn an war der Kapitalismus ein Informationsgeschehen. Seit den 1970er-Jahren aber ist das ganze Weltfinanzsystem auf eine prekäre Stabilisierung angewiesen, die sich als "fortlaufender Austausch zwischen Geld und Information" bestätigt, nicht selten allerdings krisenhaft.

Originelle Perspektive

Man hört den Geisteswissenschafter in Vogl heraus, wenn er dazu ergänzt: "Information ist Wissen minus Nachweis und Rechtfertigung." Er schreibt ja aus einer originellen Position über Wirtschaft: Im Jahr 2002 wies er sich mit einer Poetik des ökonomischen Menschen die Richtung, in der französischen Philosophie bei Deleuze und Foucault fand er wichtige Anregungen.

Inzwischen aber ist Vogl tief in die ökonomische und ökonomiekritische wie auch in die medientheoretische Literatur eingelesen und kann dabei eine kritische Distanz wahren zu all den Theorien, die sich häufig von unbegründeten oder de facto religiösen Hoffnungen auf die Effizienz von Märkten leiten lassen.

Dass in diesem Zusammenhang schon früh die Vorstellung auftauchte, ein funktionierender Markt müsste einem Computer entsprechen, also einer unbeeindruckbaren Rechenmaschine, in die man nur einspeisen muss, passt ins Bild.

Das Ressentiment ist nun der Begriff, der zum monetativen Kapital hinzutritt als die wichtigste Ausprägung des aktuellen, digital beschleunigten Kapitalismus. Vogl beschreibt zuerst, wie sich Facebook und Google zunehmend zu privaten parastaatlichen Autoritäten entwickelt haben, mit dem Ziel einer "Ablösung des Netzbürgers vom Staatsbürger", zum Beispiel durch die Nützung einer künftigen Facebook-Währung anstelle der nationalstaatlichen Gelder.

Globale Algorithmik

Er zeigt auf, wie sehr die Algorithmik, die sich zuerst an den globalisierten Geldströmen erprobte, weil das Kapital nun einmal ständig nach Informationsvorsprüngen sucht, den Begriff von Wissen prägt, auf den die "Produser" in den Netzwerken zurückgeworfen werden. Dieses Wissen ist entkoppelt von Logiken der Begründung und schafft die Subjekte, die sich im digitalen Raum vielfach zu erkennen geben: Das "ressentimentale Subjekt", wie Vogl begrifflich pointiert, leitet sich aus Verneinungen her und findet seine Selbstbejahung in diesen Negationen, es kultiviert Ohnmacht und kommt mit der Ungewissheit von Verursachungen nicht zurecht.

Die Plattformen tragen das Dogma eines effizienten Markts in das alltägliche Gespräch, wo es digital geführt wird, schaffen damit aber vor allem eine "negative Vergesellschaftung". Denn statt wie im Idealbild des antiken Marktplatzes mit dem Moderator Sokrates organisieren die Plattformen einen Austausch zwischen "erklärungsresistenten Substraten".

Joseph Vogl löst das Projekt einer Theorie der Gegenwart beeindruckend ein, natürlich nicht ohne Zuspitzungen und in Form einer durchaus anstrengend zu lesenden Begriffslawine. Aber wenn man pointiert präsentiert bekommen möchte, was das große Teilen und Liken und Meinen und Streiten im Internet wirklich im Innersten zusammenhält, kommt man um Kapital und Ressentiment nicht herum. (Bert Rebhandl, ALBUM, 27.3.2021)