Die "Venus" von Cranach, die der Fürst von Liechtenstein einst für sieben Millionen Euro beim deutschen Kunsthändler Konrad Bernheimer erwarb, sitzt aufgrund vermeintlicher Zweifel an der Echtheit seit fünf Jahren in Frankreich fest.

Foto: Liechtenstein - the Princely Collection, Vaduz-Vienna

Der Tag, der sich am 1. März zum fünften Mal jährte, wird dem Chefkurator der Sammlungen des Fürsten von Liechtenstein noch lange in Erinnerung bleiben. Um 12.30 Uhr hatte sich Johann Kräftner mit einem Mitglied des hauseigenen Kunstbeirats zum Mittagessen verabredet und war bereits auf dem Sprung, als ihn zwei seiner Mitarbeiterinnen einbremsten. Er müsse noch ein Telefonat führen, jetzt, es dulde keinerlei Aufschub.

Minuten später schilderte ihm die Direktorin eines Museums in Aix-en-Provence den Vorfall, auf den sich anfangs keiner einen Reim machen konnten. Ein schwarzer Wagen sei vorgefahren, zwei Personen hätten sich als Polizisten ausgewiesen und eine der Leihgaben aus der laufenden Ausstellung Les Collections du Prince de Liechtenstein einfach mitgenommen: Lucas Cranachs auf Holz gemalte Venus, datiert in das Jahr 1531.

In den ersten Stunden war nicht einmal klar, ob es sich nicht um einen gefinkelten Diebstahl handelte, erinnert sich Kräftner. Erst am späten Nachmittag stellte sich heraus, dass das Bild im Auftrag einer Pariser Staatsanwältin beschlagnahmt worden war: Einer anonymen Anzeige zufolge bestanden Zweifel an der Echtheit. Strafrechtlich standen Betrug und Geldwäsche im Raum.

Auch wenn niemand aus dem Umfeld des Fürsten als Beschuldigter geführt wurde, war die Sicherstellung eines Kunstwerks aus dem Eigentum eines Staatsoberhaupts ein Affront. Die an Wildwestmanieren erinnernde Vorgehensweise der französischen Justiz kritisiert Kräftner bis heute. Denn im Vorfeld hatte es nicht einmal den Versuch einer Kontaktaufnahme gegeben. Und selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass sich die Zweifel an der Echtheit bestätigt hätten, wäre man allenfalls ein Opfer gewesen.

Verwahrung im Louvre

Seit März 2016 befindet sich die Venus in der Verwahrung des Louvre. Ob direkt in Paris oder in einem Hochsicherheitsdepot, nicht einmal das ist ihm bekannt. Ein Besuch, um sich von der Unversehrtheit des Gemäldes zu überzeugen, wurde ihm untersagt. Bis heute weigert sich der Fürst, trotz zahlreicher Anfragen, Werke aus seiner Sammlung an Museen in Frankreich zu verleihen. Egal ob an private oder staatliche Institutionen.

Giuliano Ruffini vor seiner Villa in der Emilia-Romagna im Sommer 2020. Beim Handel mit Gemälden wurde er von "Geschäftsfreunden" über den Tisch gezogen.
Foto: Privatarchiv

Über das Verfahren und die Hintergründe drangen nur sporadisch Informationen an die Öffentlichkeit. DER STANDARD begleitete die Causa von Beginn an. Bald erwies sich, dass das Cranach-Bild nur eines von mehreren war, die ein gewisser Giuliano Ruffini (teils über Mittelsmänner) an Kunsthändler verkauft hatte, die sie (teils über Auktionshäuser) lukrativ an vermögende Privatsammler weiterreichten.

Die Gemeinsamkeit der Werke: Sie waren der Forschung bis zu den Millionen-Deals unbekannt und über aktuelle Gutachten von Experten geadelt worden.

"Venus" als Auslöser

Wie sich nun herausstellte, war die Cranach’sche Darstellung der Göttin der Liebe tatsächlich der Auslöser für eine Zivilklage vom Mai 2014 und nachfolgende Ermittlungen, die zur Sicherstellung führten. Das geht aus einem diese Woche im Artnet News Intelligence Report veröffentlichten Artikel ("The Art Crime of the Century", p 59-84) hervor, in dem der britische Investigativjournalist Simon Hewitt Ruffinis Version der Geschehnisse schildert.

Der 76-Jährige hatte das Bild, zusammen mit fünf anderen von einer ehemaligen Lebensgefährtin geschenkt bekommen, wie aus einer nun publizierten Liste hervorgeht: beschrieben als Bildnis der "deutschen Schule" mit der Darstellung einer "Venus mit einem Schleier und einer Perlenkette", "signiert und datiert 1531".

Ruffini behielt das Werk bis November 2012, als er es einem gewissen Jean-Charles Méthiaz zum Verkauf überließ, den er zur Jahrtausendwende kennengelernt hatte. Méthiaz hatte 2010 in Delaware die Firma The Art Factory gegründet und bot Ruffini – gegen eine Provision von 20 Prozent – seine Dienste an.

Deal mit Bernheimer

In einem ersten Schritt wurde Méthiaz Ende 2012 bei Christie’s in Paris vorstellig: Er habe "einen Cranach in einer belgischen Privatsammlung gefunden" und für etwa drei Millionen Euro erworben. Christie’s bot einen Schätzwert von bis zu fünf Millionen Pfund und schickte das Bild zur Untersuchung nach London. Die Ergebnisse bargen einige Unsicherheit, und das Auktionshaus entschied sich im Jänner 2013 gegen eine Versteigerung.

Franz Hals, "Porträt eines jungen Mannes": Laut einem von Sotheby’s beauftragten Experten eine moderne Fälschung, laut einem deutschen Gutachter echt.
Foto: Sotheby's

Hewitts Recherchen zufolge war die Venus kurz darauf im März Gegenstand eines Deals hinter den Kulissen der Tefaf-Kunstmesse in Maastricht. Méthiaz übertrug das "Lucas Cranach dem Älteren zugeschriebene" Gemälde für 700.000 Dollar an einen gewissen Michael Tordjman, der es am gleichen Tag für 3,2 Millionen Euro an den deutschen Altmeister-Händler Konrad Bernheimer übertrug.

Dabei spielte das dem STANDARD vorliegende Gutachten von Dieter Koepplin (Basel) eine wesentliche Rolle: Im Februar des Jahres hatte der international einst anerkannte Cranach-Experte die Autorenschaft des Künstlers bestätigt. Dass er seine Meinung nach der Beschlagnahme des Werks im Windschatten eifriger Kollegen aus Deutschland änderte, sei erwähnt. Für Johann Kräftner ist das heute nicht mehr von Relevanz, an der Qualität des Bildes, das im Sommer via Bergheimer für sieben Millionen Euro in die Sammlung des Fürsten wechselte, hatte er nie die geringsten Zweifel.

"Sie (….) Stück Scheiße!"

Von diesem Deal erfuhr Ruffini Monate später eher zufällig: "Sie sind das schlimmste Stück Scheiße, das mir je begegnet ist", schrieb er, der keinen müden Cent erhalten hatte, erbost an Méthiaz. Im Mai 2014 reichte Ruffini eine Zivilklage gegen Méthiaz und Tordjman ein. Hewitts Recherchen zufolge erhielt die Pariser Abteilung für Kunstkriminalität wenige Tage nach der ersten Anhörung ein anonymes Schreiben, in dem Ruffini schwerer Betrug beim Handel mit Gemälden vorgeworfen wurde. Erwähnt wurde eine angeblich gefälschte Venus von Cranach.

Wer der anonyme Briefschreiber war? Laut Ruffini niemand Geringerer als Jean-Charles Méthiaz, der sich, wie Hewitt herausfand, vom Erlös des Cranach-Deals eine Villa in Süditalien gegönnt hatte. Mit anderen Worten scheinen die französischen Behörden, die eine umfassende strafrechtliche Untersuchung wegen Fälschung, Betrugs und Geldwäsche einleiteten, einem Denunzianten auf den Leim gegangen zu sein.

Urteil kommende Woche

Allen voran die Staatsanwältin Aude Buresi, der Ruffinis Anwalt jüngst einen Mangel an Objektivität vorwarf. Ihre Ermittlungen dürften, so scheint es rückblickend und gerade auch im Falle des Cranach-Bildes, stets darauf ausgerichtet gewesen sein, ihren Fälschungsverdacht nachzuweisen. Uneinigkeiten unter Experten für Gemälde alter Meister rechtfertigen derlei allerdings nicht.

Aus Kräftners Sicht räumten zahlreiche Gutachten sämtliche Zweifel aus. In der Berufungsverhandlung stellte der Generalstaatsanwalt im Februar fest, dass es an der Zeit wäre, das Gemälde dem Fürsten zurückzugeben, da sich seit 2016 kein Beweis für den Fälschungsverdacht gefunden hatte. Am 1. April wird der Richtersenat sein Urteil veröffentlichen. Die Bilanz des fürstlichen Chefeinkäufers: Allein die Anwaltshonorare summierten sich bislang auf rund 1,7 Millionen Euro. Ein Normalbürger könnte sich einen solchen Kampf gegen französische Behörden nicht leisten. (Olga Kronsteiner, 27.3.2021)