Erst kürzlich geriet Amazon in die Kritik, weil Lieferfahrer in den USA permanent unter Kameraüberwachung stehen sollen.

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Amazon geriet vergangenen Donnerstag in Kritik, nachdem der Konzern auf Twitter Berichte dementierte, dass seine Zusteller dazu gezwungen seien, in Flaschen zu urinieren. Noch am Tag zuvor bezeichnete der Manager Dave Clark den Konzern als "Bernie Sanders der Arbeitgeber". Nun sollen interne Dokumente belegen, dass Amazon schon seit Monaten über das Problem Bescheid wusste, berichtet "The Intercept".

Die Praxis sei aufgrund des hohen Drucks, bestimmte Quoten zu erfüllen, so weitverbreitet, dass Manager sie häufig in Meetings, Dokumenten und E-Mails erwähnten, die den Berichterstattern zur Verfügung stehen. Die Unternehmensführung wusste also offenbar von den Problemen, unternahm jedoch nichts, um den Druck auf die Mitarbeiter zu verringern. In einigen Fällen sollen Arbeiter deshalb sogar in Taschen defäkiert haben.

"Öffentliche Defäkation"

Ein Dokument aus dem Jänner ist als "vertraulich" gekennzeichnet und listet eine Reihe von Regelbrüchen durch Amazon-Mitarbeiter auf. Mit dabei: "öffentliches Urinieren" und "öffentliche Defäkation". Ebenso veröffentlicht wurde die E-Mail eines Logistikmanagers aus dem Mai, in der Mitarbeiter für entsprechende Vergehen gezüchtigt wurden. "Heute Abend entdeckte ein Mitarbeiter menschliche Fäkalien in einer Amazon-Tüte, die von einem Fahrer zur Station zurückgebracht wurde."

Dies sei das dritte Mal in den vergangenen zwei Monaten gewesen, dass mit Fäkalien gefüllte Tüten zurückgebracht worden seien, heißt es weiter. Zudem sei in letzter Zeit ein Anstieg aller Art von unhygienischem Müll festgestellt worden, der in Fahrzeugen hinterlassen werde. "Durch Scannen des QR-Codes auf der Tasche können wir leicht den Fahrer identifizieren, der zuletzt im Besitz der Tasche war. Diese Verhaltensweisen sind inakzeptabel."

Während das Unternehmen diese Praktiken offenbar unterbinden will, spricht eine ehemalige Amazon-Fahrerin von einem Zwang, wenn man den eigenen Job nicht verlieren wolle. Das "geschieht, weil wir buchstäblich dazu gezwungen werden, sonst verlieren wir am Ende unseren Job wegen zu vieler nicht zugestellter Pakete", erklärt die 26-jährige US-Amerikanerin Halie Marie Brown, die bis Mitte März Amazon-Pakete auslieferte.

Widersprüchliche Anordnungen

Interne Dokumente bezeichnen die Praktiken unterdessen als "Tier 1"-Verstoß, der laut Mitarbeitern zur Kündigung führen kann. Dies sei jedoch unhaltbar, weil die Auslieferer ihre Quoten ansonsten gar nicht erfüllen könnten. "Sie geben uns 30 Minuten bezahlte Pause, aber du kannst deine Arbeit nicht beenden, wenn du sie wahrnimmst, egal wie schnell du bist", sagte ein Amazon-Fahrer aus Massachusetts zu den Berichterstattern. Die Anforderungen sollen im Laufe der letzten Jahre zudem sogar angestiegen sein.

Diese Kontroverse reiht sich in eine Reihe von Vorwürfen gegenüber Amazon ein. Erst am Mittwoch berichtete der STANDARD darüber, dass sich bestätigte, dass Paketauslieferer in den USA unter permanente Kameraüberwachung gestellt werden. Dabei soll nicht nur die Identität des Fahrers festgestellt werden, sondern unter anderem auch der genaue Fahrtweg, die Geschwindigkeit und die Beschleunigung gemessen werden. (mick, 26.3.2021)