Nach viereinhalbjährigen Verhandlungen fand der Brexit mit einem Handels- und Kooperationsabkommen (HKA) zu Weihnachten des Vorjahrs seinen Abschluss. Die Folgen für beide Parteien für den bilateralen Handel und die jeweilige Wohlfahrt sind schwer abschätzbar, handelt es sich doch um ein einmaliges Politik-Experiment. Wenn es Verlierer geben wird, ist das vor allem das Vereinigte Königreich. Zwar gibt es im Warenhandel keine neuen Zölle und Quoten, doch führen neue Handelshemmnisse (wie etwa Zollkontrollen) zu Einschränkungen für den grenzüberschreitenden Handel.

Die meisten Studien, die das HKA analysieren, finden, dass das Vereinigte Königreich mittelfristig die größten gesamtwirtschaftlichen Verluste erleiden dürfte (rund 3,5 Prozent reales BIP), gefolgt von Irland (-2,5 Prozent). Die EU27 und Österreich sind gesamtwirtschaftlich kaum betroffen. Sektoral gibt es aber erhebliche Unterschiede. So dürfte im bilateralen Handel Österreich–Vereinigtes Königreich der Sektor Landwirtschaft am stärksten beeinträchtigt werden.

Kein Doomsday, aber deutliche Schwächung

Entgegen den Doomsday-Prognosen hat sich die Wirtschaft des Vereinigten Königreichs seit dem Referendum 2016 nicht in eine Rezession manövriert, ist aber deutlich schwächer gewachsen als in Vergleichsländern und auch langsamer als in den Jahren davor.

Nach dem Referendum, also zwischen dem 2. Quartal 2016 und dem 4. Quartal 2019, wuchs das reale BIP im Vereinigten Königreich mit 1,5 Prozent pro Jahr langsamer als in der Eurozone (+1,9 Prozent) und in Österreich (+2,1 Prozent). Die Corona-Pandemie hat das Vereinigte Königreich besonders hart getroffen: Sein reales BIP schrumpfte um 9,9 Prozent, in der Eurozone "nur" um 6,8 Prozent und in Österreich um 6,6 Prozent.

Die unsicheren Erwartungen, wie der Brexit letztlich ausfallen würde – "hart" (ohne Handelsabkommen mit der EU) oder "weich" (mit einem wie auch immer gearteten Abkommen) –, verunsicherten sowohl (ausländische) Arbeitnehmer als auch ausländische Investoren. Auf jeden Fall kam es seit 2016 zu einer deutlichen Abwanderung aus dem Vereinigten Königreich. Die Netto-Migration von Arbeitnehmern ging zurück. Seit dem Referendum 2016 kam es auch zu einem Netto-Kapitalabfluss aus dem Vereinigten Königreich beziehungsweise zu einem deutlichen Rückgang ausländischer Direktinvestitionen (FDI).

Das Vereinigte Königreich steht seit Jahren im Ring mit der EU.
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Das Vereinigte Königreich, die EU und Österreich

Die Handelsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sind asymmetrisch. Für das Vereinigte Königreich ist die EU mit einem Exportanteil von 46 Prozent wichtiger als umgekehrt (Exportanteil 15 Prozent). Im Extra-EU27-Handel ist das Vereinigte Königreich im Export der zweitwichtigste Handelspartner nach den USA. Importseitig rangiert das Vereinigte Königreich (zehn Prozent) an dritter Stelle nach China (19 Prozent) und den USA (zwölf Prozent). Die EU27 erzielten 2019 im Handel mit dem Vereinigten Königreich einen Überschuss von 124 Milliarden Euro.

Für Österreich rangiert das Vereinigte Königreich ex aequo mit China mit einem Anteil der Gesamtexporte von 2,9 Prozent (Daten von 2019) an neunter Stelle hinter Deutschland (29,3 Prozent), den USA und Italien (jeweils rund 6,5 Prozent), der Schweiz (4,7 Prozent) und Frankreich (4,4 Prozent) sowie Polen, Tschechien und Ungarn. Österreich exportierte 2019 Waren um 4,5 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich, importierte von dort aber nur Waren um 2,8 Milliarden Euro und erwirtschaftete damit einen Handelsbilanzüberschuss von 1,7 Milliarden Euro.

Mehr als die Hälfte der österreichischen Exporte in das Vereinigte Königreich (53 Prozent) machen Maschinen und Fahrzeuge aus. Kfz-Exporte betragen 25,5 Prozent (Autozulieferungen 7,1 Prozent). Die zweitwichtigste Exportkategorie ist Bearbeitete Waren (18,9 Prozent), gefolgt von Konsumwaren (11,3 Prozent). Österreich importiert aus dem Vereinigten Königreich ebenfalls vorwiegen Maschinen und Fahrzeuge (Importanteil 52,7 Prozent). Die zweitwichtigste Importkategorie ist Chemiewaren (16,9 Prozent), gefolgt von Konsumwaren (12,2 Prozent).

Blick nach vorne richten

Eine nachträgliche Motivsuche für den Brexit ist müßig; jetzt müssen sich beide Parteien damit abfinden und das Beste daraus machen. Ob das gelingt, wird die Zukunft zeigen. Im Austrittsabkommen, in der Politischen Erklärung und im HKA sind wichtige Ansätze für eine gedeihliche Zukunft für beide Seiten formuliert. Sie müssen nur noch in die Tat umgesetzt werden.

"Die Folgen des Brexit für Österreich und die EU": Im FIW-Policy-Brief 49 des "Forschungsschwerpunkt Internationale Wirtschaft (FIW)" gibt der Autor einen Überblick über die zeitliche Abfolge und Geschichte des Brexits und erläutert im Anschluss die wesentlichen Inhalte des Handels- und Kooperationsabkommens. Zudem wird ein Überblick über die ersten Studien zu den ökonomischen Auswirkungen des HKA und die politischen Folgen des Brexits gegeben. (Fritz Breuss, 30.3.2021)