Neapel hat der Welt Pizza, Ragù und Büffelmozzarella geschenkt, eine seiner größten kulinarischen Köstlichkeiten aber ist außerhalb der Stadt fast unbekannt: die Pastiera, der traditionelle neapolitanische Osterkuchen.

Äußerlich ist eine Pastiera pures Understatement: ein runder, flacher Mürbteigkuchen, nur mit einigen gerippten Teigstreifen verziert. Geschmacklich aber hat sie einiges zu bieten: Gut gemacht ist sie die Tortenversion eines blühenden Zitrushains: wollüstig, aber nicht schwer, erfrischend, voller verschiedener Zitrusaromen und aufregender Konsistenzen. Man schmeckt ihr die arabische Vergangenheit Süditaliens an, genauso wie die Wintersonne, die die Zitrusfrüchte reifen ließ. Sie wird hier ehrfurchtsvoll "regina delle torte" genannt, die Königin der Torten.

Foto: Tobias Müller

Ich bin an sich kein großer Tortenfan, und neapolitanische Süßspeisen finde ich ob des obszönen Zuckereinsatzes oft ganz besonders scheußlich – Pastiera aber kann ich schwer widerstehen (Fußnote).

Eine klassische Pastiera ist eine Art eleganter, arabisch angehauchter Cheesecake: Möglichst frische Ricotta wird mit Zucker, Eiern und geschälten Weizenkörnern gemischt, die vorher mehrere Tage eingeweicht und dann in Milch und Gewürzen weichgekocht wurden. Die Masse wird schließlich mit Zitrusschalen und/oder Blütenwasser aromatisiert, mit kandierten Zitrusschalen gemischt und in einer Mürbteigtarte gebacken.

Foto: Macchi di Pace

Wie fast alle neapolitanischen Desserts stammt auch die Pastiera aus dem Kloster: Die Brüder von San Gregorio Armeno, einem Barockkloster mit prächtigem Zitrusgarten mitten in der Altstadt, beanspruchen für sich, als Erste Pastiera gebacken zu haben. Der Name geht wohl darauf zurück, dass sie einst nicht mit Weizenkörnern, sondern Pasta gefüllt wurde. In Neapel ist diese Tradition ausgestorben, im Cilento aber, der wunderschönen, wilden Gegend etwa zwei Stunden südlich der Stadt, wird bis heute eine Pastiera di Spaghetti Dolce gebacken.

Obwohl jede Pasticceria und viele Bäckereien in Neapel Pastiera anbieten, behaupten Neapolitaner steif und fest, dass gekaufte Pastiera nie gut sei. "Machen wir immer selbst!" oder "Essen wir nur bei Mama!" sind die ewigen Antworten auf die Frage, wo es denn die beste gebe.

Foto: Tobias Müller

Das folgende Rezept stammt daher auch nicht von der Pasticceria Scaturchio, der berühmtesten Pastiera-Bäckerei der Stadt (deren Pastiera mir tatsächlich viel zu süß ist), sondern mehr oder weniger von Rita Pacifico aus Ercolano, einem Vorort von Neapel.

Rita war, als wir gebacken haben, 93 Jahre alt und buk immer noch jedes Jahr mindestens zwölf Pastiere (Pastieras?) für ihre erweiterte Großfamilie (ich hoffe, sie tut es immer noch). Nach langem Betteln und Flehen durfte ich sie für eine Geschichte im "Falstaff Rezepte"-Heft mit einer befreundeten Fotografin besuchen und mit ihr Pastiera backen.

Rita Pacifico mit ihrer Pastiera.
Foto: Macchi di Pace

Es ist deshalb mehr oder weniger Ritas Rezept, weil Rita wie alle neapolitanischen Großmütter nicht wirklich nach Rezept, sondern mehr nach Gefühl bäckt – "facciamo a occhio", das machen wir mit den Augen, ist in Neapel eine beliebte Mengenangabe. Glücklicherweise ist Pastiera eine relativ verzeihende Torte. Ich habe es, als ich ihre Pastiera nachgebacken habe, ähnlich gehalten.

Die Pastiera war ein Erstlingswerk für mein Neapelbuch und hat trotzdem tadellos geklappt.

Pastiera für mindestens acht Esser

Das größte Problem, vor dem ein Pastiera-Bäcker außerhalb Italiens steht, ist, den passenden Weizen für die Füllung zu bekommen. Die Weizenkörner müssen geschält sein, damit sie die richtige Konsistenz entwickeln – Coleman Andrews empfiehlt in seinem Buch "Naples at Table" Graupen/Rollgerste oder Reis als Ersatz.

Der Weizen wird hier zur Osterzeit bereits eingeweicht im Glas verkauft. Wenn Sie trockene Weizenkörner verwenden, legen Sie sie vor dem Backen ein paar Tage in Wasser ein, dass Sie einmal am Tag wechseln.

Foto: Tobias Müller

Der Teig ist ein klassischer Mürbteig. Ich habe ein knappes Kilo für eine Tortenform mit 28 cm Durchmesser verwendet und meinen bereits fertig in der Bäckerei gekauft. Wer ihn selber machen will, für den stehen hier auch noch Nonna Ritas Angaben.

Für den Teig

  • 2 Eier
  • 2 Eigelb
  • 200 g Butter
  • 500 g Mehl
  • 150 g Zucker
  • 1 Prise Salz

Für die Füllung

  • 400 g geschälte, eingeweichte Weizenkörner
  • 600 ml Milch
  • 50 g Butter
  • 1 Stange Zimt
  • Schale einer Orange oder, in meinem Fall, Bitterorange, gerieben
  • etwas Salz
  • 300 g frische Ricotta
  • 100 g Zucker
  • 4 Eier, getrennt in Eigelb und Eiklar
  • Schale einer Zitrone, gerieben
  • kandierte Zitrusschale, in kleinen Stücke geschnitten, oder, in meinem Fall, frische Kumquat

Für den Teig Butter und Eier möglichst kalt stellen. Mehl, Zucker und Salz gut mischen. Butter mit einem Messer oder Teigschaber in kleine Stücke schneiden.

Foto: Macchi di Pace

Alle Zutaten mischen und kneten, bis ein Teig entsteht. Nicht zu viel kneten, er soll gerade zusammenhalten.

Weizenkörner, Milch, Butter, Zimt, Orangenschale und Salz in einen Topf geben. Die Mischung zum Kochen bringen und unter häufigem Rühren köcheln, bis sie zu einer Art Creme eingedickt ist, noch, aber nicht mehr sehr flüssig. Von der Hitze nehmen und auf Zimmertemperatur auskühlen lassen.

Foto: Tobias Müller

Inzwischen eine Tortenform mit dem Teig auslegen. In Neapel werden einfache Blechformen verwendet, aber jede andere tut's natürlich auch. Aus den Teigresten Streifen schneiden und für später aufheben.

Foto: Macchi di Pace

Ricotta, Zucker, Zitronenschale und Eigelb zu einer Creme rühren. Wenn der Weizen ausgekühlt ist, gemeinsam mit den kandierten Zitrusfrüchten ebenfalls einrühren. Eiweiß steif schlagen und vorsichtig unter die Masse heben.

Foto: Tobias Müller

Backrohr auf 180 Grad vorheizen.

Die Füllung in die ausgelegte Tortenform gießen und glatt streichen. Mit den Teigstreifen belegen, sodass ein Karomuster entsteht (das ist ganz wichtig für Neapolitaner. Ohne die Streifen ist es vielleicht ein Ricotta-Kuchen, aber keine Pastiera).

Foto: Macchi di Pace

Auf mittlerer Stufe etwa 50 Minuten backen, bis die Oberfläche schön gebräunt und der Teig knusprig ist. Herausnehmen und vor dem Anschneiden auskühlen lassen und eventuell mit Staubzucker bestreuen.

Die Pastiera von Rita.
Foto: Macchi di Pace

Fußnote: Ebenfalls ganz köstlich ist ihr bescheidener Bruder Migliaccio, ein Ricotta-Gries-Kuchen, der zur Karnevalszeit serviert wird. Dazu vielleicht ein anderes Mal mehr.

(Tobias Müller, 28.3.2021)