Wer wissen will, was nach Corona kommt, sollte den Beschwichtigungsversuchen der Obrigkeit nicht allzu sehr vertrauen. Aber was immer auch kommt, es wird Normalität sein, ob die alte, ob eine neue oder sonst was. Mehrere Philosophen haben diese Woche ihre Gedanken zur Qualität der Nach-Corona-Normalität der Öffentlichkeit unterbreitet, und die haben sich deutlich von denen des Bundeskanzlers und anderer Regierungsmitglieder unterschieden.

"Fatal und verantwortungslos, Herr Bundeskanzler"

Klar, Österreich ist vom platonischen Ideal einer Regierung der Philosophen ein Stück entfernt. Keiner hat das gründlicher durchschaut als Michael Jeannée, der Sebastian Kurz ankreidete: Leider haben Sie gesagt, dass wir im Sommer zur Normalität zurückkehren. Leider ist das fatal und verantwortungslos, Herr Bundeskanzler.

Weniger auf das Persönliche, mehr auf das Wesentliche zielte "News" ab, das den Erfinder der "Neuen Normalität" präsentieren konnte, den Wiener Sprachphilosophen Paul Sailer-Wlasits. Berührt vom Wirken Donald Trumps, kam er zu der Erkenntnis: Eine "Neue Normalität" beinhaltet kaum Gutes, sie ist keine schöne, erbauliche, sondern eher eine dystopische Perspektive, das heißt eine Schreckensvision. Verständlich, dass eine sensible Natur wie Jeannée seine Kanzlerverehrung ein wenig zurückschraubte, ließ Kurz doch offen, welche Normalität er meint.

Schlagworte im Vulgär-Eintopf

Was die "Neue Normalität" betrifft, bereitet Sailer-Wlasits der Missbrauch seiner Schöpfung Sorge. Kaum geschöpft, gibt es Ärger. Plötzlich gab es wieder Pressekonferenzen und Stellungnahmen, in denen etliche Minister im deutschsprachigen Raum – übrigens fast alles Männer – die Phrase der "Neuen Normalität" einfach so, ohne sie kritisch zu hinterfragen, verwendeten. Weil sie als Schlagwort gut klingt, vermutlich.

Nein – sicher. Minister werden nicht dafür bezahlt, Phrasen kritisch zu hinterfragen, sondern dafür, kostenlos von ihnen Gebrauch zu machen. Das wirklich Schockierende ist jedoch, dass quer durch das gesamte Parteienspektrum Österreichs dieser kommunikative Vulgär-Eintopf funktioniert. Ausbaden müssen es die Opfer. Es wird zu stärkeren Ungleichheiten im Wohlstandsgefälle kommen. Auch die Zugänge zur Bildung werden schwieriger, (...) das digitale Ausgeschlossenwerden vollzieht sich lautlos. Gerade das macht die "Neue Normalität" ja so gefährlich. Nur wenige Menschen werden der kommenden Entindividualisierung entgehen.

Dornröschen und die Seuche

Mit besseren Nachrichten konnte auch der Sozialphilosoph Alfred Pfabigan im "Profil" mit seinen Anmerkungen zur kommenden Normalität nicht aufwarten. Die Vorstellung, dass wir unser altes Leben zurückbekommen würden, erinnert ja zunächst an Walt Disneys Verfilmung des Märchens vom Dornröschen. Aber ist es nicht gerade die Fantasie vom wiedergewonnenen alten Leben, die (...) bewirkt, dass wir in die Krise nach Corona ähnlich unvorbereitet schlittern wie in die Seuche?

Gewiss doch, denn es werden wohl die gleichen Amtsinhaber, die sich in den Zeiten von Corona nicht sonderlich bewährt haben, die Periode "post Coronam" managen. Und wie auch immer sie mit der Hecke der Gebrüder Grimm zurande kommen: Das Ergebnis wird unsere neue Normalität sein.

Jeannee und die Schreckensvision

Michael Jeannée muss gespürt haben, welche Schreckensvision in Kurzens Versprechen einer Rückkehr zur Normalität im Sommer verborgen ist, als er ihn der Verantwortungslosigkeit bezichtigte. Doch rasch obsiegte in ihm wieder das Gespür für die Redaktionslinie. Sei er doch einer, der Sie für hochbegabt, motiviert und anständig hält. Der an Sie glaubt. An Ihre Bestimmung, diesem Land mit seiner Tatkraft, seiner Entschlossenheit, seinem Patriotismus zu dienen.

Nicht genug damit. Sie sind für mich alternativlos. Nein, Sebastian, für mich sind Sie kein eitler Selbstdarsteller, Schaumschläger, Intrigant, Reserve-Christus, Showmaster oder der "Florian Silbereisen der Politik", wie Hans Peter Doskozil (...), sondern die Chance, die unser gebeuteltes Land hat. Ein Politiker, der es ehrlich meint, ein Überzeugter und Überzeuger. Ein Glücksfall. Und daher bin ich jetzt erschüttert, kann es nicht glauben, grüble, wie Philosophen das nun einmal tun. Sind Sie am Ende doch nicht der, für den ich Sie halte? Im Sommer weiß ich mehr.

Man muss aber nicht schockiert sein, dass dieser kommunikative Vulgär-Eintopf in der "Krone" funktioniert. Die hierzulande praktizierte Inhaltslosigkeit dürfte eigentlich gar nicht von so großen Teilen der Bevölkerung akzeptiert werden, beklagte der Erfinder der "Neuen Normalität". Doch diese Schreckensvision wird uns erhalten bleiben. (Günter Traxler, 27.3.2021)

Die Fortsetzung: "Lieber Sebastian Kurz", zweiter Teil," folgte umgehend Michael Jeannées Zweifeln in der "Krone", denn wenn ein "Krone"-Postler zweifelt...
Foto: Faksimile Krone (fid)
... dann ruft der Kanzler den Zweifler an und erklärt ihm, wie es wirklich sein wird mit der Normalität.
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