Auf Datingplattformen wie Tinder soll eine 26-Jährige zahlreiche falsche Profile ihrer Beziehungsvorgängerin erstellt haben, in denen Männern Sex gegen Geld angeboten wurde.

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Wien – Die nüchternen Zahlen zeigen, was Frau B. im Mai und Dezember 2020 durchgemacht haben muss. "Die Anrufe kann ich nicht mehr nachvollziehen, aber 275 Männer haben mich schriftlich kontaktiert", erzählt die 26 Jahre alte Zeugin Richterin Elisabeth Reich. "Im August hat mich ein Nachbar, der zwei Stiegen weiter wohnt, angesprochen, warum ich ihm im Mai nicht geantwortet habe und ob ich kein Interesse hätte." Interesse an Geld für Sex, wie B. es mit 15 Konten auf diversen Datingplattformen angeboten haben soll. Konten, die sie nie angelegt hat, sondern die das Werk der ebenfalls 26 Jahre alten Leyla O. sein sollen, die wegen beharrlicher Verfolgung angeklagt ist.

Die Verbindung zwischen den beiden Frauen ist ein Mann, Herr M., 28 Jahre alt. Er ist der Vater des Kindes von B. und war danach 2017 und 2018 der Lebensgefährte der Angeklagten. "Kennen Sie Frau B.?", fragt die Richterin die Angeklagte, die sich mit Verve nicht schuldig bekennt. "Ich habe sie einmal gesehen", erklärt die Unbescholtene. Und einmal habe sie während ihrer Beziehung mit M. der Vorgängerin eine Whatsapp-Nachricht geschickt.

"Funsn" und "fleckige Mumu"

Reich fragt O. nach ihrer damaligen Handynummer, an die sie sich nicht mehr erinnern kann. Dann zitiert die Richterin aus einer längeren Whatsapp-Kommunikation mit eher rauem Umgangston. "'Funsn' kommt sehr oft vor", bemerkt Reich beim Überfliegen, aber auch die Bezeichnung "du fleckige Mumu". An den Satz "Du hast ihn nach der Schwangerschaft betrogen, du peinliches Stück" kann sich die Angeklagte erinnern – ja, das sei die Nachricht gewesen, die sie B. vor Jahren geschickt habe.

"Na ja, das ist aber nicht eine Nachricht, das sind viele. Frau B. antwortet nur auf wenige, aber Sie haben mehr als eine geschrieben", sagt die Richterin. O. behauptet, M. habe ihr die Formulierungen damals aufgetragen: "Ich war damals sehr beeinflussbar." B. hat noch weitere Nachrichten vorgelegt, die Reich vorhält: Von der Anrede "Hey Bitch!" über "Du hast ihn betrogen und wolltest ihn back" bis zu "kleine durchgepuderte Fleckige" finden sich Verbalinjurien.

Angeklagte bekam bereits dreimal Diversion

"Waren Sie eifersüchtig?", will die Richterin von der Angeklagten wissen. "Nein", antwortet die Arbeitslose knapp. "Na ja, ich habe nachgeschaut, sie haben bereit dreimal eine Diversion bekommen, immer wieder bei Körperverletzungsgeschichten mit Herrn M.", verweist Reich auf die Vorgeschichte. "War es eine sehr intensive Beziehung zu M.?" Die Angeklagte weicht aus, betont, dass sie mit sieben Geschwistern und ohne Vater aufgewachsen sei und M. sie immer zu Unrecht angezeigt habe, da er ihr noch Geld schulde.

Wie kommt die Staatsanwaltschaft aber nun auf die Idee, dass O. hinter den zahlreichen Fake-Profilen von B. steckt? Nach dem Auftauchen der falschen Konten im Mai zeigte B. den Sachverhalt bei der Polizei an und nannte die Angeklagte als mögliche Verursacherin. Das Verfahren wurde eingestellt, allerdings bekam O. den Akt zugeschickt. Und wegen eines Fehlers der Exekutive war dort die Adresse von B. nicht geschwärzt. Nun muss man wissen, dass in den falschen Profilen im Mai die berufliche Telefonnummer und die Büroadresse von B. verwendet wurden. Im Dezember war es plötzlich die Wohnadresse.

Mobiltelefon eines 81-jährigen Bekannten

Und noch ein belastendes Indiz gibt es: Eines der Profile im Mai wurde vom Telefon eines 81-jährigen Unternehmers aus angelegt. Den kannte O. über ihre Schwester, sie hatte damals häufig Kontakt mit dem Mann. "Sie war sehr nett und freundlich", sagt der 81-Jährige als Zeuge über die Angeklagte. Er könne aber nicht ausschließen, dass sie Zugang zu seinem Mobiltelefon hatte – das Passwort war sein Geburtstag. Frau B. habe er in seinem Leben noch nie gesehen, betont er auch.

B.s Privatbeteiligtenvertreter fällt noch etwas auf: Auf einem der Fake-Profile ist ein bearbeitetes Foto seiner Mandantin, auf dem ein Pfeil in ihre Intimregion zeigt und daneben "Fleck" steht. Da O. die Vorgängerin eingestandenermaßen als "fleckige Mumu" bezeichnet hat, fragt er die Angeklagte, ob sie eine Erklärung für die seltsame Fotobeschriftung hat. Hat sie nicht.

Die Gestalkte will nur in Abwesenheit der Angeklagten aussagen, die daraufhin bei offener Tür im Nebenraum Platz nimmt. Richterin Reich ermahnt O., dass sie sich während B.s Aussage nicht bemerkbar machen darf, was diese dreimal ignoriert, indem sie ihren Unmut kundtut.

Kunde informierte Vorgesetzten des Opfers

B. erzählt, dass ein Kunde sogar ihren Chef auf eine der falschen Anzeigen aufmerksam gemacht habe, wonach sie bezahlten Sex auch im Büro anbiete. Sie habe sich schließlich nicht einmal mehr getraut, den Firmenwagen zu benutzen, um nicht in Verbindung mit der Anzeige gebracht zu werden. "Wenn ich mir denke, dass mich hunderte Männer kontaktiert haben, will ich nicht wissen, wie viele die Anzeigen insgesamt gesehen haben!", ist B. noch immer verstört.

Herr M. bestreitet als Zeuge, seiner Ex-Partnerin O. je irgendeine Nachricht an B. diktiert zu haben. Er kann sich aber erinnern, dass O. ihm im vergangenen Herbst verraten habe, sie wisse nun, wo B. wohne. Die Frage des Staatsanwalts, ob O. in der Beziehung andere Frauen als "Funsn" oder "fleckige Mumu" bezeichnet hat, verneint er.

In ihrem Schlusswort hält die ohne Verteidigerin erschienene Angeklagte nochmals fest: "Ich war das nicht, mehr kann ich dazu nicht sagen." Die Richterin glaubt ihr das zu O.s Empörung nicht: "Ich bin zweifelsfrei zur Überzeugung gekommen, dass Sie es gemacht haben!", begründet Reich ihr Urteil von drei Monaten bedingt plus 700 der geforderten 6000 Euro an Frau B., die Privatbeteiligte.

Angeklagte ist empört

"Man kann doch niemanden ins Gefängnis stecken, wenn es keine Beweise gibt! Wir sind hier in Österreich!", echauffiert sich die Angeklagte. "Ich werde Einspruch erheben! Ich will erst mit meinem Anwalt reden, ich habe eh einen Anwalt!", kündigt sie an. Der Staatsanwalt kündigt ebenso Berufung gegen die Strafhöhe an, das Urteil ist daher nicht rechtskräftig. O. lässt sich kaum mehr beruhigen: "Das ist eine Frechheit! 700 Euro soll ich der zahlen? Ich zahle gar nichts! Ich lasse zahlen!", stellt sie klar. "Ich sage 'Leben Sie wohl', denn wiedersehen will ich Sie hier nicht mehr", verabschiedet die Richterin die Angeklagte. "Wir sehen uns sicher wieder!", zischt diese, als sie den Saal verlässt. (Michael Möseneder, 26.3.2021)