An der Aufnahme

Sonja Watzinger stellt sicher, dass Suchtkranke Hilfe finden

In ihrer Beobachtung seien Suchterkrankungen durch die Pandemie gestiegen, sagt Sonja Watzinger.
Foto: Regine Hendrich

Als die Pandemie Österreich überrollte, mussten das Anton-Proksch-Institut und Sonja Watzingers Pflegeteam umdenken. Alle anderen Anstalten für Suchtkranke nahmen keine Patientinnen und Patienten mehr auf, sie wählten einen anderen Weg.

Denn bei Suchtkranken könne man die Maßnahmen nicht aufschieben, sagt die Leiterin der Corona-Aufnahmestation: "Im Gegenteil, sie sind durch Corona zum Teil tiefer in die Sucht hineingerutscht." Es ging also darum, eine Lösung zu finden, um weiter stationäre Behandlung anzubieten.

Das einzig freistehende Gebäude auf dem Gelände des Anton-Proksch-Institutes wurde innerhalb kurzer Zeit zur Aufnahmestation umfunktioniert. "Niemand hat damals gewusst, wie wir die Aufnahmen Corona-konform gestalten können, und auch nicht, wie lange wir in dieser Situation sein werden", sagt sie. Mittlerweile habe es sich gut eingespielt, die Station blieb. Leicht sei das am Anfang nicht gewesen.

Das Team musste das Therapieangebot so gestalten, dass es auch Nutzen für die Patientinnen und Patienten hat und Pflegepersonal wie auch Therapeutinnen und Therapeuten gut geschützt sind, sagt die 49-Jährige. In voller Schutzausrüstung wurden beim Check-in PCR-Tests abgenommen, nach fünf Tagen im Einzelzimmer mit Zimmerservice folgte der zweite Test. War auch der negativ, konnte man in den Therapiebereich wechseln.

Besonders im Sommer sei die Schutzkleidung auch körperlich anstrengend gewesen, erzählt Watzinger. Für die Patientinnen und Patienten sei es befremdlich gewesen. "Im Suchtbereich suchen wir das Persönliche – Schutzkleidung verbreitet eher Schrecken als Sicherheit", sagt sie. Seit Herbst sind die Regeln etwas lockerer. Nach dem ersten negativen PCR-Test wechselt man in ein Doppelzimmer. Dort muss dann Maske getragen werden, wenn man das Zimmer verlässt. Das Essen gibt es im Zimmer, und auch die Visite passiert dort.

1100 Patientinnen und Patienten wurden seit dem Start der Station aufgenommen. In ihrer Beobachtung seien Suchterkrankungen durch die Pandemie gestiegen, sagt Watzinger. Menschen würden, wenn sie etwa ihren Job verlieren oder in Beziehungskrisen geraten, oft "in Suchtverhalten rutschen". (Oona Kroisleitner)


Den ganzen Tag am Testen

Viktoria arbeitet im Covid-Labor eines Spitals

Viktoria arbeitet in einem Covid-Labor. Vom Telefon hat sie Albträume.
Foto: Andy Urban

Früher machte Viktoria hämatologische Analysen und Lipidanalysen, da untersuchte sie Rückenmarksproben und verfolgte danach, wie sich die Werte der Patientinnen und Patienten entwickelten. Das hat sie gelernt, das macht ihr Spaß.

Nun ist in dem Labor in einem Wiener Krankenhaus, in dem sie arbeitet, Corona das allumfassende Thema. "Und es hört nie auf, man ist nie fertig", erzählt sie. Jetzt kommt am Telefon stets dieselbe Frage: Wie lange dauert der Corona-Test noch? "Wir haben mehrere Telefone, und eins läutet immer", sagt die 28-Jährige: "Der Klingelton macht Albträume."

In dem Labor werden die Corona-Tests aller Patientinnen und Patienten ausgewertet, von Corona-Stationen und von regulären Stationen. "Und am schlimmsten ist, wenn ein Fall auftaucht von einer Station, in der vorher keiner positiv war", sagt Viktoria. "Dann geht es los, dann sind alle involviert, alle werden getestet. Dann läuft vielleicht noch was aus, dann muss alles desinfiziert werden."

Zu alledem kommen Ausfälle, weil eine Kollegin oder ein Kollege zur Kontaktperson wurde: "Spontaner Urlaub, das geht gar nicht mehr." Und doch hat sich im letzten Jahr einiges verändert – nicht zuletzt, weil Viktoria mittlerweile geimpft wurde. Früher fasste sie die Proben von potenziell Infizierten nur mit mehreren Paar Handschuhen an, mittlerweile sank die Angst davor. "Und wenn ich einmal huste, dann denke ich an eine Erkältung, nicht mehr an Corona", sagt sie.

Viktoria meint, die Pflegerinnen und Pfleger hätten die Anerkennung für das, was sie tun, viel mehr verdient als sie. Aber Wertschätzung, so sagt sie, bekomme sie kaum. "Dass jemand sagt: ‚Cool, dass du das machst‘, das hab ich noch nie gehört." Im Gegenteil: "Am Anfang hatten manche Leute Angst vor mir, weil sie dachten, ich sei ansteckend." Auch für jene, die im Labor anrufen, ist die eigene Arbeit oft unsichtbar: "Keiner weiß, dass die Leute bei uns auch nicht aus dem Boden schießen."

Wenn Viktoria in die Zukunft blickt, dann macht ihr Sorgen, dass die Maskenpflicht bleiben könnte. Zwölf Stunden am Tag, in Nachtschichten sogar 16 Stunden lang die Maske zu tragen, "das schlägt aufs Gemüt", sagt sie. Und: "Ich würde mir wünschen, dass einmal ein paar Stunden vergehen, in denen kein Corona-Test daherkommt." (Gabriele Scherndl)


Am Ende der Leitung

Katharina Marek-Baudisch berät bei der Sorgenhotline

Marek-Baudisch spricht mit Anrufern und Anruferinnen über ihre Sorgen.
Foto: Regine Hendrich

Wenn das Telefon bei Katharina Marek-Baudisch klingelt, hat jemand Sorgen. Seit rund einem Jahr hebt die Psychotherapeutin bei der Corona-Sorgenhotline ab. Mehr als 9800 Anrufe haben sie und ihre Kolleginnen und Kollegen seither entgegengenommen.

Ein Gespräch dauert im Schnitt zwischen 20 und 30 Minuten. Die Nummer wurde von der Stadt Wien wegen der wachsenden Verunsicherung in der Corona-Pandemie ins Leben gerufen. Die Beratung reicht von allgemeinen Fragen rund um die Impfung, Testung und Quarantäne bis hin zu großen oder kleinen psychischen Krisen. "Wir hören den Menschen zunächst einmal nur zu. Sehr oft gelingt es uns, die Situation abzufangen und die Symptome zu lindern."

Welche das sind? Die Anruferinnen und Anrufer beschrieben "vermehrt Angst und Angstzustände". Viele hätten Sorge, dass "das Leben nicht gut weitergehen kann, dass sie sich mit Corona anstecken könnten oder dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren", sagt die 52-Jährige. Durch die Pandemie würden "Ängste getriggert, die oft aber schon geschlummert haben", sagte sie: "Corona ist ein Brennglas für Ängste."

Was man dagegen tun könnte? "Da kann man kein Kochrezept geben", sagt die Psychotherapeutin. Jede Person brauche ein individuelles Vorgehen. Sie biete vor allem einen "bewertungsfreien Raum an" und nehme die Anrufer ernst, sagt sie: "Damit die Enge ein Stückchen an Weite gewinnt und man wieder handlungsfähig wird." Insgesamt rufen etwas mehr Frauen als Männer an, meist im Alter zwischen 20 und 60 Jahren. Wenn Menschen in einer schwereren Krise stecken, organisieren Marek-Baudisch und ihre Kolleginnen und Kollegen längerfristige professionelle Unterstützung. (Oona Kroisleitner)

Corona-Sorgenhotline: 01/400053000
Montag bis Sonntag: 8 bis 20 Uhr


DJs als Lebensretter

Patricia und Daniel testen und reanimieren in Tirol

Wen die beiden retten, der kann sagen: "Last night a DJ saved my life."
Foto: Florian Lechner

Gut 6000 Nasenabstriche hat Patricia Peer bereits abgenommen. Seit dem Vorjahr ist sie als hauptberufliche Sanitäterin beim Roten Kreuz in Hall in Tirol – vornehmlich in Teststraßen und dem mobilen Screeningteam – tätig. Ihr Lebensgefährte Daniel Sailer arbeitet seit Jahren als Notfallsanitäter in derselben Dienststelle. Die Pandemie hat das Berufs- und Privatleben der beiden 33-Jährigen nachhaltig verändert. Vor allem ihr wichtigster Ausgleich, als nebenberufliche DJs die Clubs von Innsbruck über Wien bis Berlin zum Beben zu bringen, ist weggefallen.

Daniel ist Mitbegründer des Bonanza-Festivals und der Sonnendeck-Veranstaltungsreihe in Innsbruck. Seit über einem Jahr legen die beiden aber nur mehr im ganz exklusiven Kreis zu Hause, für sich und ihre kleine Tochter Klara, Musik auf. Der Dienst im Notarztwagen ist durch die Schutzmaßnahmen noch stressiger geworden, erzählt Daniel: "In Notfallsituationen muss der Eigenschutz bisweilen hintangestellt werden." Das bereitet ihm Sorgen. "Weniger um mich selbst als um die Familie." Denn auf seine Impfung musste der Notfallsanitäter lange warten.

Patricia hat sich im vergangenen Herbst selbst mit dem Coronavirus infiziert. Zum Glück hatte sie einen milden Verlauf. Zwar vermissen die beiden ihr altes Leben hinter den Turntables. Doch sie versuchen das Beste aus der Krise zu machen: "Die Pandemie hat uns als Familie zusammengeschweißt." Wie wichtig das ist, sehen sie täglich im Job: "Die meisten Menschen haben mehr Angst vor der Einsamkeit in der Isolation daheim oder im Spital als vor einer Corona-Infektion." (Steffen Arora)


Zurück aus der Pension

Dagmar Reinmüller hilft in "ihrem" Spital wieder mit

Die Pensionistin Dagmar Reinmüller ist wegen Corona wieder im Spitalsdienst.
Foto: privat

Sie kommt gerade vom Laufen. "Im Hintergrund der Grimming, schönes Frühlingswetter, es ist herrlich in der Natur", sagt Dagmar Reinmüller. Sie fühle sich "körperlich und geistig total fit".

Deswegen habe sie auch keine Minute gezögert, wieder in den Spitalsdienst zu gehen, als sie von der steirischen Spitals holding Kages gefragt wurde, ob sie im Rottenmanner Spital mithelfen könne.

Seit drei Jahren ist die 61-jährige diplomierte Krankenschwester in Pension. "Aber wenn man mich braucht, bin ich da. Ich hatte eh schon ein schlechtes Gewissen, dass ich fit herumlaufe und nichts mache." Das hat sich jetzt grundlegend verändert. Täglich fährt Frau Reinmüller mit dem Auto von Aigen im steirischen Ennstal zu ihrer Dienststelle nach Rottenmann. Dienstbeginn: sechs Uhr früh. "Es ist wie früher, als sei ich nicht weggewesen." Heute betreut die aus dem Ruhestand zurückgeholte Krankenschwester in der eigens eingerichteten Ambulanz die Covid-Testungen und Impfungen. "Ich sehe, was hier im Spital geleistet wird. Das Gefühl, wieder mithelfen zu können, ist wunderschön", sagt Frau Reinmüller.

Sie begann mit 40 Prozent der alten Arbeitszeit, jetzt sind es schon längst wieder 100 Prozent, und das werde auch bis auf weiteres so bleiben. "Ich will so lange bleiben, solange man mich braucht. Auch in der Intensivpflege. Ich hab mich jetzt eh drei Jahre ausgerastet." (Walter Müller)


Der fröhliche Tester

Alexander Handl führt einfühlsam das Wattestäbchen

Der Rettungssanitäter bohrt täglich in anderer Menschen Nase.
Foto: Regine Hendrich

Wenn sich die Tür zum Seiteneingang der Apotheke Dr. Hartl im zweiten Wiener Gemeindebezirk öffnet, ist man gleich ein bisschen besser gelaunt. Denn da, im Türrahmen, steht Alexander Handl, 22 Jahre jung, und strahlt über das ganze Gesicht. Nicht, dass man das direkt sehen könnte – Handl sieht aus wie ein Raumfahrer, er steckt im typischen weißen Seuchenschutzanzug des Gesundheitspersonals, den mittlerweile jedes Kind in Wien kennt. Und er trägt Maske. Aber darunter, das sieht man, ist ein freundliches, fröhliches Gesicht. Und er hat eine Stimme, die skeptische Testpersonen aufmuntert – an jedem Tag, zu jeder Stunde, im Rahmen der Apothekenöffnungszeiten natürlich.

Das ist nicht selbstverständlich, denn Handls momentaner Job ist alles andere als erbaulich. Tag für Tag bohrt er fremden Menschen in der Nase. Der Wiener, Rettungssanitäter beim Samariterbund, ist seit Mitte Dezember an die gut frequentierte Apotheke in der Engerthstraße "ausgeborgt", um dort Corona-Schnelltests durchzuführen. Bis zu neun Stunden täglich steht er im Hinterzimmer der Apotheke und nimmt Proben, immer gut gelaunt. Zwischen 9500 und 10.000 Proben von Nasenschleimhäuten habe er bereits abgenommen, schätzt er selbst. Die Testungen funktionieren einwandfrei: Man meldet sich in der Apotheke an, füllt einmal ein Datenblatt aus – und schon darf man um die Ecke gehen, zu Handl, der einfühlsam das Wattestäbchen führt. Knapp zehn Minuten später kommt das (hoffentlich negative) Testergebnis aufs Handy.

Handl hat die Gabe, dass sich Menschen bei ihm entspannen. "Was darf ich Ihnen heute Gutes tun, welches Nasenloch darf’s sein?", fragt er lächelnd. Danach "Kopf nach hinten beugen, darf ich mit meiner Hand stützen?", "Tut gar nicht weh!". Tatsächlich geht’s schnell und kratzt nur ein bisschen. Die Kunden würden ihn mögen, weil er ihnen die Angst nehme, erzählen sie in der Apotheke. Handl sagt, das größte Kompliment habe er von einem Kind aus dem Grätzel bekommen: "Du machst das super, ich komm nur mehr zu dir."

Auch Handl freut sich, wenn "das alles" vorbei ist. Dann möchte er Medizin studieren. Die Aufnahmeprüfung hat er bereits geschrieben, jetzt hofft er, anders als seine Kunden, dass dieser Test für ihn nicht negativ ausfällt. (Petra Stuiber)


Pfarrer mit Schutzanzug

Christoph Buchinger kennt Sorgen und Nasenschleim

Der Pfarrer hilft seiner Gemeinde in der Teststraße und in der Kirche.
Foto: privat

Wenn Christoph Buchinger als Seelsorger zu Covid-Patienten gerufen wird, fällt ihm das Anlegen der Schutzkleidung nicht schwer. Immerhin ist der 41-jährige Priester auch diplomierter Krankenpfleger – er findet sich in Spitälern ebenso gut zurecht wie in seiner Pfarre im oberösterreichischen Frankenburg. "Seelsorge lebt vom direkten Kontakt, von der Berührung und Begegnung mit Menschen. Im Ganzkörperanzug ist das eine große Herausforderung", erzählt Buchinger.

Medizinische Erfahrung mit dem Virus hat er seit mittlerweile mehr als einem Jahr. Während der ersten Welle meldete er sich als Freiwilliger beim Roten Kreuz, um etwas gegen den wegen Grenzschließungen dräuenden Pflegenotstand zu unternehmen. Im Herbst hatte er dann häufiger mit Nasenschleim als mit Weihwasser zu tun, da er während des zweiten Lockdowns Abstriche in der örtlichen Teststraße abnahm.

An Corona führt auch bei den Predigten in den Gottesdiensten kein Weg vorbei, die derzeit wieder mit physischer Präsenz stattfinden. Dass die Pandemie in Buchingers Gemeinde wie vielerorts gewütet hat, zeigt sich nicht zuletzt den zahlreichen Beerdigungen von Covid-Toten, die er in den vergangenen Monaten leiten musste. Aktuell mache sich eine gewisse Resignation breit, berichtet der Pfarrer – in seinem Beruf gleichsam professioneller Zuhörer. Grund dafür seien etwa geplante Hochzeiten, die wegen der geschlossenen Gastronomie nicht und nicht stattfinden können.

Als Pfarrer sei es aber auch seine Aufgabe, Hoffnung zu geben und eine größere Perspektive zu vermitteln. "Ich versuche daher, in den Predigten ganz bewusst Corona manchmal auszusparen." (Theo Anders, 28.3.2021)