Corinna Kamper sitzt oft im Auto. Die 26-Jährige pendelt zwischen Graz und Bruck/Mur. Wenn am Sonntag die Formel-1- Saison startet, muss die ehemalige Rennfahrerin auch öfters nach Wien. Die Steirerin ist Teil des neuen ORF-Expertenteams.

STANDARD: Was ist das Konzept hinter dem ORF-Format "Formel 1 Motorhome"?

Kamper: Es geht vor allem darum, mehr darüber zu erfahren, was im Rennen passiert. Es ist eine detaillierte Zusammenfassung, auch wenn sich diese zwei Wörter nicht unmittelbar vertragen. Warum haben die Fahrer, die Teams das jetzt so und nicht anders gemacht? Es geht darum, die Perspektiven zu erweitern und zu erklären.

STANDARD: Was ist Ihre Rolle?

Kamper: Bianca Steiner und ich filtern und beantworten Social-Media-Fragen und werden versuchen, die Fahrer-Perspektive einzubringen.

Corinna Kamper fuhr während ihrer aktiven Karriere in mehreren Formel-Rennserien. Entdeckt wurde sie gewissermaßen von der Motorrad-Legende August Auinger.
Foto: Otmar Winterleitner

STANDARD: Leidet der Motorsport darunter, dass man nicht immer nachvollziehen kann, was da eigentlich passiert?

Kamper: Ja. Es sind lange Rennen, und als Zuschauer glaubt man über weite Strecken, dass nichts passiert, dabei passiert da gerade so viel. Es ist auch ein Blick hinter die Kulissen. Bei zehn Teams und zwanzig Fahrern geht es dort nämlich richtig ab. Der größte Rivale ist immer der Teamkollege.

STANDARD: Wie sind Sie selbst zum Motorsport gekommen?

Kamper: Als ich sechs Jahre alt war, hat mich eine Freundin gefragt, ob ich mit zum Kartfahren kommen will. Und es hat mir so Spaß gemacht, dass ich weitermachen wollte. Der Papa ist dann mitgekommen, ich war ein paar Mal fahren, und irgendwann stand dann Motorrad-Legende Gustl Auinger neben meinem Vater an der Strecke, sah mich und sagte zu ihm: ‚Unterstütz den Buben, das wird schon was.‘

STANDARD: Und wurde es etwas?

Kamper: Wir haben später ein eigenes Kart gefunden, und ich wollte Rennen fahren. Bei meinem ersten Race wurde ich fünfmal überrundet, bei meinem zweiten einmal, und mein drittes Rennen habe ich gewonnen. Dann kam der Formel-Sport, ich wurde in die McLaren-Akademie aufgenommen – als einzige Frau damals. Seit sechs Jahren bin ich aber ohne Cockpit.

STANDARD: Geld regiert nicht nur, aber besonders den Motorsport.

Kamper: Ja leider, das ist auch der Grund, warum ich derzeit kein Cockpit habe. In Österreich musst du jemanden finden, der dich komplett unterstützt. Ich hatte zwar damals Sponsoren, aber ohne Eigenfinanzierung geht es nicht. Und dass dich dann diese eine Person sponsert oder dich auch mehrere Personen unterstützen, ist sehr schwierig – gerade in den weniger bekannten Rennserien.

STANDARD: Die unbekannteren Serien sind fernab vom medialen Schuss.

Kamper: Wenn mich jemand gefragt hat, was ich denn gefahren bin, antwortete ich: "Formel Renault, Formel ADAC, Formel BMW." Dann kam meistens "Aha, aber Formel 3 bist du auch gefahren?" Das Problem am Motorsport ist, dass man neben der Formel 1 die Formel 3, ein bisschen die Formel 2 und auch die DTM kennt.

STANDARD: Wie lief es in der Formel Renault?

Kamper: Ich war in einem super Team, aber man merkt schnell, dass hier der finanzielle Background schlagend wird. Entweder, man hat ein unfassbares Talent, setzt sich in den Wagen und liefert Zeiten, oder man braucht eben Training, Übung und das Geld dafür. 200.000 Euro, 300.000 Euro, 400.000 Euro sind da nichts. Wenn man es nicht hat, ist man irgendwann im Mittelfeld gefangen. Es ist ein Teufelskreis.

Die Steirerin ist neben Ferdinand Habsburg, Robert Lechner und Bianca Steiner Teil der neuen ORF-Expertise. In Zweierteams begleiten die das Renngeschehen im neuen Format "Formel 1 Motorhome"
Foto: ORF

STANDARD: Sie haben das Rennauto also endgültig in der Garage geparkt?

Kamper: Nein, ich bin hin und wieder noch immer bei Testfahrten, versuche nicht aus der Übung zu kommen. Ich bin in einem Alter, in dem sicher noch was geht.

STANDARD: Ist die Angst beim Rennsport ständiger Beifahrer?

Kamper: Mein Papa hat immer gesagt: "Es ist gescheiter, du gibst Vollgas, und es passiert was, statt du fährst nur in der Mitte mit."

STANDARD: Wilder Papa.

Kamper: Man muss immer an die Grenzen gehen, sonst hat man keine Chance. Angst hatte ich nie, ich dachte mir aber manchmal im Nachhinein: "Oh, das hätte blöd ausgehen können." Wenn man Angst hat, dass etwas passiert, dann passiert auch etwas, und wenn man sich dann ärgert, dass etwas runtergefallen ist, fällt gleich noch etwas runter. Der Respekt ist da, aber keine Angst.

STANDARD: Was erwarten Sie von der Formel-1-Saison?

Kamper: Das ist eine sehr gute Frage.

STANDARD: Und so überraschend.

Kamper: Wie aus dem Nichts. Es gibt viele Fragezeichen für die neue Saison: Was bringen die neuen Teams, die neuen Fahrer? Wann ist Max Verstappen reif für den WM-Titel? Was gelingt Mick Schumacher? Ich bin gespannt auf die Entwicklungen, erwarte mir Action und Spannung.

STANDARD: In den vergangenen Jahren war die Spannung stark von der Mercedes-Dominanz beeinträchtigt.

Kamper: Ich habe größten Respekt davor, was Mercedes über diesen konstanten Zeitraum geschafft hat. Aber für die Spannung wäre es super, wenn mehrere Teams mitmischen könnten.

STANDARD: Der große Schockmoment der vergangenen Saison war der Unfall von Romain Grosjean.

Kamper: Ich kann mich noch genau erinnern, als ich den Unfall gesehen habe, und mir dachte: "Scheiße." Es gibt kein schöneres Wort dafür. Es zeigt, wie gefährlich der Sport sein kann und wie wichtig der Halo ist.

STANDARD: Es gab bei der Einführung der sogenannten sekundären Überrollstruktur auch Kritik.

"Für viele war das große Ziel, sich nur ja nicht vom Mädchen überholen zu lassen."
Foto: privat

Kamper: Ja, aber die Zeit für Brot und Spiele ist vorbei. Natürlich ist die Nostalgie um Senna und Lauda schön, aber wir entwickeln uns in allen Lebenslagen weiter, also auch im Rennsport. Oder will man sich bei jedem Rennen Sorgen machen, dass es wieder einer nicht überlebt?

STANDARD: Sophia Flörsch fährt die kommende Saison in der DTM, Maya Weug wurde als erste Frau ins Ferrari-Nachwuchsprogramm aufgenommen. Wird der Motorsport weiblicher?

Kamper: Es ist noch ein sehr weiter Weg, weil wir noch immer in den Geschlechterrollen gefangen sind. Es ist nach wie vor verankert, dass man mit einem sechsjährigen Mädchen nicht Kart fahren geht. Aber es tut sich etwas: Als ich mit dem Rennsport begann, gab es in Österreich vielleicht ein, zwei Mädels und das war’s. Das ist jetzt besser.

STANDARD: Wie ist man Ihnen während Ihrer Karriere begegnet?

Kamper: Die anderen Fahrer waren entweder extrem freundlich oder ziemlich feindselig. Für viele war das große Ziel, sich nur ja nicht vom Mädchen überholen zu lassen. Spannend war auch, welche Fragen gekommen sind: Den Buben wurden meistens technische Fragen gestellt und mir eher: "Was ist denn deine Lieblingsstrecke?" Am Ende des Tages waren wir aber alle Rennfahrer. (Andreas Hagenauer, 27.3.2021)