Der "Ostgipfel" war für den Gesundheitsminister nervenaufreibend. Trotz Engpässen in den Intensivstationen musste er den Ländern zunächst einmal Öffnungen ausreden.

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Das Corona-Management läuft nicht rund. Die Impfstoffbeschaffung gerät zur politischen Farce, das Impfen selbst geht vielen viel zu langsam voran, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sind unkoordiniert. Warum ist das so?

1. Das schwierige Verhältnis Bund und Länder

Im Tauziehen zwischen Bund und Ländern um die richtige Dosierung der Maßnahmen scheinen die Landeshauptleute den kräftigeren Arm zu haben. Gesundheitsminister Rudolf Anschober kann sich regelmäßig nicht durchsetzen. Das liegt zum einen an ihm selbst, weil er den Konsens sucht und alle "mitnehmen" will, zum anderen aber auch daran, dass Anschober gegen die Übermacht der Landeschef meist allein auf weiter Flur steht. Der türkise Kanzler Sebastian Kurz lässt den grünen Gesundheitsminister dabei im Regen stehen. Im Ernstfall starrt auch Kurz auf die Popularitätswerte.

Was dabei rauskommt, konnte man beim dreitägigen Ostgipfel nachvollziehen, als sich Wien, Niederösterreich und das Burgenland auf einen Minimalkompromiss einigten, den Anschober abnickte.

Der Minister hätte am Papier alle Möglichkeiten, sich durchzusetzen, in Österreichs Realverfassung haben aber die Länder das Sagen. Da stellt der Wiener Bürgermeister fest, was er zuzulassen bereit ist und was nicht. Das machen alle so, ob schwarz, türkis oder rot. Im Burgenland schafft Hans Peter Doskozil an, in Vorarlberg Markus Wallner. Und allen versucht die Regierung entgegenzukommen, um den Frieden zu wahren.

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Überlässt Bundeskanzler Sebastian Kurz seinen Gesundheitsminister in den Verhandlungen mit den Landeschefs zu sehr sich selbst? Oft hat es jedenfalls den Eindruck, dass Anschober der Rückhalt fehlt. Hinter den Kulissen soll sich aber auch der ÖVP-Chef immer wieder in dieser Krise mit den Bundesländern schwertun.
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Dass Anschober nicht über die Landeschefs drüberfährt und ihnen härtere – und vor allem raschere – Maßnahmen aufdrückt, liegt auch daran, dass er daran glaubt, dass die Bevölkerung Verschärfungen eher mitträgt, wenn sie auch von den Landeshauptleuten akzeptiert werden. So kommt eine halbherzige Osterruhe im Osten heraus, während etwa in Salzburg, das ebenfalls ein viel zu hohes Infektionsgeschehen hat, gar nichts passiert und in Vorarlberg längst wieder die Lokale aufsperren.

Auf dem Papier sind die Landeshauptleute Organe einer mittelbaren Bundesverwaltung, müssten also umsetzen, was der Bund ihnen vorgibt. Doch inmitten des Tauziehens hat der Bund schon vieles an die Länder delegiert: Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie ebenso wie die Durchführung der Impfaktion. Beides läuft nicht rund.

2. Es knirscht zwischen Kanzler und Minister

Aber auch im Verhältnis zwischen Bundeskanzleramt und Gesundheitsministerium liegt der Hund begraben. Der hieß lange Zeit Clemens Martin Auer.

Bernhard Bonelli ist Kabinettschef von Kanzler Kurz und dessen verlängerter Arm. Bonelli nahm und nimmt an den wesentlichen Sitzungen teil, bei ihm laufen die Informationen zusammen – wenn es denn welche gibt. Genau das war das Problem von Bonelli: Auer, Sonderbeauftragter und für alle Impffragen zuständig, ist ein charmanter und charismatischer Typ, nett und lustig, rückt aber keine Informationen raus. Auer hat sich gegen jede Einmischung aus dem Kanzleramt gewehrt.

Ende Dezember wurden regelmäßige Sitzungen eingeführt, Auer fügte sich, gab aber keine Zahlen weiter. Für Bonelli ein Problem, weil es auch für seinen Chef ein Problem war: Kurz ist ein Kontrollfreak, einer, der alles wissen und verstehen will. Auer aber setzte darauf, dass man ihm vertraut – was die anderen zwangsläufig lange taten. Die regelmäßigen Aufforderungen, konkrete Zahlen auf den Tisch zu legen, palaverte Auer mit Routine zur Seite. Das "Geschwafel" nerve die Kurz-Mannschaft, aber Auer erreichte sein Ziel: Er behielt die Fakten und damit die Kontrolle bei sich.

Dass es die Möglichkeit gegeben hätte, in einer zweiten Runde auf EU-Ebene mehr Impfstoff zu ordern, hat Auer nicht mitgeteilt. Bonelli nicht, aber auch nicht seinem eigenen Minister Anschober. Auer ging davon aus, dass er, also Österreich, ohnedies mehr als genug Impfstoff bestellt habe. Und wann der komme, sei letztlich nicht entscheidend. Auf ein paar Monate auf oder ab komme es nicht an – aus politischer Sicht ist das Harakiri.

Clemens Martin Auer hat sich gegen jede Einmischung aus dem Kanzleramt gewehrt.
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Kurz kam erst während seiner Israel-Reise Anfang März am Beispiel von Dänemark darauf, dass andere EU-Staaten kurzfristig offenbar über mehr Impfstoff verfügen und das Durchimpfen ihrer Bevölkerung zügiger abschließen können. Kurz wollte eine Erklärung. Und die genauen Zahlen.

Erst als sich Stefan Wallner, Generalsekretär im grünen Vizekanzleramt, einschaltete, übermittelte Ruperta Lichtenecker, Kabinettschefin bei Anschober, ihrem Kollegen im Kanzleramt die genauen Tabellen, was bestellt wurde – und was nicht. Dass es eine zweite Runde gegeben hatte, in der noch bestellt werden konnte – und zwar "much as possible", wie andere Staaten das taten – war weder dem Kanzler noch dem Gesundheitsminister bekannt.

Der Verteilungsschlüssel nach der Bevölkerungsgröße war damit zwar nicht außer Kraft gesetzt, aber doch ordentlich verrückt. Kurz ging an die Decke, als Auer schließlich erklärte, warum er – also Österreich – von dieser Option nicht Gebrauch gemacht hatte. Anschober selbst war nicht erreichbar, weil nach einem Schwächeanfall im Krankenhaus.

Warum Anschober so lange an Auer festhielt, obwohl diesem auch der verpatzte Impfstart angelastet wurde, fragen sich viele. Eine Erklärung aus dem Haus: Als Anschober Minister wurde, nahm Auer ihn an der Hand, erklärte ihm alles, machte ihn mit den wesentlichen Personen bekannt. Daraus entstand ein tiefes Vertrauensverhältnis. Vielleicht war das auch mit ein Grund, warum sich Anschober nie die Verträge über die Impfstoffbeschaffung angeschaut hatte – er vertraute Auer zur Gänze.

Nun nicht mehr. Als Sonderbeauftragter ist Auer Geschichte. Er soll seinen Rückzug selbst angeboten haben, um den koalitionären Zank zu entkrampfen. Mittlerweile haben Sektionschefin Barbara Kaudel aus dem Kabinett von Kurz und Katharina Reich, Generaldirektorin für die Öffentliche Gesundheit, die Zügel in die Hand genommen, sie leiten die täglichen gemeinsamen Sitzungen zwischen den Ressorts und schauen, dass der vorhandene Impfstoff auch tatsächlich verimpft wird. Wenn die Chefs nicht involviert sind und sich nicht einmischen, funktioniert die Achse zwischen Ballhausplatz und Stubenring mittlerweile wie geschmiert.

3. In Anschobers Ressort läufts nicht rund

Spitzenjobs im Gesundheitsministerium sind schwierige Aufgaben. Sowohl Reich als auch Auer bekamen das zu spüren, als sie in heiklen Momenten vom Minister vorgeschickt wurden. Beide Male eskalierte die Situation völlig.

Rückblende auf einen Tag vor ziemlich genau einem Jahr: Der umstrittene Ostererlass war gerade Thema und die Bevölkerung zutiefst verunsichert. Hätte man sich die ganze entbehrliche Zeit tatsächlich mit anderen treffen dürfen? Oder steht demnächst die Polizei beim Osteressen vor der Tür? Es war jener Punkt, an dem die Stimmung im Land kippte und ein ruhiger, besonnener Gesundheitsminister gefragt war. Doch im ORF sprach Auer. Und der legte einen teils stammelnden, teils süffisanten, stets widersprüchlichen Auftritt hin, der darin gipfelte, dass er die Frage "Darf ich jemanden zum Kaffee einladen?" nicht beantworten konnte.

Monate später mokierte sich das Land über die extrem zögerlich anlaufenden, aber medienwirksam verabreichten Impfungen, als die frisch ins Amt des Chief Medical Director gehievte Reich die verheerenden Worte "Wir liegen genau im Plan" sprach. Noch bevor das Fernsehinterview aufgenommen wurde, liefen im Kanzleramt die Telefone heiß, um die Impfaktion zu beschleunigen – Reich war offenbar nicht informiert.

Zu allen Problemen gesellt sich, dass Anschober sein eigenes Ressort vernachlässigt haben dürfte. Wenn man ins Ministerium hineinfragt, hört man viel Frust. Für die Beamten im Haus habe er sich nie wirklich interessiert, wird ihm nachgesagt. Was man im Kabinett mit Hinweis auf die fehlende Zeit durch das Pandemie-Management bedauert, fassen Teile der Belegschaft als fehlende Wertschätzung auf.

Katharina Reich, Chief Medical Officer, bekam zu spüren, dass Spitzenjobs im Gesundheitsministerium keine leichten Aufgaben sind.
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Nicht zuletzt herrschten Angst und Verunsicherung im Haus, seit Anschober im vergangenen Jahr aus Sicht mancher Beamten die Schuld für die vermurksten Verordnungen ihnen die Schuhe schob und daraufhin die Sektionen umbauen ließ. Auch das soll nicht friktionsfrei abgelaufen sein und brachte Verlierer mit sich. Bis heute sind obendrein Leitungspositionen in Ministeriumsbereichen unbesetzt.

Der verletzte Stolz mancher sorgt in Teilen des Hauses jedenfalls dafür, dass sich viele Gerüchte durch die Gänge schlängeln. Was mitunter für Gesprächsstoff sorgt: Der Minister soll im Ärger ziemlich laut werden. Das gilt auch für seine Kabinettschefin. "Es fürchten sich die eigenen Leute", wird erzählt. Etwas weniger emotional heißt es, dass halt auch ein Anschober einmal granteln kann.

Corpsgeist im Ministerium

Das ist allerdings nicht die einzige Erzählart. Beobachter meinen, zwar würden die Nerven blank liegen, aber der Chef sei beliebt – mitunter aus einer Not heraus: Weil man in permanenten Verhandlungen mit anderen Ministerien sei, habe sich im Gesundheitsressort ein Corpsgeist entwickelt.

Die Rechtsabteilung jedenfalls arbeitet seit Monaten am Anschlag. Rund um die Uhr werden Mails verschickt, egal ob sonntags oder zwei Uhr morgens. Spätestens als der Verfassungsgerichtshof die erste Lockdown-Verordnung in der Luft zerriss, wollte der Minister kein Risiko mehr eingehen. Das nahm er persönlich, Anschober macht Sachen gerne richtig. Immerhin ist er es, der seinen Namen daruntersetzen muss – auch wenn die Handschrift am Ende durchaus türkis ausfällt. VfGH-Urteile, die noch folgten, zeigen, wie wenig das gelang.

Dass der Minister sich absichert, Entwürfe mehrmals prüfen lässt, sieht von außen nach Zögerlichkeit aus. Im Inneren aber fehlt es schlicht an Verfassungsjuristen. Gerhard Aigner, einst Leiter der Sektion Öffentliche Gesundheit, hatte diesen Bereich völlig an sich gezogen – als er ging, blieb die Lücke.

Anschobers Gegner zweifeln allerdings auch an der Fähigkeit seines Kabinetts. Selbst Wohlgesinnte meinen, die Leute des Kanzlers seien schneidige Typen, die wüssten, wie sie auftreten, während das Kabinett Anschober zuallererst höflich und respektvoll sei – nicht die Art Menschen, die auf den Tisch hauen.

Was das Kabinett aber nicht daran hindern soll, mit einem erhöhten Zeitdruck Aufgaben an die Beamten zu delegieren und diese als erweitertes Ministerbüro anzusehen. Oft genug habe das Personal im Haus von Regierungsplänen aus den Medien erfahren, wird zudem geätzt. Der Gipfel dessen: Beim Freitesten, das der Kanzler großspurig und unerwartet im ORF ankündigte, hätte die Rechtsabteilung einen unmöglichen Spagat hinlegen müssen. Dass die Opposition die Pläne zerschmetterte, kam da nur recht.

Genauso soll es aber auch vorgekommen sein, dass Anschobers Kabinett fachliche und juristische Entwürfe zum Ärger der Beamten nach eigenem Gutdünken überarbeitet. Immerhin habe das Kabinett die politische Letztverantwortung, ist die logische Entgegnung. Und an dessen Spitze steht allerdings, so der Eindruck in der Öffentlichkeit, ein zahnloser Papiertiger, der seine Ohnmacht offen vor sich herträgt. (Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl, Michael Völker, 27.3.2021)