Billige Bekenntnismode eines mit dem Kopf in der Schlinge steckenden Richters (Klaus Müller-Beck, mit Markus Ransmayr).

Foto: Herwig Prammer

Getarnt als Streitigkeit um ein in die Brüche gegangenes Tongefäß hat Heinrich von Kleist anno 1808 das Exempel eines #MeToo-Falles verhandelt. Besonders pikant: In Der zerbrochne Krug ist der Richter selbst der Übeltäter, der nun über sich zu urteilen hätte und natürlich alle Fantasie in Bewegung setzt, um von sich abzulenken. Nach einem nächtlichen sexuellen Überfall bei Eve musste er überstürzt fliehen und stieß beim Erhaschen seiner abgelegten Richterperücke nämlichen Krug zu Boden.

Nach dem Sprung aus dem Fenster blieb der Dorfrichter Adam samt Haarteil aber in den Weinstauden hängen und bekam, ohne von jenem erkannt zu werden, auch noch zwei deftige Schläge von Eves Bräutigam Ruprecht übergezogen, der auch grad vorbeikam. Und weil bei der richterlichen Anhörung leider ein strenger Revisor ins Haus steht, kommt die Sache in voller Breite auf den Tisch.

Unterschriftchen

Dank dem generischen Maskulinum sind bei "der Gerichtsrat" die Frauen ja mitgemeint. Deshalb steht am Landestheater Linz mit Katharina Hofmann eine Rätin auf der Matte, die sich mal ansehen will, wie im Städtchen Huisum für gewöhnlich so Gerichtstag gehalten wird. Und so sind wir schon mitten drin in einer exegetisch ausgezeichneten Inszenierung von Bérénice Hebenstreit, die den Text ausgehend von in ihm enthaltenen Hinweisen ein Stück weitergedreht hat in unsere Zeit.

In Linz hat Eve die narrativen Zügel in der Hand. In einem Prolog erzählt die junge Frau (Theresa Palfi) die entscheidende Vorgeschichte. Dass nämlich der Richter ihr anbot, den Bräutigam vom Kriegsdienst zu befreien. Dass es so ein Unterschriftchen indes nicht gratis gibt, musste sie nächtens dann realisieren. "Me too" aber kann sie nicht ausrufen, weil sie ihren Pakt (den Bräutigam retten) keinesfalls gefährden will, und von der Übergriffigkeit auch ungern öffentlich erzählt. Eve hat kapiert, wie‘s läuft, doch die Regeln gefallen ihr gar nicht.

Die Inszenierung folgt in feierlicher Strenge dem schönen alten Blankvers, den das Ensemble mit Urvertrauen eingeatmet hat – und ihn zugleich ganz heutig klingen lässt. Es gelingt so der Brückenschlag eines kanonisierten, 200 Jahre alten Textes in die Gegenwart auf voller Strecke. Nichts geht verloren, höchstens ein paar verstaubte Damen-Seufzer. Text wird sachte umgeschichtet. So ist es zum Beispiel Eve selbst, die den lüsternen Richter und seine grindige Anmachprosa mit benetzten Lippen imitiert: "Na, du armes Ding..." und dadurch die Deutungshoheit über das Vorgefallene erhält.

"We are all feminists"

Der Lustspiel-Anteil des Dramas kommt ebenso zu seinem Recht. In einem Ensemble, das sich auch über den Bildschirm als hervorragend eingespielt und motiviert zeigt, fängt die Kamera exquisites, nie überdosiertes Minenspiel ein, insbesondere beim Dorfrichter (Klaus Müller-Beck), der bei jedem neuen Indiz, das gegen ihn spricht, einen famos lächerlichen Kontrollblick um sich wirft. Und dabei trägt der Mann zur Sicherheit eh ein "We are all feminists"-T-Shirt als Unterleiberl! Bekenntnismode ist eben keinen Kreuzer wert.

Das Verhördrama geht auf einer erhobenen rechteckigen Freifläche über die Bühne, vor der auf einer Stele der titelgebende zerbrochene Krug thront. Hebenstreit inszeniert mit filmaffiner pochender Musik (von Boris Fiala) und harten Lichtschnitten, die Rückblenden oder Stimmen im Kopf andeuten. Dass diese Eve aufs Ganze geht und sie sich am Ende als kapitalismus- und kolonialismuskritische Kämpferin outet, ist einem Epilog von Carolyn Amann zu verdanken. Frau Gerichtsrätin Walter, die das alles auch nicht wollte, versuchte Eve am Ende nämlich mit Geld zu trösten. Falsch gedacht. (Margarete Affenzeller, 27.3.2021)