Thomas Schmid wollte schon Öbag-Chef werden, als die Öbag noch gar nicht existierte.

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Sie werden für einigen Gesprächsstoff sorgen, die Chats, mit denen sich der Ibiza-U-Ausschuss demnächst beschäftigen wird. Und sie werden ein grelles Licht auf jene Postenbesetzungen werfen, über die die türkis-blaue Regierung in den Jahren 2018 und 2019 entschieden hat. Da ging es etwa um die Besetzung des Chefsessels der staatlichen Beteiligungholding Öbag (mit Thomas Schmid, davor Generalsekretär und Kabinettschef im Finanzministerium), um diverse Aufsichtsratsjobs oder die Vorstandsbestellung in der teilstaatlichen Casinos Austria AG, zu deren Finanzvorstand Ex-FPÖ-Bezirksrat Peter Sidlo wurde und der die Causa Postenschacher ihren Ursprung verdankt.

Angesichts dieser Bestellung im Frühjahr 2019 und nach einer anonymen Anzeige hat ja die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ihre Ermittlungen aufgenommen. Sie geht dem Verdacht nach, ob dahinter ein verbotener Deal zwischen Novomatic (war damals Casinos-Aktionärin und hat Sidlos Bewerbung unterstützt) und FPÖ verborgen war. Die Beschuldigten bestreiten diese Vorwürfe. Zudem geht es um die Frage, ob die Koalitionspartner die Bestellung des freiheitlichen Sidlo mit jener Schmids (ÖVP) verschränkt hatten.

Eine Wirtschaftsexpertin der WKStA hat die Vorgänge anhand von Datenauswertungen untersucht; die Daten stammen zum Großteil aus Schmids Handy, das Ende 2019 beschlagnahmt worden war, und aus seinem Kalender. Zwar hat der Manager sein Mobiltelefon zurückgesetzt bzw. Nachrichten gelöscht, die Forensiker konnten freilich sehr viele davon wiederherstellen. Chats mit fast 80 Personen finden sich in der Expertise wieder, darunter mit Unternehmern, Lobbyisten, Journalisten und natürlich Politikern, wie zuerst die "Presse" berichtete. Der Aufsichrsrat stellte sich am Montag hinter Schmid, er sieht keinen Abberufungsgrund.

Die große Personalsuche

Die Erkenntnisse der Expertin sind in zwei Kapiteln auf 187 Seiten zusammengefasst: Im ersten geht es um die "Vorstandsbestellung von MMag. Schmid bei der Öbag", im zweiten um die "Befassung von MMag. Schmid mit 'Postenbesetzungswünschen' Dritter". Und derer gab es etliche.

Kurz zur zeitlichen Einordnung: Nach dem Platzen der rot-schwarzen Regierung fanden am 15. Oktober 2017 Neuwahlen statt, die ÖVP unter ihrem neuen Obmann Sebastian Kurz gewann mit 31,5 Prozent der Stimmen, die FPÖ bekam 26 Prozent. Am 25. Oktober begannen die Koalitionsverhandlungen der "neuen ÖVP" mit den Freiheitlichen, am 18. Dezember gelobte Bundespräsident Alexander Van der Bellen die türkis-blaue Regierung an.

Begonnen hat die große Personalsuche freilich schon im Juni 2017, wie die Recherchen der Wirtschaftsexpertin ergaben. Da habe Kurz (er war im Mai zum neuen ÖVP-Obmann gekürt worden) dem Finanz-Generalsekretär Schmid den Auftrag gegeben, sich des Themas staatliche Beteiligungen anzunehmen. Ab November wurde die FPÖ eingebunden, ging es doch um die Aufteilung, wer welche Jobs besetzen darf. Auf der einen Seite kümmerte sich der damals 42-jährige Tiroler Schmid, der einst als Sprecher von Finanzminister Karl-Heinz Grasser in die Politik gekommen war; auf der FPÖ-Seite war es Arnold Schiefer, der ebenfalls Anfang der 2000er-Jahre unter Schwarz-Blau seine Karriere begonnen hatte.

Schon im November 2017 dürfte es wie am Schnürchen gelaufen sein, "cooler Deal für ÖVP", schrieb Schmid damals an Kurz, der wenig später Kanzler werden sollte. Die FPÖ zeigte sich mit den Plänen, die damalige Staatsholding Öbib GmbH in eine AG (Öbag) umzuwandeln, einverstanden. Bis zur Einigung über die genauen Jobzuteilungen dauerte es aber bis zum Herbst 2018.

Am 5. Oktober 2018 stand die Vereinbarung ("Sideletter") mit den Blauen, wie Schmid den damaligen Kanzleramtsminister und Regierungskoordinator Gernot Blümel wissen ließ: "Bin mit Arno durch." Wie das laut Schmid "gute Paket" aussah: türkiser Alleinvorstand bei der Öbag und zwei Aufsichtsratsposten für die FPÖ. Zudem erfolgte die Aufteilung der Posten bei der ÖBB und den Beteiligungsunternehmen der Öbag. Dort ging es um Aufsichtsratsjobs und "Top Jobs" etwa bei Bundesimmobiliengesellschaft (BIG), Casinos, OMV, Telekom Austria, Verbund und Post. Mit Argusaugen dürfte Kurz die Umsetzung kontrolliert haben. "Sebastian bezieht sich auf Regierungspapier und kritisiert Abgehen davon !!!", berichtete Finanzminister Hartwig Löger unter Berufung auf den "Sideletter" an Schmid, wobei selbiger cool blieb: "Wir haben dafür einen Vorstand."

Ingenieur der Öbag

Nicht nur bei der Postenzuteilung war Schmid federführend, sondern auch beim Umbau der Öbib zur Öbag. Noch kurz vor Ende der Koalitionsverhandlungen im Dezember 2017 hatte Schmid Kurz gebeten, die Zuständigkeit für Beteiligungen auch weiterhin im Finanzministerium zu belassen und sie nicht ins Wirtschaftsministerium zu schieben: "Wenn bei Wirtschaft (gemeint: Wirtschaftsministerium, Anm.), verschwinden die Dividenden! Dort auch schlechtes Management!", ließ er Kurz in Stakkato wissen.

Wenig später wandte er sich mit einem Hilfsansuchen an Blümel, es ging ums neue Beteiligungsgesetz. Blümel möge ihm helfen, das neue Gesetz "rasch umzusetzen! Das bist du mir echt schuldig!". Schmid schien verzweifelt zu sein ("Ich stürze mich heute in die Donau und du bist schuld!"), Blümel drückte ihm sein Verständnis aus: "Ja alles ein Schass (sic!)".

"Schmid AG"

Schmid durchlebte offenbar eine monatelange Achterbahnfahrt der Gefühle. Als der Kanzler nach Regierungsantritt anbot, mediale Spekulationen, wonach wohl Schmid neuer Öbib-Chef werde, abzufedern, geriet Schmid in Hochstimmung: "Dich zu haben ist so ein Segen! Es ist so verdammt cool jetzt im BMF (Finanzministerium; Anm.)!!! Danke Dir total dafür!!", ließ er Kurz im Februar 2018 wissen.

In diesem Monat wurde erstmals öffentlich kolportiert, dass Minister Löger die Öbib (eine GmbH ohne Durchgriffsrecht auf ihre Beteiligungen) in eine Aktiengesellschaft umwandeln wolle. Im Oktober 2018 präsentierte er dann konkrete Pläne, im Dezember wurde das Öbag-Gesetz beschlossen. "Schmid AG fertig!", kommentierte das Blümel in einer Nachricht unter Hinzufügung eines Kräftigen-Oberarm-Emojis.

"Scheiß Quote"

Nun stand die nächste Herausforderung an: Den Aufsichtsrat zu bestellen, der dann seinerseits Schmid zum Vorstandschef machen sollte. Mitte Februar 2019 stand dieser Aufsichtsrat. Bis dahin herrschten hektische Betriebsamkeit und Chaos. Eine Schlüsselrolle bei der Suche nach geeignetem Personal spielte Gabriela Spiegelfeld, Beraterin und Netzwerkerin. Sie sollte vor allem geeignete Frauen finden. Das gestaltete sich nervenaufreibend, da es etliche Absagen hagelte. "Mir gehen die Weiber so am Nerv. Scheiß Quote", schrieb sie Schmid im Jänner 2019. "Ich habe das aus einer Emotion heraus gesagt und distanziere mich von diesem Satz", sagt Spiegelfeld nun auf Anfrage des STANDARD. Sie sei davon frustriert gewesen, dass so viele Kandidatinnen abgesagt hätten.

Auch die Gewerkschaft sandte Wünsche an Schmid; besonders mit ÖGB-Chef Wolfgang Katzian stand er in regelmäßigem Kontakt. Worauf bei der Auswahl aus türkiser Perspektive besonders Wert gelegt wurde, erschließt sich aus einer Nachricht Schmids von Jänner 2019 an Kanzler Kurz. Er schwärmte ihm von einer Frau vor, die wirklich "eine Gute" sei. Sie sei Finanzexpertin, "compliant" und "steuerbar" – ein Wort, das bei türkisen Job-Discriptions eine der Hauptrollen spielte. Die weiteren Zauberworte in diesem Fall: "Raiffeisen und sehr gutes Niederösterreich-Netzwerk, sie hat für NÖ auch delikate Sachen sauber erledigt."

Bis der Aufsichtsrat am 15. Februar 2019 bestellt werden konnte, dauerte es viel länger als geplant, die Nerven lagen blank. Die favorisierte Aufsichtsratschefin sagte am letzten Tag ab, was Bernhard Bonelli aus Kurz' Kabinett als "absoluten Dilettantismus" einstufte. Aus Sigi Wolf wurde nichts, und ebensowenig aus dem ehemaligen deutschen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, den der Kanzler in letzter Minute ins Spiel gebracht hatte. Bonelli war es dann auch, der den späteren Aufsichtsratschef, Helmut Kern, fand.

"Sebastian will mich nicht gehen lassen"

Schmid war damals fast an seinem Ziel – dass er Öbag-Chef werden wollte, war ja allen klar. Schon im Dezember 2017 hatte er Schiefer geschrieben, er wolle eigentlich "so schnell wie möglich zur Öbib" wechseln, Kurz wünsche aber, dass er im Finanzministerium bleibe. Im Juni 2018 schrieb er das auch einer Kabinettsmitarbeiterin, es werde noch "viel Zeit vergehen, bevor die Öbib neu kommt" – und: "Sebastian will mich nicht gehen lassen."

Ab Sommer 2018 ging Schmid davon aus, dass er Öbag-Chef werde, heißt es in der Expertise aus der WKStA. Bereits im Juli 2018 – also lange, bevor die Ausschreibung draußen war – plante er mit seinen Vertrauten schon die personelle und räumliche Ausstattung der Öbag. Es ging um die Frage, welcher Chauffeur "mitkommt", und ums Klima – konkret den Einbau einer Klimaanlage.

Dem Zufall wurde wirklich nichts überlassen – schon gar nicht bei der Ausschreibung für den Öbag-Chefposten. In die war, wie man schon länger aus diversen Chats weiß, auch Schmid eingebunden. Eine seiner Sorgen drehte sich um die im ursprünglichen Text vorausgesetzte "Internationalität". "Ich bin aber nicht international erfahren. Ich habe immer in Österreich gearbeitet", schrieb Schmid seiner Mitarbeiterin. Das machte aber nichts: Dieser Passus flog aus dem Ausschreibungsentwurf raus.

"Familiär und gemütlich" beim ÖVP-Großspender

Auch in Finanzministerium und Kanzleramt zweifelte niemand daran, dass Kabinettschef Schmid das Rennen machen würde. Wochen vor dessen Hearing am 26. März 2019 wurde Finanzminister Hartwig Löger schon vom Kanzleramt nach Schmids Nachfolger im Kabinett gefragt. Er selbst überlegte schon fünf Tage vor dem Hearing, ob er nach seiner Bestellung gleich eine Pressekonferenz geben sollte. Und am Abend vor dem Hearing speiste Schmid noch gut, "familiär und gemütlich", bei ÖVP-Großspender Klaus Ortner, dessen Tochter kurz davor in den Öbag-Aufsichtsrat bestellt worden war. Auch Kurz dürfte es gefallen haben: "Den Kanzler erlebt man auch nicht oft so entspannt!", schrieb Schmid in seiner Dank-SMS an Klaus Ortner. Laut Schmids Kalender traf er in den knapp zwei Wochen vor seiner Bestellung "fünf der insgesamt neun Aufsichtsratsmitglieder offenbar in persönlichen Terminen", wie es im Auswertungsbericht der WKStA heißt.

"War der Beste"

Gleich nach dem Hearing schwärmte Schmid von seinem Auftritt: "Hearing ist super gelaufen. War der Beste. Trotz einiger guter Bewerber", es hätten sich nämlich "zwei top Leute aus Deutschland" beworben, wie er Gabriela Spiegelfelds Mann wissen ließ. Womit er gepunktet hatte: Dem Aufsichtsrat habe "getaugt", "dass ich das so ernst genommen habe und mich so gut vorbereitet habe".

Kurzum: Es kam also, wie es hatte kommen sollen. Am 27. März 2019 wurde Schmid zum gut dotierten Alleinvorstand der Staatsholding bestellt. Vierzehn Tage davor hatte er sich nochmals von seinem Freund, dem Kanzler, in Bezug auf seine Jobwünsche beruhigen lassen. Er bat ihn, ihn "nicht zu einem Vorstand ohne Mandate" zu machen. "Das wäre ja wie Wiener Stadtrat ohne Portfolio." Kurz versicherte unter Hinzufügung von drei Emojis mit O-Mund: "Kriegst eh alles, was du willst." Schmids Antwort: Zwei Smileys und "ich bin so glücklich :-))) Ich liebe meinen Kanzler (…)."

Opposition fordert Rücktritte

Jan Krainer, SPÖ-Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss, forderte sofortige Konsequenzen. "Finanzminister Blümel muss Schmid abberufen und dann selbst zurücktreten." Zugleich sieht Krainer Kanzler Kurz "tief verstrickt in die Affäre Schmid". "Kurz hat im Untersuchungsausschuss offensichtlich falsch ausgesagt. Er war von Anfang an eine treibende Kraft im türkisen Postenschacher zum Schaden der Republik", so Krainer.

"Das türkise Kartenhaus bricht zusammen. Postenschacher, Korruption, Anstandslosigkeit, Sexismus – alles, was wir von Anfang an im Ibiza-Untersuchungsausschuss vermuteten und wofür es schon bisher viele Hinweise gab, liegt jetzt schwarz auf weiß vor. Kurz war da immer mittendrin. Rücktritte sind überfällig", betonte Krainer.

Und auch die Neos meldeten sich zu Wort. "Einen eindeutigeren Beleg für das korrupte System Kurz gibt es nicht", so deren Generalsekretär Nick Donig. Die Bestellung von Schmid "war von Anfang an ausgepackelt". Und zwar mit der allerhöchsten Ebene, nämlich mit Kanzler Kurz und Finanzminister Blümel, so Donig am Sonntag in einer Aussendung. Deren Aussagen stünden im klaren Widerspruch zu ihren Worten unter Wahrheitspflicht im Ibiza-U-Ausschuss. "Das ist Postenschacher in Reinkultur", kritisiert Donig. Für die FPÖ sind Rücktritte "unumgänglich". (Renate Graber, Fabian Schmid, 28.3.2021)