Der Gemeine Lein (Linum usitatissimum), eine uralte Kulturpflanze, aus der Öl und Fasern gewonnen werden. Einige Varianten besitzen blaue Blüten.
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Laut unterschiedlichen Erhebungen ist Blau die am häufigsten genannte Lieblingsfarbe, bei Männern mehr noch als bei Frauen. Ansonsten zeigten Frauen insgesamt eine signifikante Tendenz zu Rottönen, die manche Forscher mit der frühen Jäger-und-Sammler-Zeit in Verbindung bringen, wo die Menschen auf der Suche nach essbaren Beeren und Früchten waren. Die Vorliebe für blau dagegen könnte einer positiven Einstellung gegenüber dem blauen Himmel entstammen.

Auch bei Blumen sind blaue Varianten oft besonders begehrt. In der romantischen Literatur gilt die blaue Blüte seit dem frühromantischen Dichter Novalis und seinem unvollendeten Roman "Heinrich von Ofterdingen" als Symbol für Sehnsucht und Liebe – hauptsächlich, weil sie in der Natur vergleichsweise selten vorkommt. Warum das so ist, hat nun ein internationales Forschungsteam genauer untersucht. Eine wichtige Rolle spielen der hohe chemische Aufwand bei der Herstellung blauer Farbpigmente, aber auch unterschiedliche Farbwahrnehmungen von Bestäuberinsekten. Für Bienen haben Blautöne einen auffälligeren Anteil an der Farbenpracht der Blüten als für das menschliche Auge.

Nur sieben Prozent

Die Wissenschafter um Anke Jentsch von der Universität Bayreuth haben umfassende Daten zur Farbe Blau in der Welt der Blütenpflanzen zusammengetragen und erstmals systematisch zueinander in Beziehung gesetzt. Eine Auswertung der TRY Plant Trait Database, einer der weltweit größten Datenbanken pflanzlicher Eigenschaften, ergab: Nur sieben Prozent aller Blütenpflanzen weltweit werden vom menschlichen Auge als blau wahrgenommen.

Aufschlussreich ist dabei eine Unterscheidung der in Europa heimischen Blütenpflanzen nach Bestäubungsart: Unter den Pflanzenarten, die hauptsächlich von Wind und Regen bestäubt werden, gibt es so gut wie keine, die dem Menschen blau erscheinen. Hingegen präsentieren sich die Blüten von 7,5 Prozent aller Blütenpflanzen, die vor allem von Insekten oder Vögeln bestäubt werden, dem Betrachter als blau.

Auch das Leberblümchen (Hepatica nobilis) zählt zu jenen wenigen Pflanzen, die blaue Blüten hervorbringen.
Foto: Anke Jentsch

"Dieser Unterschied legt die Vermutung nahe, dass die Farbwahrnehmung der bestäubenden Organismen im Verlauf der Evolution die Herausbildung von Blütenfarben wesentlich beeinflusst hat. Deshalb lohnt es sich der Frage nachzugehen, wie die Blüten von ihren jeweiligen Bestäubern wahrgenommen werden und welche Interaktionen dadurch ausgelöst werden", sagt Jentsch.

Bienen fliegen auf blaue Blüten

Schon lange ist bekannt, dass die für die Fortpflanzung vieler Blumenarten unentbehrlichen Insekten, Vögel und Fledermäuse für andere Farbspektren empfänglich sind als die Menschen. Das menschliche Auge enthält drei Typen von Photorezeptoren, die auf rotes, grünes und blaues Licht reagieren. Bienen hingegen sind für rote Farben wenig empfänglich, können weniger gut zwischen gelb und weiß unterscheiden, nehmen aber dafür Farbmuster aus dem ultravioletten Bereich wahr. Blautöne zählen zu denjenigen Bereichen des ihnen zugänglichen Spektrums, die sie mit besonderer Intensität wahrnehmen.

"Bienen sehen die Farbenpracht der Blütenpflanzen also ganz anders als andere Bestäubergruppen oder als wir Menschen. Sie werden von blauen Blüten besonders stark angezogen", sagt Jentsch. "Aus ökologischer Sicht müssten wir die Bestimmungsbücher eigentlich umschreiben. Seit Charles Darwin und Carl von Linné wird die menschliche Wahrnehmung von Blütenfarben zur Unterscheidung von Pflanzenarten herangezogen, obwohl nicht die Farbwahrnehmung der Menschen, sondern die Interaktion der Pflanzen mit den Bestäubern für die Evolution relevant ist."

Warum blaue Blumen im Gebirge häufiger sind

Die Anziehungskraft der Farbe Blau für die Bienen wirft allerdings die Frage auf, weshalb nur vergleichsweise wenige der von Insekten und Vögeln bestäubten Pflanzenarten blaue Blüten entwickelt haben. Auch hier schlagen die Forscher eine komplexe Antwort vor: Die Produktion eines blauen Blütenfarbstoffs ist für Pflanzen sehr aufwändig. An dem dafür erforderlichen chemischen Prozess sind sechs verschiedene farbgebende Substanzen, sogenannte Anthocyane, und sechs korrespondierende Moleküle beteiligt, die zusammen mit Metallionen spezielle Ringstrukturen bilden. Diesen hohen Aufwand betreiben nur solche Arten, die sich in einem harten Wettbewerb um Bestäuber durchsetzen müssen.

Der Nordische Drachenkopf (Dracocephalum ruyschiana) kommt hauptsächlich in subalpinen und alpinen Lagen vor.
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Das ist insbesondere in einigen Hochlagen von Gebirgen der Fall, beispielsweise in den europäischen Alpen oder im Himalaya. Hier sind die klimatischen Lebensbedingungen für Insekten und andere Bestäuber besonders unfreundlich, schreiben die Forscher im Fachjournal "Frontiers in Plant Science". Für Blütenpflanzen wiederum, die in sehr artenreichen Wiesen und Weiden heimisch sind und oftmals auf nährstoffarmen Böden überleben müssen, stellen blaue Blüten ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal dar: In der Konkurrenz mit anderen Arten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft sind sie besonders auffällig, so dass Bestäuber auch aus größerer Entfernung angelockt werden.

Bald keine blauen Blumen mehr?

Die Wissenschafter warnen davor, dass der Flächenschwund in Wildnis- und Kulturlandschaften sowie die Intensivierung der Landwirtschaft in vielen Fällen nicht nur zum Insektensterben beiträgt, sondern auch den ohnehin niedrigen Anteil blauer Blütenpflanzen weiter verringert. "Es gibt zahlreiche Indizien dafür, dass die Ausweitung landwirtschaftlicher Flächen, der Einsatz von Kunstdünger, häufiges Mähen und eine intensive Weidewirtschaft zu Lasten artenreicher Vegetationen geht. So besteht die Gefahr, dass blaue Blumen fast gänzlich aus dem Landschaftsbild verschwinden", sagt Justyna Giejsztowt aus Neuseeland, Koautor der Studie. (red, 28.3.2021)