Mannheim/Wien – Schon seit vielen Sitzungen beschäftigt die gendergerechte Schreibung den Rat für deutsche Rechtschreibung. Vergangenen Freitag wurde aber erneut keine klare Entscheidung zum Thema gefällt. Weder Gendersternchen noch sonstige Markierungen könnten für die Aufnahme in das amtliche Regelwerk empfohlen werden, heißt es in einer Pressemitteilung. Zwar hält diese auch die "Auffassung" fest, "dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll", doch sei das "eine gesellschaftspolitische Aufgabe" und nicht mit Orthografie zu lösen. Das Argument kennt man schon.

Neu hinzugekommenes Kriterium "Erlernbarkeit"

Christine Pabst, Herausgeberin des Österreichischen Wörterbuchs, sitzt in dem Gremium. Am aktuellen Statement zu gendergerechten Schreibungen betont sie besonders das zu den Punkten sachliche Korrektheit, Lesbarkeit, Vorlesbarkeit, Verständlichkeit, Rechtssicherheit und Eindeutigkeit neu hinzugekommene Kriterium Erlernbarkeit. Kolleginnen aus mehrsprachigen Ländern hätten dies in die Diskussion eingebracht. "Natürlich spielt Erlernbarkeit aber auch für Schüler und jene zwölf Prozent der deutschen Muttersprachler eine Rolle, die sekundäre Analphabeten sind."

Ebenso neu ist der Appell an Universitäten und Verwaltung, dass Menschen nicht gezwungen werden sollen, eine bestimmte Form des Genderns zu verwenden. Pabst hielte das für eine "massive Einschränkung der persönlichen Meinung". "Fraglich" scheint dem Gremium folglich auch, ob Gendern als Kriterium für die "Bewertung" einer Leistung "gedeckt" sei. Trotzdem muss für Pabst aber verankert sein, dass in öffentlichen Institutionen geschlechtergerecht formuliert werden soll. Reicht dafür schon ein generisches Maskulinum mit dem Hinweis, Frauen seien mitgemeint? "Nein, auf keinen Fall, das ist zu wenig", sagt Pabst. "Es soll schon die Haltung ausgedrückt werden, etwas gilt für alle Personen gleichermaßen. Gendergerecht schreiben heißt in erster Linie Respekt vor anderen."

Wasser auf die Mühlen

Ist der Umstand, dass ehemals stark propagierte Markierungen wie der Gender-Gap und das Binnen-I in den Communitys mittlerweile als überholt gelten, Wasser auf die Mühlen des Rechtschreibrats und seiner Feststellung, man wolle den Sprechern nichts vorschreiben? "Es zeigt jedenfalls, dass das, was wir seit Jahren in Beratungen überlegen, sich auch in der Praxis abzeichnet. Nämlich dass viele Markierungen sich gar nicht bewähren, weil sie nicht praktikabel sind." Das betrifft nicht nur identitätspolitische Überlegungen, sondern auch praktische Anwendungen in Korpusanalyse- und Texterfassungsprogrammen.

Auch dass Zeichen wie der Unterstrich und der Doppelpunkt in der geschriebenen Sprache bereits andere Aufgaben etwa als Satzzeichen erfüllen, wird als Hindernis für eine Aufnahme ins Regelwerk gewertet. "Man muss eben bei jeder Einführung von jedem Zeichen überlegen, was daraus folgt", sagt Pabst dazu.

Sind im Gremium nach so vielen Jahren die Fronten verhärtet? "Weniger als am Anfang, was auch daran liegt, dass die Diskussion systematischer geführt wird." Ein Stimmungswandel erfolgte vor allem bei Kollegen aus Deutschland. Die nächste Beratung steht in einem Jahr an. Einstweilen wird man die Entwicklungen weiter beobachten. (Michael Wurmitzer, 28.3.2021)