AK-Direktor Christoph Klein forderte härtere Strafen, um Arbeitnehmer vor Ausbeutung und Unternehmen vor Dumpingkonkurrenz zu schützen.

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Der Zeitpunkt hätte wohl besser sein können: Just als die Arbeiterkammer vergangene Woche die Wiedereinführung des vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippten Kumulationsprinzips forderte, erteilte diesem das Höchstgericht in einem anderen Verfahren neuerlich eine Absage.

Mit dem Vorschlag reagierte die Kammer auf das Bekanntwerden der schmutzigen Geschäftspraktiken bei Hygiene Austria. AK-Direktor Christoph Klein forderte härtere Strafen, um Arbeitnehmer vor Ausbeutung und Unternehmen vor Dumpingkonkurrenz zu schützen.

Das Kumulationsprinzip besagt, dass bei Begehung mehrerer Verwaltungsübertretungen die einzelnen Strafen zusammengerechnet werden müssen. In der Praxis führt das bisweilen aber zu ausufernden Strafhöhen. Das System widerspreche daher dem Grundsatz, dass Sanktionen ausreichend bestimmt und nachvollziehbar sein müssen, wie der EuGH nun erneut erklärte. (EuGH 24. 3. 2021, C-870/19 und C-871/19 Prefettura Ufficio territoriale del governo di Firenze / Mi und TB)

Aktueller Fall

Anlass des aktuellen Urteils waren Verkehrskontrollen in Italien. Lastwagenfahrer sind nach EU-Recht verpflichtet, für jeden der vergangenen 28 Tage die Schaublätter ihres Fahrtenschreibers vorzulegen. Zwei kontrollierte Personen konnten allerdings für einige Tage keine Blätter vorweisen. Die Behörden verhängten daraufhin für jeden einzelnen Tag eine eigene Strafe.

Das italienische Höchstgericht legte dem EuGH die Frage vor, ob nicht vielmehr eine einzige Strafe für den gesamten Zeitraum hätte verhängt werden müssen. Der Gerichtshof bejahte: Die fragliche Bestimmung begründe eine einheitliche Verpflichtung, die sich auf den gesamten Zeitraum erstreckt.

Somit stellen mehrere Pflichtverletzungen einen einheitlichen Verstoß dar. Auch der in der Grundrechtecharta verankerte Grundsatz der Bestimmtheit von strafbaren Handlungen lege fest, dass für Bürger klar erkennbar sein muss, bei welchen Verhaltensweisen sie mit welchen Sanktionen zu rechnen haben.

Lohnunterlagen nicht vollständig

Laut Christian Schneider, Partner bei bpv Hügel, sei die Entscheidung die Fortsetzung einer Rechtsprechungslinie, die im von der Arbeiterkammer erwähnten Urteil begründet wurde. 2019 kippte der Gerichtshof Verwaltungsstrafen, die gegen Vorstände der Andritz verhängt wurden.

Das Unternehmen hatte Lohnunterlagen von 217 ausländischen Arbeitnehmern nicht vollständig bereitgehalten. Aufgrund des in Österreich geltenden Kumulationsprinzips wurde für jeden betroffenen Beschäftigten eine gesonderte Strafe verhängt. Das führte letztlich zu unverhältnismäßigen Millionenstrafen, die unionsrechtswidrig waren.

Der Verwaltungsgerichtshof änderte daraufhin seine Judikatur. In Fällen des Lohn- und Sozialdumpings wird seither nur noch eine einzige Strafe bis zum gesetzlich vorgesehenen Höchstmaß ausgesprochen. Das Kumulationsprinzip kommt in diesem Bereich also nicht mehr zur Anwendung.

Allgemeine Geltung

Laut Christian Schneider müsste die Rechtsprechung des EuGH im Anwendungsbereich des Unionsrechts allerdings immer beachtet werden. "Bei allen Strafbestimmungen, die unionsrechtlich determiniert sind, darf das Kumulationsprinzip jedenfalls dann nicht angewendet werden, wenn es zu Strafen führt, die der Höhe nach unbestimmt sind."

Die österreichische Rechtslage biete der Judikatur durchaus die Möglichkeit, zu unionsrechtskonformen Lösungen zu kommen. Das Verwaltungsstrafgesetz lege nämlich fest, dass Strafen nur dann nebeneinander zu verhängen sind, wenn sie einander nicht ausschließen. Das eröffne laut Schneider ein "sehr weitreichendes Auslegungspotenzial", das im Sinne der europarechtlichen Vorgaben ausgeschöpft werden könne.

Auch bei "fortgesetzten Delikten" sei das Kumulationsprinzip nicht anwendbar. Begeht eine Person in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mehrfach das gleiche Delikt, darf sie auch nur einmal bestraft werden. War man früher 28 Tage hintereinander ohne Lenkerberechtigung unterwegs, wurde man auch 28-mal bestraft. "Heute würde der Verwaltungsgerichtshof das wohl anders sehen. Schon allein deshalb, weil auch die Führerscheinrichtlinie EU-Recht ist", sagt Schneider.

Eine durchgängige Anwendung des Kumulationsprinzips stünde jedenfalls dem Unionsrecht entgegen. Die Lösung wäre eine entsprechende Anpassung der Strafdrohungen. "Die Ausschöpfung des Strafrahmens richtet sich dann nach der Anzahl der Übertretungen." (Jakob Pflügl, 29.3.2021)