Wer macht den Weißkopfseeadlern den Garaus?
Foto: EPA/CJ GUNTHER

Seit den 1990er-Jahren gehen im Süden der USA Vögel, Reptilien und Fische an einer mysteriösen Krankheit zugrunde. Besonders beim Wappenvogel der Vereinigten Staaten, dem Weißkopfseeadler, kommt es zu einem regelrechten Massensterben: Die Tiere verlieren die Kontrolle über ihren Körper, und in ihrem Gehirn entstehen Löcher. Die zuvor unbekannte neurodegenerative Krankheit wird Vacuolar Myelinopathy (VM) genannt. Bislang war es völlig rätselhaft, woher die Krankheit kommt.

Einem Team von Wissenschaftern unter Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und der University of Georgia (USA) ist es nun jedoch gelungen, der Ursache für das Sterben auf den Grund zu gehen. Offenbar handelt es sich um ein Gift, das von Cyanobakterien gebildet wird, die wiederum auf invasiven Wasserpflanzen in den betroffenen Regionen wachsen. Verstärkt wird das Problem möglicherweise durch den Einsatz von Herbiziden zur Bekämpfung der Pflanzen.

Amerikanische Forscher hatten relativ schnell festgestellt, dass nicht nur Adler, sondern auch ihre pflanzenfressenden Beutetiere betroffen sind. Sie identifizierten einen Zusammenhang mit der Grundnessel (Hydrilla verticillata), einer Wasserpflanze, die ursprünglich nur in Eurasien und Afrika beheimatet war, mittlerweile aber auch in küstennahen Regionen der USA vorkommt.

"Adlermörder, der auf Hydrilla wächst"

Allerdings gibt es auch Seen mit der Wasserpflanze, an denen die Krankheit nicht auftritt. Susan B. Wilde von der Warnell School of Forestry and Natural Resources an der University of Georgia findet 2005 schließlich ein bisher unbekanntes Cyanobakterium auf den Blättern der invasiven Pflanze, das offenbar für die Krankheit verantwortlich ist: Nur dort, wo das Cyanobakterium auf der Pflanze wächst, kommt es zu Vacuolaren Myelinopathy. Sie nennt das Bakterium "Adlermörder, der auf Hydrilla wächst": Aetokthonos hydrillicola.

Die Grundnessel (Hydrilla verticillata) ist in den USA eine gefährliche invasive Wasserpflanzenart.
Foto: dnr.wisconsin.gov

"Ich bin über eine Pressemitteilung der Universität gestolpert und war von dieser Entdeckung begeistert, weil ich seit Jahren mit Cyanobakterien gearbeitet habe", sagt Timo Niedermeyer vom Institut für Pharmazie der MLU. Er lässt sich Proben zuschicken, kultiviert die Bakterien im Labor und schickt sie in die USA zurück. Doch die dortigen Tests ergeben nichts, die Krankheit wird durch die Laborkulturen nicht ausgelöst.

Noch ein Faktor

"Nicht nur die Vögel hat das in den Wahnsinn getrieben, uns auch. Wir wollten dieses Rätsel unbedingt lösen", sagt Niedermeyer. Erneut lässt er sich Blätter mit dem Bakterium zuschicken. Steffen Breinlinger, Doktorand in seiner Arbeitsgruppe, untersucht nun mit einem neuen bildgebenden Massenspektrometer Molekül für Molekül die Zusammensetzung auf der Blattoberfläche. Und findet dabei eine neue Substanz, die auf den Blättern nur dort vorkommt, wo die Cyanobakterien wachsen. In den kultivierten Bakterien findet man sie jedoch nicht.

Seine Untersuchungen der chemischen Struktur des isolierten Moleküls ergeben, dass es fünf Bromatome enthält. "Die Struktur ist wirklich spektakulär", sagt Breinlinger. Die Eigenschaften seien ungewöhnlich für ein von Bakterien gebildetes Molekül. Und sie liefern die Erklärung dafür, warum das Gift unter Laborbedingungen nicht gebildet wurde: Standardmedien für die Kultivierung von Cyanobakterien enthalten kein Bromid. "Wir haben dann unsere Laborbakterien mit Bromid versetzt, und daraufhin haben sie das Toxin ebenfalls gebildet", so Breinlinger.

Kolonien des Cyanobakteriums A. hydrillicola, die auf den Blättern der invasiven Wasserpflanze H. verticillata wachsen.
Foto: Susan Wilde

Täter überführt – und doch bleiben Fragen offen

Wilde und ihre Mitarbeiter testen das isolierte Molekül, das nun endlich, nach fast einem Jahrzehnt Forschung, in den Laboren von Wilde und Niedermeyer ein Treffer ist: Es löst VM aus, wie sie im Fachjournal "Science" berichten. In Anlehnung an das Bakterium nennen die Forscher ihre Entdeckung Aetokthonotoxin – "Adlermördergift". "Jetzt hatten wir endlich den Täter überführt – und sogar die Tatwaffe gefunden", sagt Susan B. Wilde.

Eine beteiligte Arbeitsgruppe der tschechischen Akademie der Wissenschaften hat zudem bereits DNA-Abschnitte gefunden, die Erbinformationen für die Synthese des neuen Moleküls enthalten. Warum die Cyanobakterien auf den Wasserpflanzen das Gift bilden, ist jedoch nicht abschließend geklärt. Möglicherweise spielt dabei eines der Herbizide zur Bekämpfung der invasiven Wasserpflanze eine Rolle: Es enthält Bromid und stimuliert so möglicherweise die Bildung des Gifts. (red, 29.3.2021)