Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel sparte bei ihrem Auftritt bei "Anne Will" nicht mit Kritik.

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Angesichts stark steigender Corona-Infektionszahlen hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bundesländer kategorisch zu einem härteren Kurs aufgefordert. Andernfalls werde sie bundeseinheitliche Regelungen in Erwägung ziehen, sagte Merkel am Sonntagabend in der ARD-Sendung "Anne Will". "Ich werde jedenfalls nicht zuschauen, dass wir 100.000 Infizierte haben." Die Kanzlerin bezog sich damit auf eine Warnung des Präsidenten des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, dass die Zahl der täglichen Neuinfektionen ohne harte Maßnahmen auf diese Größenordnung steigen könnten.

Die Kanzlerin kritisierte in ihrem Interview auch die abwartende Haltung vieler Ministerpräsidenten zu neuen Maßnahmen. Sie nahm damit – ohne ihn namentlich zu nennen – auch ihren Nachfolger an der CDU-Spitze, den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, in die Kritik. Dieser setzt im Zusammenhang mit der Corona-Welle, anders als sein Konkurrent um die Kanzlerkandidatur, Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder, auf weniger harte Schritte. In der Union mehren sich derweil die Stimmen, die Söder als Kanzlerkandidaten sehen wollen.

Forderungen nach Testpflicht

Das RKI meldet indes erneut stark gestiegene Infektionszahlen. Merkel rechnet mit einer Testpflicht für Betriebe, weil die Wirtschaft die Selbstverpflichtungen nicht ausreichend umsetze. "Wir müssen mit großer Ernsthaftigkeit geeignete Maßnahmen einsetzen", sagte Merkel. Die Umsetzung der sogenannten Notbremse durch einige Bundesländer stelle sie nicht zufrieden.

Einige Länder setzten die beschlossenen Verschärfungen nicht voll um. Kritisch äußerte sie sich auf Nachfrage etwa über das Saarland und eben auch über Laschets Nordrhein-Westfalen. Sie bemängelte zudem die Regelungen in Berlin. Einige Landesregierungen würden die beschlossenen Modellregionen mit dem verabredeten vermehrten Testen nicht für die Senkung der Infektionszahlen, sondern für weitere Öffnungsschritte einsetzten.

Konkret hat das RKI hat am Montag 9.872 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das sind 2.163 mehr als am vergangenen Montag. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt auf 134,4 von 129,7 am Sonntag. Vor einer Woche lag sie bei 107,3. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben. 43 weitere Menschen sind in den vergangenen 24 Stunden nach einer Infektion mit dem Virus gestorben. Damit erhöht sich die Zahl der gemeldeten Todesfälle auf 75.913.

"Im Augenblick ist eine Eindämmung nicht da"

Den Vorschlag des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) nach einer weiteren Bund-Länder-Runde wies Merkel zurück. "Wir brauchen im Augenblick keine Ministerpräsidentenkonferenz, sondern wir brauchen Handeln in den Ländern", betonte sie.

Wenn die Länder nicht in "sehr absehbarer" Zeit handelten, werde sie überlegen, wie dies bundeseinheitlich geregelt werden könne, fügte die Kanzlerin hinzu. Eine Möglichkeit sei die Änderung des Infektionsschutzgesetzes – und ganz spezifisch zu sagen, was in welchen Fall geschehen müsse. "Wir sind verpflichtet qua Gesetz, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Und im Augenblick ist die Eindämmung nicht da." Allerdings hängt eine Gesetzesänderung von einer Zustimmung der Länder im Bundesrat ab. Merkel sagte, sie setze auf Einsicht. Offenbar machten sich einige Illusionen über die Pandemie und die Gefährlichkeit der Virusvarianten. Als zusätzliche Maßnahmen nannte Merkel etwa weitere Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren.

"Es braucht nicht ständig neue Gespräche"

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plädierte am Wochenende in einer Online-Fragerunde mit Bürgern dafür, "noch mal zehn, 14 Tage" Mobilität und Kontakte herunterzufahren. Der Grünen-Politiker Kretschmann begrüßte Medienberichten zufolge in Stuttgart entsprechende Überlegungen.

Merkel hatte vorher bereits Unterstützung einiger Länderchefs bekommen. "Es braucht nicht ständig neue Gespräche, sondern die konsequente Umsetzung der Notbremse: Überall in Deutschland muss bei einer Inzidenz über 100 automatisch die Notbremse greifen", sagte etwa Söder der "Augsburger Allgemeinen" – der sich als Gegenstück zu Laschet präsentiert und für dessen Kanzlerkandidatur bei der Wahl im September sich auch in der CDU immer mehr Mitglieder aussprechen. "Wir müssen mit dem antreten, mit dem wir nach Umfragen die besten Chancen haben, und das ist mit großem Abstand Markus Söder", sagte der rheinland-pfälzische CDU-Abgeordnete Johannes Steiniger am Montag.

Auch die baden-württembergische CDU-Bundestagsabgeordnete Ronja Kemmer sprach sich für Söder aus. "Die letzten Wahlen zeigen, dass besonders das Vertrauen in Persönlichkeiten entscheidend ist", sagte die Vizechefin der Jungen Gruppe der Unionsfraktion. (APA, Reuters, red, 29.3.2021)