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Ein Bild aus besseren Zeiten: Im Jahr 2015 waren Nicola Sturgeon und Alex Salmond beide noch Teil der SNP, nun tritt Salmond mit einer eigenen Partei an.

Foto: REUTERS/Russell Cheyne

Eine Reihe von Austritten aus der regierenden Nationalpartei SNP von Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon hat die tiefe Spaltung im Lager der schottischen Unabhängigkeitsbefürworter offenbart. Übers Wochenende traten zwei Unterhausabgeordnete, mehrere Kommunalpolitiker sowie zwei Mitglieder des SNP-Vorstands zur neuen Alba-Partei des früheren Regierungschefs Alex Salmond über. Für Alba kandidieren sie bei der Edinburgher Parlamentswahl Anfang Mai. Dadurch könne man der propagierten Abspaltung von England zu einer "Supermehrheit" verhelfen, gab der frühere Regierungschef als Begründung an.

Als Parteichef für mehr als zwei Jahrzehnte etablierte Salmond die SNP im europäischen Kontext als moderat sozialdemokratisch. 2007 verdrängte er die lange dominierende Labour Party von der Macht in Edinburgh, holte vier Jahre später sogar die absolute Mehrheit der Mandate, scheiterte aber 2014 mit seinem Traum von der Unabhängigkeit. Nachdem 55 Prozent der Schottinnen und Schotten für den Verbleib im Vereinigten Königreich gestimmt hatten, reichte Salmond seinen Rücktritt vom Partei- und Staatsamt ein.

In den vergangenen drei Jahren stand er im Mittelpunkt einer undurchsichtigen Affäre um mutmaßliche Sexualstraftaten gegen jüngere Beamtinnen während seiner Amtszeit als Ministerpräsident. Gegen die Disziplinaruntersuchung durch Sturgeons Regierung klagte Salmond vor dem höchsten Zivilgericht des Landes, erhielt recht sowie 512.000 Pfund (597.000 Euro) aus der Staatskasse. Im Strafverfahren wurde er im vergangenen März in allen Anklagepunkten freigesprochen.

Erststimme für SNP

Bei der virtuellen Vorstellung von Alba – im kaum noch gesprochenen Regional-Gälisch das Wort für Schottland – rief der Parteivorsitzende das Wahlvolk ausdrücklich zur Abgabe der Erststimme für die SNP auf. Damit werden die Abgeordneten für die 73 Wahlkreise nach dem Mehrheitswahlrecht bestimmt. Mit der Zweitstimme entscheiden die Abstimmenden über 56 regionale Sitze nach dem Verhältnis der abgegebenen Stimmen. Anders als etwa bei der Wahl zum deutschen Bundestag gibt es dabei keine Ausgleichs- oder Überhangmandate – mit der Folge, dass bereits reichlich mit Wahlkreisabgeordneten gesegnete Parteien wenig Hoffnung auf zusätzliche Mandate haben.

Nicht ganz zu Unrecht verweist Salmond darauf, dass beim letzten Urnengang mehrere Hunderttausend SNP-Zweitstimmen unter den Tisch fielen. Sollte Alba fünf Prozent dieser Stimmen auf sich ziehen und zusätzlich ein wenig bei Grünen und Labour wildern können, wären zwischen fünf und acht Mandate für die Schottland-Partei denkbar. Der Marktforscher Survation schätzt anhand jüngster Umfragen die Zahl der Mandatare, die für die Unabhängigkeit eintreten, auf 78; unter Einschluss von Alba könnte der Anteil auf 83 steigen, eine satte Mehrheit im 129 Sitze umfassenden Edinburgher Parlament.

Gegner sprachen von einem Vorhaben zur Befriedigung von Salmonds persönlicher Eitelkeit und aus Rachsucht über vermeintlich erlittenes Unrecht. Wie nervös seine bisherigen Kameraden reagieren, verdeutlichte die ätzende Reaktion des SNP-Fraktionschefs im Unterhaus, Ian Blackford, auf den Übertritt des früheren langjährigen schottischen Justizministers Kenneth MacAskill: Dieser habe sich "zunehmend als Peinlichkeit" herausgestellt, weshalb der Austritt "Erleichterung" hervorrufe.

Frage der Angemessenheit

Sturgeon selbst richtete das Feuer auf ihren einstigen Mentor und politischen Freund. Salmond habe "erhebliche Fragen" zu beantworten, ob seine Rückkehr in die Politik "angemessen" sei, teilte die Wahlkämpferin mit – nicht ohne scheinheilig hinzuzufügen, sie empfinde "keinen Spaß daran, dies zu sagen". Brutaler und offener spielte der Kolumnist Alex Massie auf Salmonds – im Strafprozess verdruckst eingeräumtes – Fehlverhalten gegenüber jüngeren Frauen an: Bei dessen neuer Initiative handele es sich um "das politische Pendant zu Rachepornos". Salmond selbst schiebt das Thema beiseite: "Ich will über die Zukunft Schottlands sprechen."

Der Bruderkampf im Nationalistenlager werde im Lager der Unionsparteien keineswegs für Begeisterung sorgen, analysiert der Sozialwissenschafter Jan Eichhorn von der Uni Edinburgh. Weil Fernsehen "von Konflikt lebt", würden die Sender nach Gründen suchen, um Salmond an den bevorstehenden Debatten zu beteiligen. Dann würden die Vertreter von Labour, Konservativen und Liberaldemokraten rasch an den Rand gedrängt. Salmond selbst erzielt in Umfragen hohe Negativwerte, so Eichhorn. "Aber es gibt auch eine signifikante Minderheit sozial eher konservativ eingestellter Unabhängigkeitsbefürworter, die ihn toll findet." (Sebastian Borger aus London, 29.3.2021)