Wirecard-Spitze: Franz Hartwig (li.) spielt Jan Marsalek, Christoph Maria Herbst Markus Braun.

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Fahndungsfoto von Jan Marsalek.

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Die Juristen der Ufa-Produktion schauten sich den Film vorher genau an.

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Christoph Maria Herbst in typischer Markus-Braun-Pose.

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Der Kreativität waren Grenzen gesetzt. Diese Grenzen hießen Persönlichkeitsschutz, Vorverurteilung, Unschuldsvermutung. Alles, was nur im Entferntesten mit diesen Rechtsverstößen in Zusammenhang gebracht werden könnte, durfte in Der große Fake – Die Wirecard-Story nicht vorkommen. Schließlich gibt es noch kein Urteil. Jan Marsalek ist immer noch auf der Flucht. Mit einem Wechsel aus Spielszenen, dokumentierten und inszenierten Zeugeninterviews erlebt der Film am 31. März seine Premiere, am 22. April auf RTL. Das Dokudrama von Hannah und Raymond Ley ist damit das erste fiktionale Projekt über einen der größten deutschen Finanzskandale. Eine Serie entsteht etwa bei Sky.

Der große Fake erzählt die letzten Wochen, bevor der Fall hochging. Christoph Maria Herbst spielt den Wirecard-Boss Markus Braun. Der Sachse Franz Hartwig übernimmt die Rolle des Wieners Jan Marsalek.

UFA

STANDARD: Lebt Jan Marsalek?

Hartwig: Interessante Frage, die auch bei uns am Set immer wieder zur Sprache kam. Ich habe keine Ahnung, hoffe aber für ihn, dass er lebt.

STANDARD: Weder Sie noch Christoph Maria Herbst sind Österreicher wie Braun und Marsalek. Haben Sie sich gewundert, als Sie die Rolle bekamen?

Hartwig: Nein, gar nicht, allerdings habe ich vorher schon gefragt, ob ich in der Rolle wienerisch reden soll. Aber das war nicht gefragt.

STANDARD: Was wussten Sie vor dem Film von Jan Marsalek?

Hartwig: Ich interessiere mich für die Börse und hatte selbst Wirecard-Aktien, daher war mir das Unternehmen ein Begriff. Die erste Welle erlebte ich am eigenen Leib mit, stieg aber Gott sei Dank früh genug aus.

STANDARD: Warum?

Hartwig: Mir erschien es unheimlich, weil die Aktie so enorm stieg. Da bekomme ich weiche Knie. Ich bin kein High-Risk-Gambler.

STANDARD: Mit Aktien zu handeln ist für einen Schauspieler ungewöhnlich. Woher kommt das Interesse fürs Finanzgeschäft?

Hartwig: Ich beschäftige mich gerne mit Zahlen. Tatsächlich habe ich bis vor zwei Jahren stets meine Steuererklärung selbst gemacht. Ich fing 2016 mit Aktienhandel an und überlegte mir, wie man verfügbares Geld, das man nicht unmittelbar braucht, sinnvoll anlegen kann. Da gibt es diverse Möglichkeiten.

STANDARD: Wie eigneten Sie sich Ihr Wissen an?

Hartwig: Zum allerersten Mal in Kontakt mit der Börse kam ich in der sechsten Klasse, 1998, damals noch in Dresden. Da gab es von der Dresdner Sparkasse das Planspiel Börse. Man bekam fiktive 1.000 Mark, und die konnte man in einem fiktiven Musterdepot anlegen. Am Ende bekam derjenige, der das meiste erwirtschaftete, das Geld in Form eines Sparbuchs ausbezahlt.

STANDARD: Sie gelten als einer, der sich akribisch auf eine Rolle vorbereitet, schreiben angeblich sogar Biografien ihrer Figuren. Wie gingen Sie bei Marsalek vor – immerhin war nicht viel Zeit?

Hartwig: Ja, das stimmt, es ging unglaublich rasant. Die Zusage zur Rolle bekam ich um Weihnachten, und kurz darauf wurde schon gedreht. Es sind mehrere Filmprojekte über Wirecard geplant, jeder wollte der Erste sein. Ich nehme mir gerne Zeit für die Vorbereitung einer Figur, das war in diesem Fall nicht möglich. Mir kam allerdings enorm zupass, dass ich über Wirecard gut Bescheid wusste. Ich musste mich nicht einlesen. Über Jan Marsalek las ich allerdings erst, als die Bombe im Juni platzte. Man sah immer nur Markus Braun, nie Marsalek. Ich sagte also, ich spiele eine Figur, die Jan Marsalek heißt, es wird aber eine Interpretation. Ich lasse mir die Haare schneiden, das ergibt eine äußerliche Ähnlichkeit, aber den Rest stellte ich mir vor. Mir gefiel, dass er eine Person ist, von der man kaum etwas weiß.

STANDARD: Das Dilemma, vor dem die Autoren standen, ist ja recht eindeutig: Man darf nicht sehen, wie kriminelle Handlungen aktiv vorgenommen werden, weil das eine Vorverurteilung gewesen wäre, weshalb man sich auf die Darstellung der handelnden Personen konzentriert und zeigt, wie sie gehandelt haben könnten. Eine Gratwanderung. Wie sind Sie mit dieser Herausforderung umgegangen?

Hartwig: Normalerweise mache ich mir bei einer Figur erst einmal Gedanken, wie der Mensch, den ich spielen soll, läuft. Erst danach frage ich mich, wie er denkt. Bei Jan Marsalek ging ich mathematisch vor: Ich zog mir Anzug und Krawatte an und legte eine teure Uhr an. Sobald man so gekleidet ist, verhält man sich ganz anders. Das ist schon einmal ganz einfach. Dann habe ich mich informiert, wie Leute über ihn reden, die ihn kennen. So habe ich mir mein eigenes Bild zusammengereimt. Ich mag es nicht, Abziehbilder zu spielen, egal ob das Menschen sind, die gelebt haben, oder fiktive Figuren. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine Karikatur darzustellen. Das gab das Drehbuch gar nicht her. Bei Jan Marsalek wollte ich zeigen, dass auch er nicht nur eine Maschine sein kann, die einen übers Ohr haut, sondern auch Mensch ist. Der sich irgendwann einmal selbst fragt, ob er mit seiner Handlungsweise nicht ganz viele Menschen ins Unglück stürzt. Das interessiert mich als Schauspieler. Alles andere ist Sache der Drehbuchautoren, der Regie.

STANDARD: Es ist ja ein großes Rätsel, das auch der Film nicht löst: Da sind angeblich hochintelligente Männer am Werk mit hohem kriminellem Potenzial, die aber gleichzeitig die Realität völlig verweigern. Ist das pathologisch?

Hartwig: Das sind genau die Fragen, die ich mir in der Vorbereitung gestellt habe. Ich bin mir nicht sicher, weil ich selbst komplett anders bin. Ich glaube nicht daran, dass Menschen komplett kalt und gefühllos sein können. Das kann einfach nicht sein. Ich halte es aber für möglich, dass sich bei diesen Menschen eine andere Emotion davorschiebt und sie die Empathie, das Mitgefühl so lange unterdrücken, bis sie selbst an ihren Mythos glauben. Wenn man es sich so lange sagt und denkt und auch von anderen gesagt bekommt, man sei so toll, dann ist es gut möglich, dass man irgendwann selbst daran glaubt. Ich kann natürlich nur vermuten. Wenn ich mir Markus Braun bei seinem letzten Auftritt ansehe, als er Wirecard als Opfer beschreibt, dann zieht sich bei mir alles vor lauter Fremdscham zusammen. Das war einfach unglaublich.

STANDARD: Interessant sind ja auch die Lücken: Vom großen ganzen Wirecard-Kriminalfall fehlt einiges, zum Beispiel Verbindungen beider zur Politik.

Hartwig: Wir wollten beschreiben, was passiert sein könnte. Als Schauspieler hätte ich mir gewünscht, mehr zu zeigen, wie Marsalek im privaten Umfeld war. Er wohnte in einer großen Villa und lud dort hochrangige Leute ein. Diese Diskrepanz zu spielen wäre interessant. Weil man ergründen könnte, wie so ein Mensch funktioniert, wenn er nicht vor allen anderen den "präpotenten Zampano" spielen muss. So soll ihn Marsaleks Mutter genannt haben. Sondern wie er ist, wenn die Türe zugeht. Das hätte mich interessiert, wäre aber auch reine Interpretationssache.

STANDARD: Inwieweit hatten die Rechtsabteilungen Einfluss auf die Drehbücher?

Hartwig: Sagen wir so, es musste gestrichen werden. Wir hatten Szenen, die von außen betrachtet wenig brisant schienen, die letztlich trotzdem wegmussten, weil die Juristen sie rechtlich als problematisch einordneten. Ist ja auch gut so. Wir haben ein Justizsystem, in dem niemand vorverurteilt wird und in dem die Unschuldsvermutung gilt. Wir mussten daher ungemein vorsichtig sein. Ich nehme an, allen weiteren Projekten, die uns folgen und die Geschichte fiktiv zum Beispiel als Serie erzählen wollen, wird es ähnlich gehen: Sie werden sich unglaublich schwertun – das fängt schon mit den echten Namen an. Ich kann mir vorstellen, dass es eine Serie über Wirecard gibt, ohne den Namen zu nennen.

STANDARD: Was würden Sie Jan Marsalek fragen?

Hartwig: Nichts. Überhaupt gar nichts. Ich würde ihm nicht begegnen wollen. Jetzt, da dieser Film abgeschlossen ist, interessiert mich Jan Marsalek nicht mehr. Die künstlerische Entfaltung mit ihm empfand ich als unglaublich schwierig, da ich mich ganz genau ans Drehbuch halten musste. Jedes einzelne Wort musste so gesagt werden, wie es geschrieben stand. Ich gehöre aber nicht zu denen, die sich immer hundertprozentig ans Drehbuch halten, ich improvisiere auch gerne, wenn es die Szene anbietet. Das war nicht möglich. Ich freu mich jetzt auf das Ergebnis, schau mir den Film an, und dann ist Schluss mit Marsalek. (Doris Priesching, 30.3.2021)