Kennen Sie den? Zwei Gefangene wollen aus dem Gefängnis ausbrechen und müssen über hundert Mauern klettern. Nach der 99. Mauer wird es ihnen zu mühsam, und sie brechen ab. Zugegeben, es gibt lustigere Witze – aber dieser ist wenigstens so einfach gestrickt, dass auch Kinder ihn verstehen: Haha, wer ist schon so irre, so kurz vor dem Ziel aufzugeben? Und er ist erschreckend aktuell.

Die Menschen zieht es nach draußen. Hier im Bild die Wiener Innenstadt am letzten Wochenende.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Frühling 2021, das zweite Jahr der Corona-Pandemie. Die Impfungen sind angelaufen, und sie wirken. Nur noch wenige Monate, und wir haben im Optimalfall alles überstanden. Die hundertste Mauer ist in Sichtweite.

Doch ausgerechnet jetzt beginnen Menschen, das Handtuch zu werfen: Man ignoriert die Warnungen, trifft sich ungeschützt, ungetestet, ohne Einhaltung des Mindestabstands – was die Infektionszahlen in die Höhe schnellen lässt. Es ist verständlich, dass es die Menschen bei dem schönen Wetter nach draußen zieht. Wer dabei aber sich und andere ansteckt, riskiert eine Verlängerung des Leidens. Und schlimmstenfalls verbreitet sich so eine Mutation, gegen welche die jetzigen Impfungen machtlos sind: Dann würden wir uns nicht vor der hundertsten Mauer befinden, sondern wieder vor der ersten.

Also lieber noch daheim bleiben, Fotos sortieren und mit Kochrezepten experimentieren. Dazu werden wir nämlich eh keine Zeit mehr haben, wenn die Normalität wieder da ist. (Stefan Mey, 30.3.2021)