Fairer Wettbewerb darf nicht durch Förderungen einiger Unternehmen verzerrt werden, sagt EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.

Kontrolle durch zu wenige Firmen in der Wirtschaft verursacht enorme Kosten.
Foto: AFP / Aris Oikonomou

Wir haben jetzt die historische Chance, ein neues Europa aufzubauen, das grüner, digitaler und widerstandsfähiger ist. Zurück zum Vorkrisenniveau – das wird nicht reichen. Wir müssen etwas Besseres erschaffen – ein Europa, das die Bedürfnisse der Europäerinnen und Europäer auch in Zukunft erfüllt. Dazu brauchen wir nichts weniger als einen kompletten Wandel unserer Wirtschaft, geleitet von demokratischen Werten der Gerechtigkeit, Offenheit und Wahlfreiheit. Während sich die Welt um uns herum verändert, sind diese Werte so relevant wie eh und je.

In herausfordernden Zeiten wie diesen bleibt der Wettbewerb der Schlüssel zum Erfolg. Als die USA sich damals in den Tiefen der Weltwirtschaftskrise dazu entschlossen, die Wettbewerbsregeln durch den National Industrial Recovery Act von 1933 auszusetzen, erhofften sie sich, dass weniger Wettbewerb die Industrie stärken würde. Das genaue Gegenteil trat ein. Die Verordnung bremste den US-amerikanischen wirtschaftlichen Aufschwung – so sehr, dass die Roosevelt-Administration sich nach wenigen Jahren gezwungen sah, ihren Kurs zu ändern. Seitdem haben Wirtschaftsstudien wiederholt gezeigt, dass Kontrolle durch zu wenige Firmen in der Wirtschaft enorme Kosten verursacht, bei Wachstum und bei Arbeitsplätzen.

Unfaire Vorteile

Um der europäischen Wirtschaft Aufschwung zu verleihen, bedarf es dynamischer, innovativer Unternehmen in jeder Größe, in allen Sektoren, in ganz Europa. Das Letzte, was es braucht, sind Märkte, die von Monopolen und Kartellen unterdrückt werden – also wirtschaftliche Macht in den Händen weniger, zum Nachteil der meisten.

Wir müssen die Wahlfreiheit für unsere Gesellschaft und Industrie schützen. Das ist es, was die Wettbewerbsregeln ausmacht. Sie kontrollieren, wie viel wirtschaftliche Macht Unternehmen durch den Aufkauf von Mitbewerbern erlangen können. Sie verhindern, dass die größten Firmen durch ihr Handeln die Konkurrenz schwächen. Sie stellen sicher, dass staatliche Subventionen nur dort eingesetzt werden, wo sie nützen, ohne unfaire Vorteile für ausgewählte Unternehmen zu schaffen. Damit jedes Unternehmen eine faire Chance hat.

Starke Champions

Die Champions, die Europa braucht, sind Unternehmen, die durch Wettbewerb geformt wurden und, davon angespornt, zu den Weltbesten in ihrem Bereich aufsteigen. Der Versuch, europäische Stärke im Ausland dadurch aufzubauen, indem man in Europa einige wenige Firmen vor dem Wettbewerbsdruck schützt, würde hingegen weniger Wahlfreiheit, höhere Preise und sogar weniger Arbeitsplätze bedeuten. Es braucht Wettbewerb, um in einer Welt des rasanten Wandels bestehen zu können. Wettbewerbsfähige Märkte bieten vielfältigere Lieferquellen, die sicherstellen, dass wir nicht von einigen wenigen Firmen abhängig sind, sondern auf ein vielfältiges Ökosystem an Unternehmen bauen können.

Unsere Wettbewerbsregeln spielen eine wichtige Rolle dabei, die Rahmenbedingungen zu setzen, welche Aufschwung und Wiederaufbau antreiben. Sie allein reichen jedoch nicht aus. Darum hat die EU Strategien entwickelt, die dem Aufbau einer wettbewerbsfähigen, widerstandsfähigen, grünen und inklusiven Wirtschaft in Europa dienen. Die Wettbewerbspolitik erfüllt ihre Aufgabe dabei gemeinsam mit anderen Politikbereichen. Zum Beispiel, indem wir in von der Europäischen Kommission organisierten Foren die Zusammenarbeit zwischen Firmen ermöglichen, um die Produktionsmenge wichtiger Impfdosen zu erhöhen.

Wenige Gatekeeper

Unsere Wirtschaft verändert sich laufend, neue Risiken für wettbewerbsfähige Märkte entstehen. Wir müssen auf diese Entwicklungen reagieren und die Wettbewerbsregeln mit neuen Instrumenten unterstützen. Im digitalen Zeitalter kontrollieren beispielsweise einige wenige sogenannte Gatekeeper, wie Millionen von Unternehmen mit ihren Kundinnen und Kunden in Verbindung stehen. Die Entscheidungen dieser Gatekeeper können das Schicksal der Unternehmen maßgeblich beeinflussen – und festlegen, ob Wettbewerb floriert oder stockt. Darum hat die Europäische Kommission im Dezember ein Gesetz über digitale Märkte vorgestellt, welches die Wettbewerbskontrolle für ebendiese digitalen Gatekeeper unterstützen soll, durch klare Vorgaben dafür, was erlaubt ist und was nicht.

Es reicht aber nicht, nur zu kontrollieren, was die Unternehmen tun. Es muss auch sichergestellt sein, dass der Staat den fairen Wettbewerb nicht durch Förderungen einiger Unternehmen verzerrt. An dieser Stelle möchte ich betonen: Die Europäische Kommission steht voll und ganz hinter dem Ziel, Unternehmen in der jetzigen Krise durch staatliche Beihilfen zu unterstützen. Unser temporärer Beihilfenrechtsrahmen ermöglicht es den Mitgliedsstaaten, hier schnell und flexibel Maßnahmen zu ergreifen. Aber auch in der Krise muss das Prinzip der Fairness gewahrt bleiben.

Klare Gesetzeslücke

Das Beihilferecht gibt uns prinzipiell die Möglichkeit einzuschreiten, wenn Subventionen von Mitgliedsstaaten den Binnenmarkt beeinträchtigen – nicht jedoch, wenn Subventionen von außerhalb der EU den Wettbewerb innerhalb Europas schädigen. Da sehe ich eine klare Gesetzeslücke, die es zu überbrücken gilt. Wir werden bald neue Gesetzesvorschläge machen, um unsere Märkte gegen unfaire Auslandssubventionen zu schützen.

Es zeigt sich: Ein Moment des wirtschaftlichen Wiederaufbaus ist auch immer ein Moment der Entscheidungen – Entscheidungen, die unsere Zukunft für viele Jahre prägen werden. Die Entscheidung für einen fairen Wettbewerb ist eine Weichenstellung für eine faire, florierende Zukunft. (Margrethe Vestager, 30.3.2021)