Sonntag, spätabends in Österreich. Nein es ist nicht Zeit für ein kleines Frühstückchen. Auf ORF 2 läuft “Im Zentrum“ zum Thema "Lockdown statt Osterfest - zu spät, zu kurz, zu unentschlossen?". Ein Gast ist renommierter als der andere und die Statements strotzen nur so von Seriosität und Glaubwürdigkeit. Von Virologen über Simulationsforscher bis hin zu Politikwissenschaftern wird alles geboten, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk Österreichs zu bieten hat. Gewissermaßen die Crème de la Crème, die sich der geneigte Zuseher nur wünschen kann.

Der einzige Haken an dem auf allen Ebenen hochprofessionellen Format ist, dass es in puncto Kontroverse ein klein wenig zu wünschen übrig lässt. Das heißt, auf wirklich aus der Reihe tanzenden Gästen mit ebensolchen Meinungen kann man, aus Angst überwiegend den Covidioten attestierten Ansichten Sendezeit einzuräumen, lange warten - ein gefundenes Fressen für Medien wie Servus TV und dessen Sendung "Links. Rechts. Mitte – Duell der Meinungsmacher" oder OE24 mit "Fellner Live". Infotainment hin oder her, es funktioniert und spaltet nicht nur die Nation, sondern auch die österreichische Medienlandschaft.

Der ORF zeigt sich in Sachen Diskussionen wenig kontroversiell.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Meinungsmonogamie versus Meinungsvielfalt

Zurück zur Problematik des professionellen Journalismus. Harmonische Diskussionsrunden, in der sich die Teilnehmer mehr oder ein klein bisschen weniger einig sind, sind zwar schön anzusehen, aber nicht für jeden Zuseher annehmbar. Bei so manchem entsteht der Eindruck, dass durch die zur Schau gestellte Einigkeit hinsichtlich eines Themas die eine, echte Realität abgebildet wird und dass diese nicht nur wahr, sondern auch objektiv sei, sonst würde sie schließlich nicht von verschiedenen Experten vertreten werden. Zudem wird oft darüber gesprochen, “wie man den Leuten etwas kommunizieren“ muss, damit sie der Berichterstattung Glauben schenken. Ohne hier diskutieren zu wollen, ob es sich hierbei um eine Art Freud'schen Versprecher handeln könnte, wird auch in diesem Fall laut einigen an Annehmbarkeit eingebußt. Nun gibt es die eine, echte Wahrheit meist nicht in der Form, wie wir sie gerne hätten, ebenso wie absolute Objektivität lediglich ein Ideal der Philosophie und der Wissenschaft ist. Folglich hat die sprichwörtliche Medaille zwei Seiten und die Realität noch wesentlich mehr, worin letztendlich die Schwierigkeit besteht.

Kommunikation über mentale Grenzen hinaus

Viele würden auf eine Darstellung aller vorhandenen Informationen und Sichtweisen hoffen, um sich dann die eigene Meinung zu bilden. Wer aber die meinungstechnischen "Schmuddelkinder" und Querdenker sehen und hören will, muss zwangsläufig zu den privaten Sendern wechseln, die sogar Personen einladen, mit denen ansonsten keiner im polit-medialen Sandkasten spielen möchte. Die Kommunikationskarte, bei der die Vertreter verschiedenster Einstellungen auf Basis des jeweiligen Informations- und Erkenntnisstandes diskutieren dürfen, wird aber dennoch nicht gezogen. Die Angst davor, Sendezeit im Sinne eines Verbildungs- anstatt eines Bildungsauftrages zu verschenken, scheint zu groß zu sein, während das Vertrauen in die Qualität und Überzeugungskraft der herkömmlichen Experten augenscheinlich zu gering ist.

Ein Akzeptanzverlust bei den Zuschauern wird daher eher in Kauf genommen, als ein möglicher Schaden am Image der Meinungseinigkeit. Ein aus diesem Phänomen bereits resultierendes Problem ist das zunehmende Auftauchen von alternativen Medien, die all jenen eine Heimat bieten, die sich im Programm des ORFs nicht mehr wiederfinden. Dabei gab es im traditionsreichsten Medienhaus einst Formate wie den alten "Club 2", bei dem wirklich widersprüchlichste Meinungen zugelassen wurden, bis hin zur Einladung von Skinheads.

PhilosophieKanal

Aber wie erkannte schon der Schriftsteller Mark Twain richtigermaßen: “Wir schätzen die Menschen, die frisch und offen ihre Meinung sagen - vorausgesetzt, sie meinen dasselbe wie wir.“ (Daniel Witzeling, 6.4.2021)

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