Detlev Karsten Rohwedder wurde in seinem Arbeitszimmer von einer Kugel tödlich getroffen.

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Hergard Rohwedder wurde ebenfalls schwer verletzt – überlebte das Attentat aber.

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Diesen "einen Fehler" hat sich Hergard Rohwedder nie verziehen. "Das werfe ich mir wirklich vor", sagte sie noch 2018, ein Jahr vor ihrem Tod, dem Journalisten Michael Jürgs. Es ging in diesem Gespräch um den 1. April 1991. An dem Tag wurde ihr Ehemann, Detlev Karsten Rohwedder, ermordet. Er war damals Chef der Treuhandanstalt, die nach dem Zusammenbruch der DDR die volkseigenen Betriebe (VEB) nach den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft, also nach westlichem Vorbild, privatisieren sollte. Er befinde sich im "Fadenkreuz der Frustrierten", hat er selbst einmal gesagt.

Am Ostersonntag 1991 kam das Ehepaar Rohwedder – sie 57 Jahre alt, er 58 – am Nachmittag im Düsseldorfer Stadtteil Niederkassel in seine Villa zurück. Auf dem Nebengrundstück sei ein großes Auto gestanden, in dem ein junges Paar saß, erinnerte sich Hergard Rohwedder. Es sei ihr seltsam vorgekommen, denn dort habe es nur eine Anwaltskanzlei gegeben, die am Sonntag geschlossen hatte. "Ich wollte hingehen", sagte sie, aber ihr Mann habe abgewunken: "Komm, lass es, was soll's, wir gehen rein." Sie habe sich dann nicht einmal die Autonummer aufgeschrieben.

Kugel durch die Fensterscheibe

Detlev Rohwedder, der vor der Treuhand als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium gearbeitet und den Stahlkonzern Hoesch saniert hatte, ging in sein Arbeitszimmer im ersten Stock. Wenig später traf ihn eine Kugel durch die Fensterscheibe tödlich. Eine zweite verletzte seine Frau schwer, eine dritte schlug in einem Bücherregal ein. Der Mord wurde rasch der linksextremistischen Terrorgruppe RAF ("Rote Armee Fraktion") zugeschrieben.

Der Sozialdemokrat Rohwedder war vielen verhasst, weil zehntausende Menschen durch die Privatisierungen der Treuhand ihre einst sicheren Arbeitsplätze verloren und den Sprung in den Arbeitsmarkt des wiedervereinigten Deutschland nicht schafften. Zudem fanden die Ermittler ein Bekennerschreiben der RAF im 60 Meter entfernten Schrebergarten, aus dem die Schüsse abgegeben worden waren. In dem Papier stand: "Für ihn (Rohwedder) gab es von Anfang an nichts in der Ex-DDR, was nach seinem auf Profit ausgerichteten Blick irgendwelche Werte hatte."

Das Gewehr, mit dem der 58-Jährige erschossen wurde, war kurz zuvor bei einem Anschlag der RAF auf die US-Botschaft in Bonn benutzt worden. Doch wer geschossen hat, ist bis heute unklar. Am Tatort wurde ein Haar auf einem Handtuch gefunden, das zehn Jahre nach der Tat dem RAF-Mann Wolfgang Grams zugeordnet werden konnte. Er starb 1993 bei einem Schusswechsel mit der Polizei in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern).

Zigarettenstummel mit DNA

Im Fall Rohwedder wird immer noch ein Ermittlungsverfahren bei der Bundesanwaltschaft geführt. Den Nachweis für eine Täterschaft von Grams sieht sie nicht gegeben. Denn am Tatort wurden auch Zigarettenstummel gefunden, die Speichelreste passten nicht zur DNA von Grams. Dass der Täter aus dem Kreis der RAF stammt, davon geht die Bundesanwaltschaft jedoch aus. Vielleicht kann dieser letzte Mord der RAF eines Tages noch geklärt werden, wenn sich die Kriminaltechnik weiterentwickelt und neue Erkenntnisse erlaubt.

Hergard Rohwedder erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei, die ihren Mann nicht genug geschützt habe, obwohl "sich was zusammenbraute". Nachts habe das Telefon geklingelt, auch an der Haustür sei jemand gewesen. Nur im Erdgeschoß, nicht aber im ersten Stock des Hauses habe es Panzerglas in den Fenstern gegeben.

Suche nach Parteivermögen

Die Witwe des Treuhand-Chefs geht nicht von einem RAF-Mord aus, sondern – wie einige andere auch – von Erschießen durch ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit (Stasi). Angeblich sei Rohwedder kurz davor gewesen, das verschwundene Parteivermögen der SED zu finden.

Die DDR-Staatspartei hatte in den mehr als vier Jahrzehnten ihres Bestehens neben dem offiziell verbuchten Vermögen ein Netz von Tarnfirmen und geheimen Konten im westlichen Ausland unterhalten. Hergard Rohwedder meinte, die RAF habe nie Familienmitglieder ihrer Opfer getötet, der Schuss auf sie sei aber gezielt gewesen. Auch eine Dokumentation des WDR greift die Theorie eines Stasi-Mordes auf. Bei der Bundesanwaltschaft hingegen hält man von dieser Theorie nichts.

Kritik an den mangelnden Schutzvorkehrungen übt 30 Jahre später Rainer Hofmeyer, Ex-Chef der Terrorismusabteilung im Bundeskriminalamt (BKA), im "Spiegel": "Es war staatlicher Unwille, der Rohwedder an jenem Tag in seiner Wohnung das Leben gekostet hat." Die Familie Rohwedders wollte in Düsseldorf keinen Staatsakt für ihn, dort sei er zu Lebzeiten nicht ausreichend geschützt worden. Die Trauerfeier fand dann am 10. April in Berlin statt. (Birgit Baumann aus Berlin, 1.4.2021)