Im Sommer 2019 flog dem russischen Techniker Gennadi Borisov ein Objekt vor die Linse seines selbstgebauten Teleskops, das außergewöhnlicher nicht hätte sein können. Es handelte sich um einen Kometen aus einem fremden Sternsystem – auf der Durchreise durch unsere Nachbarschaft. 2I/Borisov, wie der 500-Meter-Brocken seither zu Ehren des Entdeckers heißt, ist erst das zweite interstellare Objekt, das je im Sonnensystem beobachtet wurde. Wie Forscher nun in zwei neuen Studien berichten, unterscheidet sich der Himmelskörper deutlich von allen bisher bekannten Kometen.

So könnte die Oberfläche des Kometen 2I/Borisov aussehen. Die Darstellung basiert auf wissenschaftlichen Beobachtungsdaten.
Illustration: Eso/M. Kornmesser

Der weitgereiste Brocken hat das Sonnensystem inzwischen wieder verlassen, er wurde von der Gravitation unserer Sonne nicht eingefangen. Doch Wissenschaftern bot sich über Monate hinweg die einzigartige Gelegenheit, den Fernreisenden ausführlich zu untersuchen. Wie ein Forscherteam nun herausgefunden hat, dürfte 2I/Borisov seit seiner Entstehung fast völlig unverändert geblieben sein und einen bisher unerreichten Blick in die Entstehungsgeschichte solcher Himmelskörper erlauben.

Eisige Archive

Kometen sind Überbleibsel aus der Frühzeit ihrer Sternsysteme und generell sehr urtümliche Himmelskörper. Sie bestehen aus Gestein, Eis und Staub sowie gefrorenen Gasen. Ihre genaue Zusammensetzung ist deshalb so interessant, weil Kometen die meiste Zeit in sehr kalter Umgebung zubringen – fernab von ihrem Stern. Daher hat sich ihre chemische Beschaffenheit seit ihrer Entstehung kaum verändert, sie sind so etwas wie eisige Archive.

Je näher ein Komet aber einem Stern kommt, desto aktiver wird er. Angeregt durch die Strahlung, kommt es zu Ausstößen von Gasen und Staub, aus denen sich viele Informationen gewinnen lassen. Genau das ist Forschern bei 2I/Borisov gelungen, als er auf seinem Weg durch unsere Nachbarschaft in einer Distanz von 300 Millionen Kilometern an der Sonne vorbezog. Wie die neuen Analysen zeigen, dürfte das sein bisher einziger "näherer" Besuch bei einem Stern gewesen sein. Denn er ist noch ursprünglicher geblieben als alle bisher bekannten Kometen.

Dieses Aufnahme wurde mit dem FORS2-Instrument am Very Large Telescope der ESO Ende 2019 gemacht, als 2I/Borisov an der Sonne vorbeizog.
Foto: ESO/O. Hainaut

Unverfälschte Signaturen

Für die Studie im Fachblatt "Nature Communications" nutzte ein Team um Stefano Bagnulo vom Armagh Observatory and Planetarium in Nordirland Beobachtungsdaten des Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile. Die Beobachtungen der Polarisation und Farbe des Kometen ergaben, dass 2I/Borisov außergewöhnlich unverfälschte Signaturen der Gas- und Staubwolke trägt, aus der er entstanden ist.

"Die Ankunft von 2I/Borisov aus dem interstellaren Raum stellte die erste Gelegenheit dar, die Zusammensetzung eines Kometen aus einem anderen Planetensystem zu untersuchen", sagte Ludmilla Kolokolova von der University of Maryland, eine der Ko-Autorinnen der Studie. "So können wir überprüfen, ob sich das Material, das von diesem Kometen stammt, irgendwie von unserer heimischen Variation unterscheidet."

Turbulente Vergangenheit

In der zweiten Studie, die zeitgleich in "Nature Astronomy" veröffentlicht wurde, wies ein Team um Bin Yang von der ESO in Chile nach, dass der Staubschweif von 2I/Borisov kompakte Kieselsteine und ungewöhnlich große Mengen an Kohlenmonoxid enthält. Das deutet ihrer Ansicht nach auf eine turbulente Entstehungsgeschichte hin: Der Komet dürfte aus Bausteinen bestehen, die sich an verschiedenen Orten in seinem Planetensystem gebildet haben – in der Nähe seines Sterns bis hin zu weit entfernten Regionen. Möglicherweise könnte die gravitative Wirkung eines großen Planeten für die Vermischung des Materials in diesem System gesorgt haben.

Auf seiner Reise durch das Sonnensystem drohte der tiefgekühlte Brocken durch die zunehmende Wärmeeinstrahlung auseinanderzubrechen, er überstand den Besuch dann aber doch. Aufnahmen kurz nach der Passage seines sonnennächsten und damit wärmsten Punktes Ende 2019 zeigten, dass er zwar an Masse verloren hatte, aber doch ganz geblieben war. Seine Reise konnte noch bis Mitte 2020 nachverfolgt werden. Woher der ungewöhnliche Besucher aber eigentlich gekommen war und was seine interstellare Reise ausgelöst hatte, ist nicht geklärt. (David Rennert, 30.3.2021)