Die sonst selten in Aquarien zu sehenden Medusen sind seit kurzem im Wiener Haus des Meeres zu bewundern. Ihre auffällige, an ein Spiegelei erinnernde Gestalt ist bei wie fast allen Quallen jedoch nur eine Phase in einem komplexen Lebenszyklus, der sich teilweise im Verborgenen abspielt.

Von oben betrachtet, sehen Spiegeleiquallen wie ein schmackhaftes Frühstück aus; unten winken die Giftnesseln.
Foto: Reinhard Kikinger

Spiegeleiquallen, die im Haus des Meeres durch die Art Cotylorhiza tuberculata vertreten sind, gehören zu den Wurzelmundquallen, die ihrerseits zu den Schirmquallen zählen. Sie alle durchlaufen einen Generationswechsel, das heißt, sie pflanzen sich abwechselnd ungeschlechtlich und sexuell fort.

Das geht so: Die weiblichen und männlichen Medusen erzeugen Ei- beziehungsweise Samenzellen, aus deren Verschmelzung winzige bewimperte Planula-Larven hervorgehen. Diese setzen sich nach einigen Tagen auf einem geeigneten Untergrund fest und verwandeln sich in Polypen. Diese zarten Gebilde mit einem Stiel und einem Köpfchen haben die Form eines Kelches, an dessen Rand sich Fangtentakeln entwickeln. Bei C. tuberculata ist der Polyp etwa fünf Millimeter groß und besitzt 16 Tentakel.

Seit kurzem sind Spiegelei-Quallen auch im Haus des Meeres zu bewundern.
Foto: Johannes Hallama

Vom Polypen zur Palatschinke

Wind und Gezeiten bewegen das den Polypen umgebende Wasser, wodurch Kleinstplankton mit den giftigen Nesselzellen auf den Tentakeln in Kontakt kommt. Sobald ein Tentakel ausreichend mit Plankton beladen ist, krümmt er sich zum Polypenmund hin, wo die Nahrung verschluckt und in den Magenraum weitergeleitet wird.

Polypen vermehren sich lange Zeit ungeschlechtlich durch Knospung. Die so entstehenden Klone setzen sich nach ihrer Reifung oft ganz in der Nähe der "Mutter" fest und erzeugen ihrerseits Knospen. Auf diese Weise können bei geeigneten Bedingungen große Bestände entstehen. Irgendwann fangen die Polypen dann an, ihre Köpfchen mit den Fangtentakeln umzubilden und abzuschnüren, und zwar in mehreren Lagen – ähnlich einem Stapel gelappter Palatschinken. Die "Palatschinken" sind sogenannte Ephyra-Larven und entwickeln sich im freien Wasser im Lauf von einigen Wochen zu den bekannten Quallen, die sich nach einer Phase raschen Wachstums sexuell fortpflanzen, womit wir wieder am Anfang des Entwicklungszyklus wären.

Die Abschnürung der Ephyra-Larven wird Strobilation genannt, ihr Auslöser ist bis heute unbekannt. Dieser Umstand und das sehr ähnliche Aussehen der meisten Polypen stellt Quallenzüchter vor einige Herausforderungen: "Wenn man eine Quallenart züchten will, muss man beide Stadien – also den Polypen und die Medusa – meistern", wie Meeresbiologe Daniel Abed-Navandi vom Haus des Meeres erklärt, "aber bei manchen Arten kommt es einfach nie zur Strobilation." Als Auslöser des Vorganges wurden unter anderem Wassertemperatur, Jodgehalt des Wassers, Nahrungsqualität und Lichtverhältnisse in Erwägung gezogen, aber bisher konnte nichts davon nachgewiesen werden.

Spiegelei-Quallen gehören zu den Wurzelmundquallen, die ihrerseits zu den Schirmquallen zählen.
Foto: Johannes Hallama

Quallenkreisel

Kürzlich wurde jedoch ein chemischer Trick entdeckt, der bei fast allen Quallenarten die Strobilation auslöst, nämlich die Beigabe einer Indol-Verbindung ins Wasser. Indol ist eine chemische Substanz, die in vielen Naturstoffen vorkommt und vielfältig verwendet wird, darunter in Gicht-Medikamenten. Auch die neu zugegangenen Spiegeleiquallen, die ein Geschenk des Zoos Duisburg sind, sollen damit behandelt werden: "Wenn das Lebensende unserer Cotylorhiza-Medusen erreicht ist, werden wir die Polypen mit Indol zur Strobilation anregen, um Ephyren zu erhalten", sagt Abed-Navandi. "Die Medusen leben ja nur fünf bis sechs Monate. Der Polyp dagegen ist durch die Knospung praktisch unsterblich."

Bisher gab es am Haus des Meeres schon die ebenfalls zu den Wurzelmundquallen gehörende Gepunktete Wurzelmundqualle (Phyllorhiza punctata) und die Kanonenkugel-Qualle (Stomolophus meleagris), die beide im Haus gezüchtet wurden. Alle Medusen mit mehr als zehn Zentimeter Schirmdurchmesser brauchen eine spezielle Strömung, in der die Strömungslinien parallel zur Strömungsrichtung und ohne Turbulenzen verlaufen, wodurch die Reißkräfte auf das Medusengewebe reduziert werden.

Deshalb werden sie in speziellen Quallenkreiseln gehalten, in denen solche Bedingungen herrschen. Gemeinsam unterbringen kann man die verschiedenen Medusen-Arten allerdings nicht: einerseits, weil sie sich gegenseitig nesseln könnten, und andererseits, weil man sonst die jeweiligen Polypen verwechseln könnte, die einander stark ähneln.

Unten sind Spiegelei-Quallen üppig mit Giftnesseln besetzt.
Foto: Michael Mitic

Gefürchtete Nesseln

Die Cotylorhiza-Medusen, die mit wenigen Zentimetern Schirmdurchmesser ins Haus des Meeres kamen, können pro Woche mehr als drei Zentimeter Durchmesser zulegen, wobei sie bis zu 35 Zentimeter erreichen können. Selbst bei besten Bedingungen ist das Kleinstplankton, das sie mit ihren Tentakeln fangen, nicht in der Lage, die dafür nötige Energie bereitzustellen. Das muss aber auch nicht sein, denn rund die Hälfte ihres Nahrungsbedarfes decken Wurzelmundquallen über einzellige Algen, die in ihrem Körper leben und ihnen notwendige Stoffwechselprodukte wie Zucker und Stärke zukommen lassen.

Auch Spiegeleiquallen besitzen die gefürchteten Nesselzellen, doch da sie damit nur kleine Planktontiere lähmen, ist deren Gift wenig potent. Daher sind Spiegeleiquallen ebenso wie alle anderen Wurzelmundquallen für den Menschen ungefährlich – im Gegensatz zur zweiten großen Gruppe der Schirmquallen, den Fahnenquallen: Zu ihnen gehört etwa die Feuer- oder Leuchtqualle (Pelagia noctiluca), die viele Menschen aus unliebsamen Zusammenstößen im Mittelmeer kennen. Da diese Quallen Fische oder Garnelen erbeuten, sind ihre Fangtentakel deutlich länger und ihre Nesselzellen durchaus imstande, auch die menschliche Haut zu durchdringen.

Um Quallen-Kontakt beim Meeresurlaub vorzubeugen, empfiehlt sich ein einfaches Mittel: Taucherbrille samt Schnorchel.
Foto: Johannes Hallama

Damit es beim ersehnten Sommerurlaub am Meer nicht dazu kommt, hat Abed-Navandi einen einfachen Rat: "Augen auf! Gegen fast alle Gefahren im Meer helfen Schnorchel und Taucherbrille. Es ist ja nicht so, dass die Quallen in uns reinschwimmen, sondern umgekehrt." Im Übrigen stünden jedes Jahr den weltweit einigen Dutzend lebensbedrohlichen Begegnungen mit Quallen tausende Verletzungen von Schwimmern durch Motorboote und Jetskis gegenüber. (Susanne Strnadl, 3.4.2021)