Den "Aufsichtsrat in der Praxis" kann man am Beispiel von Öbag-Chef Thomas Schmid erleben.

Foto: Öbag/Pulu

Öbag-Chef Thomas Schmid scheint aus Teflon zu sein: Da können noch so viele fragwürdige Chatnachrichten auftauchen oder Ermittlungsverfahren eingeleitet werden – alles prallt an ihm ab, zumindest bislang. Verantwortlich dafür ist auch der Aufsichtsrat der Staatsholding, der den Alleinvorstand abberufen könnte. Erst am Montag sprachen dessen Mitglieder Schmid erneut das Vertrauen aus. Da es keine neuen strafrechtlichen Verdachtsmomente gebe, "ist aktuell auch kein wie immer gearteter Handlungsbedarf für den Aufsichtsrat der Öbag gegeben", heißt es in einer Aussendung.

Wer sitzt im Aufsichtsrat der Öbag? Es sind jedenfalls Leute, an deren Bestellung der Staatsmanager einst als Kabinettschef und Generalsekretär im Finanzministerium aktiv beteiligt war – wenngleich einige Wunschkandidaten abgesagt hatten. Und es sind Personen, die er zu einem Großteil knapp vor jenem Hearing traf, das ihn zum Öbag-Vorstand machte. Insgesamt besteht das Gremium aus neun Mitgliedern. Die türkis-blaue Koalition schnapste sich aus, dass vier Mitglieder aus dem ÖVP-Umfeld stammen sollten, zwei aus dem der FPÖ. Drei Aufsichtsräte sind Personalvertreter.

Treffen vor dem Hearing

Aufsichtsratschef ist Helmut Kern, der über Bernhard Bonelli, damals Vizekabinettschef von Kanzler Sebastian Kurz, angedacht wurde. Am 4. Februar 2019 schrieb Bonelli an den damaligen Finanzminister Hartwig Löger, dass Kern erreichbar sei. Schon am 13. Februar bedankt sich Schmid bei Kurz persönlich: "Wollte mich nur noch mal für alles bedanken! Helmut Kern finde ich sehr smart. Er ist streng und extrem gut vorbereitet." Zu diesem Zeitpunkt ist Schmid formell lediglich Bewerber für den Öbag-Vorstandsposten. Vor dem Hearing am 26. März 2019 sind in seinem Kalender zwei Termine mit Kern zu finden: Am 12. März sowie am 21. März 2019 mit ÖVP-Spender und OMV-Aufsichtsratsmitglied Wolfgang Berndt. Über seine Bewerbung soll da nicht gesprochen worden sein, heißt es.

Erster Stellvertreter Helmut Kerns im Öbag-Aufsichtsrat ist der Trauzeuge von Heinz-Christian Strache: Karl Ochsner, Chef einer Wärmepumpenfirma. Der stammte, genau wie Aufsichtsrat Christian Ebner, also aus dem blauen Kosmos und war bei der ÖVP zumindest zeitweise nicht besonders beliebt – glaubte man doch, Ochsner streue in den Medien Gerüchte über die Ausgestaltung der Öbag. "Kann man den Ochsner eigentlich abdrehen?", schrieb Schmid am 25. Jänner 2019 an den damaligen Kanzleramtsminister Gernot Blümel. "Leider nein", antwortete dieser, worauf Schmid wissen ließ, er befürchte "einen Flohzirkus der Selbstdarstellung". Und der damalige Bewerber für eine – wie die Öbag am Montag schrieb – "internationale und sehr kompetitive Stellenausschreibung" bat Blümel: "Gebt mir einen guten AR-Chef (Aufsichtsrats-Chef, Anm.)."

Karl Ochsner sagt dazu: "Aktuelle Themen die Öbag betreffend beantwortet ausschließlich unser Aufsichtsratsvorsitzender Prof. Mag. Kern." Allerdings sei er grundsätzlich der Meinung, dass "solange der Staat an Unternehmen beteiligt ist, sich die gewählten politischen Vertreter um diese Beteiligungen kümmern werden bzw. müssen. Qualifizierte Vertrauensleute hierfür zu bestellen halte ich für nachvollziehbar."

Erste Gratulationen weit vor Hearing

Der zweite Stellvertreter im Öbag-Aufsichtsrat stammt wieder aus dem Universum der ÖVP: der einstige Hofer-Chef Günther Helm, der mittlerweile die Drogeriekette Müller managt. Schon am 14. Dezember 2018, also sogar vor der Ausschreibung des Jobs und Monate vor der Kür des Alleinvorstands, gratulierte Helm Thomas Schmid, der laut Medienberichten neuer Öbag-Chef werden sollte: Ein Mitglied eines Gremiums, das Thomas Schmid Monate später nach einer "internationalen und sehr kompetitiven Stellenausschreibung" bestellen sollte, gratulierte also schon Monate davor. Schmid, damals noch nicht einmal Bewerber, antwortete Helm: "Mit dir im AR hoffentlich", der replizierte: "Als normales Mitglied gern an deiner Seite." Am 18. Jänner 2019 telefonierte Helm dann mit Löger, der formell für die Bestellung der Öbag-Aufsichtsrats zuständig war.

Ein weiteres ÖVP-nahes Mitglied des Aufsichtsrats: Iris Ortner von der IGO Industries, einem Großspender der ÖVP. Auch sie traf Schmid laut Kalendereinträgen, bevor der Aufsichtsrat der Öbag konstituiert war. Ihren Vater, den mächtigen Industriellen Klaus Ortner, traf Schmid sogar am Tag vor dem Hearing für den Öbag-Vorstandsposten. Ortner richtete ein Dinner aus, an dem Schmid, die Netzwerkerin Gabi Spiegelfeld, ÖVP-Generalsekretär Axel Melchior sowie der Bundeskanzler teilgenommen haben – und auch Aufsichtsrätin Iris Ortner. Sie sagt dazu: "Ich war bei diesem Abendessen anwesend, es war eine größere Runde und ich saß nicht neben Thomas Schmid. Meine Gespräche mit meinen Tischnachbarn bezogen sich auf privates sowie die wirtschaftspolitische Lage. Es waren sehr allgemeine Gespräche, wie immer in diesen größeren Runden." Dass Schmid sich bewerben wolle, war medial bekannt – mit ihm gesprochen habe Ortner darüber nicht.

"Compliant, steuerbar"

Sehr schwierig gestaltete sich die Suche nach einem weiteren weiblichen Aufsichtsratmitglied: Hier hagelte es zahlreiche Absagen, oft erst in letzter Minute. Das war auch der Grund dafür, dass Spiegelfeld emotional wurde: "Diese Weiber gehen mir am Nerv. Scheiß Quote!", schrieb sie an Thomas Schmid – Sätze, von denen sich die Initiatorin des "Klubs für Frauen" heute distanziert. Spiegelfeld brachte nun die Bankerin Susanne Höllinger ins Spiel, die sich ebenfalls weit vor der Konstituierung des Öbag-Aufsichtsrats mit Schmid traf, nämlich am 24. Jänner 2019 im Winterpalais des Finanzministeriums. Auch Kurz' Kabinettsvize Bonelli kündigte an, Höllinger zu treffen. "Wenn wir alle drei ein gutes Gefühl haben, machen wir für sie einen Termin mit Sebastian, okay?", schrieb er an Schmid.

Der war für Höllinger bald Feuer und Flamme. Bei Bonelli bewarb er sie damit, dass sie "sehr vertrauenswürdig" sei: "Trägt auch Unangenehmes mit. Weiß, wovon sie spricht." Auch Blümel und Kurz wollte Schmid mit einer identen Chatnachricht für Höllinger begeistern: "Wirklich eine Gute! Compliant, Finanzexpertin, steuerbar, Raiffeisen und sehr gutes Niederösterreich-Netzwerk. Sie hat für NÖ auch delikate Sachen sauber erledigt."

Unklar ist, woher Schmid das wissen wollte – das geht aus den Chats nicht hervor. Die Bankerin kam jedenfalls recht spät ins Rennen, wurde dann aber Vorsitzende des Prüfungsausschusses und soll in den vergangenen Jahren gegenüber Schmid gar nicht so "steuerbar" wie angepriesen gewesen sein.

"Alle sind sie devot"

Noch hält der Aufsichtsrat jedenfalls an Schmid fest. So verweist man in der Presseaussendung vom Montag darauf, dass sich die Öbag seit dem Amtsantritt Schmids gut entwickelt habe. Als Ansprechpartnerin für Rückfragen angegeben wurde jene enge Vertraute Schmids, mit der er einst im Kabinett des Finanzministeriums monatelang über die gemeinsamen Pläne für die Öbag gechattet hatte – und die Schmid dann mithalf, die Ausschreibung für den Öbag-Chefposten, für den sich Schmid bewerben würde, mitzuschreiben. Wobei die Sache etwas komplizierter ist, überarbeitete der Nominierungsausschuss des Aufsichtsrates die Ausschreibung dann noch mit einem Personalberater.

Gegen Schmid wurde dann rasch nach seinem Amtsantritt bei der Öbag ermittelt, und zwar in der Causa Casinos– es gilt die Unschuldsvermutung. Der Aufsichtsrat argumentiert seither folgendermaßen, wie interne Protokolle von Aufsichtsratssitzungen zeigen: Die Verdachtsmomente gegen Schmid stammten aus der Zeit vor der Öbag; dass Schmid das "Projekt Öbag" vorbereitet und sich dann selbst für den Öbag-Vorstand beworben habe, durchaus vertretbar. Jene Unternehmen, an denen die Öbag beteiligt sei, würden "keine negativen Auswirkungen verzeichnen", er selbst "positives Feedback hinsichtlich der Öbag" erhalten, erklärte Aufsichtsratsvorsitzender Kern schon im Herbst 2019. Tatsächlich entwickelt sich das Portfolio gut, mit Christine Catasta wurde eine einst als Aufsichtsrats-Chefin favorisierte Expertin ins Boot geholt. Unter dem ständigen Auftauchen von neuen Chatinhalten und darin enthaltenen Formulierungen über Mitarbeiter und Aufsichtsräte leidet allerdings das öffentliche Image der Öbag stark, zum Ärger der Beteiligten.

Die staatsnahen Betriebe waren offenbar von Beginn an begeistert: Mit 97,5 Prozent wurde Schmid im Mai 2019 in den Aufsichtsrat der Telekom gewählt. "Bestes Ergebnis ever für Staatsentsandten", schrieb Schmid an den damaligen Pressesprecher im Finanzministerium. "Du bist der Sebastian Kurz der Aufsichtsräte", antwortete der. Schmid: "Die Investoren stehen auf mich." Pressesprecher: "Alle sind sie devot. Sie wollen einen harten Mann."

Günstiges Marktumfeld

Bei der Öbag lief es bislang gut:_Als Beleg für Schmids Qualifikation – auch ohne internationale Erfahrung – nennt die ÖVP die Wertsteigerung des Öbag-Portfolios von rund 21 auf 26 Mrd. Euro. Auf den Einfluss der Öbag-Spitze lässt sich dieses Ergebnis jedoch kaum zurückführen, liegt die Entwicklung doch im Trend der europäischen Märkte. Vor allem die Aktie des Energiekonzerns Verbund, die seit Februar 2019 von 40 Euro auf nunmehr rund 60 Euro kletterte, lieferte ein Plus von rund vier Mrd._Euro. Die Staatsholding verwaltet 51 Prozent des Unternehmens, das dank seiner Wasserkraft vom Boom der grünen Energie profitiert hatte.

Die Argumentation der ÖVP kann auch nach hinten losgehen, rutschte die Verbund-Aktie zuletzt binnen weniger Wochen von ihrem Höchststand von rund 80 Euro wieder abwärts. Auch das Schwergewicht OMV kratzte rund um Schmids Bestellung an einem Wert pro Aktie von knapp 50 Euro. Zwischenzeitlich war der Kurs im Sog des niedrigen Ölpreises und der Pandemie im Vorjahr um mehr als die Hälfte auf rund 20 Euro gefallen. Das schrieb sich bei der Öbag noch niemand auf die Fahnen. (Fabian Schmid, red, 30.3.2021)