Wir leben in einer Zwischeneiszeit, einer Warmzeit innerhalb eines Eiszeitalters, das mit der Vergletscherung der Arktis vor mehr als 2,5 Millionen Jahren seinen Ausgang nahm. Die regelmäßigen Warmzeiten oder Interglaziale entstehen durch zyklische Veränderungen der Sonneneinstrahlung auf der Erde, die sich aus Veränderungen der Parameter der Erdbahn um die Sonne ergeben – man spricht von den Milanković-Zyklen, benannt nach dem serbischen Mathematiker Milutin Milanković.

Heute ist allerdings alles andere als sicher, ob die Erde nach den erwartbaren zig Jahrtausenden einer Warmzeit wieder in eine Eiszeit zurückkehrt. Durch die Aktivität des Menschen, der die Atmosphäre mit bisher nicht dagewesener Geschwindigkeit mit CO2 anreichert, bleibt die Zukunft ungewiss.

In unterirdischen Mineralablagerungen fanden Innsbrucker Höhlenforscher Belege für ein wärmeres und feuchteres Klima in Grönland vor mehreren Hunderttausend Jahren.
Foto: Robbie Shone

Arktisches Klimaarchiv

Um mehr über unsere gegenwärtige Warmzeit herauszufinden, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Wissenschafter nutzen etwa Eisbohrkerne oder geologische Datenarchive, um hunderttausende Jahre zurückzuschauen und mehr über den Verlauf der früheren Klimaerwärmungen herauszufinden. Eine zentrale Frage dabei lautet: Was können wir erwarten, wenn die Phänomene der Warmzeit und der menschengemachten Klimaerwärmung zusammentreffen?

Gina Moseley vom Institut für Geologie der Uni Innsbruck konnte mit ihren Kollegen in einer kürzlich im Fachjournal "Science Advances" veröffentlichten Studie zur Beantwortung dieser Frage ein Puzzlestück beitragen. Bereits in einer 2015 mehr oder weniger auf eigene Faust per Crowdfunding organisierten Expedition nach Nordostgrönland sammelte sie Höhlensinter, Kalzitablagerungen ähnlich Stalagmiten und Stalaktiten, die durch langsam fließendes Wasser in Höhlen entstehen und zu den sogenannten Speläothemen gehören.

Zufallsfund im Kalten Krieg

Der wissenschaftliche Vorteil dieser Mineralien: Der Zeitpunkt ihrer Bildung ist über viele Hunderttausend Jahre hinweg verhältnismäßig genau datierbar. Zudem lässt der darin gebundene Sauerstoff – er stammt aus dem Wasser, das einst die Höhle durchfloss – gut auf die damaligen Umweltverhältnisse zurückschließen.

Der Sinter in den grönländischen Höhlen am 80. Breitengrad etwa 35 Kilometer von der Küste der Insel entfernt wurde erstmals entdeckt, als die US-Armee im Kalten Krieg der 1960er-Jahre nach Plätzen für Notlandungen in der Polarregion suchte. Ein Artikel in einem Höhlenforschermagazin, den Moseley entdeckte, gab Zeugnis davon. Es ist das erste bekannte und ausgewertete Klimaarchiv dieser Art in der Hohen Arktis.

Starke Sonneneinstrahlung

Die Datierung der Probe führte das Wissenschafterteam in eine Warmzeit, die 549.000 bis 588.000 Jahre in der Vergangenheit liegt. "Dieser Abschnitt gilt im Vergleich zur Gegenwart eigentlich als global kühl. Das Wachstum dieses Bodensinters zu dieser Zeit zeigt aber, dass die Arktis wärmer als heute gewesen sein muss", erklärt Moseley. Heute ist der Nordosten der Arktis trocken und niederschlagsarm, eine von Permafrost geprägte polare Wüste. Damals war es aber warm genug, dass es in einer Höhle fließendes Wasser gab.

Gina Moseley, Höhlenforscherin und Innsbrucker Uni-Professorin.
Foto: Robbie Shone

Die Existenz der Speläotheme in dieser Region sowie die Analyse der darin enthaltenen chemischen Signaturen zeigte, dass es damals zumindest um 3,5 Grad Celsius wärmer war, als es heute ist. Die Analyse der Probe lässt zudem auf humusbedeckte Böden in dieser Region – und damit auf Pflanzenwuchs – schließen. Heute ist dort nur noch blanker Fels.

Starke Sonneneinstrahlung

Die damaligen Warmzeiten waren jedoch generell kühler. Erst durch das sogenannte Mid-Brunhes-Ereignis (MBE) vor etwa 430.000 Jahren – der Auslöser dieser in Eisbohrkernen und Meeressedimenten nachgewiesenen Klimaverschiebung ist bis heute unklar – veränderten sich die Klimazyklen und brachten wärmere Interglaziale. Dass es vor 550.000 Jahren in der Nordarktis dennoch dieses warme und feuchte Klima gab, bringt Moseley mit den Erdbahnparametern in Zusammenhang. Sie ließen mit hoher Wahrscheinlichkeit die ungewohnt starke Sonneneinstrahlung in diese arktische Region zu.

Auf der einen Seite ist die damalige Klimasituation also nur sehr bedingt mit der heutigen vergleichbar, weil die Erwärmung offenbar nur regionale Ausprägung hatte. Auf der anderen Seite ist der Blick in die Vergangenheit der Arktis auch ein Blick in ihre Zukunft, denn der anthropogene Klimawandel wird auch dort wieder hohe Temperaturen bringen. "Die Ergebnisse zeigen jedenfalls, dass man sich bei der Erforschung des Klimawandels die regionalen Unterschiede sehr genau ansehen muss", betont Moseley.

Reiche Ausbeute

Mit der Forschungsarbeit von Moseley und Kollegen wurde ein neues Fenster in die Klimavergangenheit aufgestoßen, das einen punktuellen Einblick gibt. Dabei soll es nicht bleiben. 2019 kehrte die Höhlenforscherin mit einem interdisziplinären Team in den Nordosten Grönlands zurück. Die neuerliche Expedition, die ein Start-Preis des Wissenschaftsfonds FWF an Moseley ermöglichte, brachte reiche Ausbeute: Speläothem-Proben aus mehreren Höhlen in einem größeren Areal wurden gesammelt.

Zurzeit werden diese Mineralien im Rahmen eines vierjährigen Doktoratsprojekts ausgewertet. Zum einen geht es darum, die bisherigen Erkenntnisse zu bestätigen und zu festigen. Zum anderen könnten die Funde aber noch weitere Fenster in frühere und spätere Phasen des arktischen Klimas öffnen – und so einen Panoramablick auf das arktische Klima ermöglichen. (Alois Pumhösel, 5.4.2021)