Falsche Frage. Der andere Läufer sah mich kurz leicht irritiert an. "Wieso ist das die falsche Frage?" Aber schon während er das sagte, begann er zu lachen: "Stimmt: falsche Frage. Darum, wozu das nötig ist, geht es echt nicht." Und weg war er. Ich aber stand mitten im Prater und versuchte rauszukriegen, welches meiner gefühlt 20 umgeschnallten Geräte sich gerade mit welchem anderen nicht verstand, empört piepte – und mich ein bisserl in den Wahnsinn trieb: Der andere war mir ebendort entgegengekommen, wo – hier im Bild – Sekunden später dann auch die Wiener Laufinstitution Alfred Sungi herzhaft lachen musste: Ich stand mitten in der Landschaft und versuchte, zwei Uhren, ein Smartphone, Bluetooth-Kopfhörer und zwei Pulsgurte zu koordinieren – und dabei (die Gopro unterm Kinn oder zwischen den Zähnen) auch noch zu fotografieren: "Und wozu braucht man das?" Hatte der erste Läufer gefragt. Falsche Frage.

Foto: thomas rottenberg

Denn natürlich braucht man das alles nicht, um zu laufen. Oder um sich zu bewegen. Trotzdem geben Menschen Unsummen für technischen Schnickschnack aus – und diskutieren dann stundenlang (oder wie hier: seitenlang) darüber, welcher Tracker besser, welche Uhr genauer, welche App schlauer und welches Gadget unverzichtbarer ist. Ich ja auch. Und: Ja, es macht mir Spaß. Aber: "Brauchen?", "nötig?", "unverzichtbar?" Eben.

Erstaunlicherweise ist es aber so, dass Gewohnheit Bedarf schafft. Auch wenn der nur vermeintlich ist: Ich will auf manche Features nicht mehr verzichten. Und weil da jede Userin und jeder Anwender anders gestrickt ist, geht die Schere der Möglichkeiten immer wieder auf.

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Wobei das schon auch lustig ausarten kann: etwa dann, wenn man von einem Unbekannten angeschrieben wird und der fragt, wie zufrieden ich mit der Genauigkeit meiner "privaten" Garmin – seit längerem der Forerunner 945 – sei, wenn ich das Teil als optischen Pulsmesser am Handgelenk verwende, um diese Daten per Bluetooth "live" ans Handy zu schicken und dort per Strava oder Komoot zu tracken.

Die Frage war ernst gemeint – und überraschte mich: Ich wusste bis dahin gar nicht, dass meine Uhr das kann – und musste erst suchen. Aber vor allem fragte ich mich: Wozu soll das gut sein? Hochspezialisierte Multisportcomputer so zu verwenden ist so, als würde ich vor einen Formel-1-Wagen zwei Ochsen spannen: Klar geht das. Nur: Cui bono? Der Fragesteller wusste es auch nicht. "Ich hatte gehofft, dass du mir das auch sagen kannst."

Foto: thomas rottenberg

Dass das Senden von Vitalwerten ans Smartphone oder ein anderes Device Sinn machen kann, ist aber unbestritten. Und muss nicht teuer oder aufwendig sein. Nur betonen das die Hersteller nicht gern, weil sie sich den Uhrenmarkt damit kaputtmachen würden. Statt der teuren Uhr tut nämlich auch ein (vergleichsweise billiger) Pulsgurt ab 35 Euro genau das, was die Gratis-App am Handy allein nicht kann: Puls messen eben. Die beiden von mir derzeit verwendeten optischen Gurte – zum einen der Verity Sense von Polar, zum andern der Tickr Fit von Wahoo – liegen da preislich mit rund 80 Euro schon in der Oberliga. Aber: Brauchbare Sportuhren beginnen meist bei 200 Euro.

Foto: thomas rottenberg

Was Pulsbänder wie die vorhin erwähnten können? Zum einen sind sie bequemer als die – ebenfalls günstigen – an der Brust zu tragenden "klassischen" Herzfrequenzmesser. Vor allem Frauen klagten oft, dass Brustgurte in Kombination mit Sport-BHs scheuern.

Brustgurte sind zwar exakter – aber eben lästig. Darum liegen sie meistens irgendwo herum.

Optische Sensoren dagegen kann man überall tragen. Am Oberarm oder an der Wade am mitgelieferten Gummi – bandlos sogar unter (engen) Socken oder der Badehaube: Solange ihre Blinklichter die minimalen Volumensveränderungen der Haut durch das pulsierende Blut messen können, funktionieren sie – und übertragen per Bluetooth und ANT+ (eine zweite Sportcomputer-"Sprache") an alle empfangsfähigen Geräte. Längst auch an mehrere gleichzeitig. Und: ja, auch an die von Fremdherstellern.

Foto: thomas rottenberg

Freilich können die teureren Teile mehr: So zeichnen sie – etwa im Wasser oder bei Sportarten, bei denen Uhren- oder Handytragen aus Sicherheitsgründen (Judo, Eishockey …) nicht geht – Daten auch autonom auf. Oder messen zusätzlich Trägheitswerte. Etwa um Schrittfrequenzen zu eruieren.

Allerdings endet da die "sprachliche" Universalität vieler Sensoren wieder: Gespeichertes oder "Sonderfunktionen" aus der eigenen Markenwelt anderswohin zu schicken, kann nicht jedes Gerät. Da lohnt es sich, vor dem Kauf genauer zu schauen.

Oder auf die Konnektivität zu achten. Wobei das auch an den anderen verwendeten Geräten liegen kann: Während mir Wahoos Tickr Fit mir beim Laufen Sinnlosdaten liefert, die mir aber eben Spaß machen, tut er sich beim Verbinden mit meinem Laptop schwer.

Der Polar-Gurt könnte – in Kombination mit einer Vantage- oder Grit- oder anderen Polar-Uhr – dafür speichern und senden. Das brauche ich aber nicht. Dafür finden einander aber der Verity und mein Laptop immer sofort. Obwohl das Rundum-Setup immer gleich ist.

Foto: thomas rottenberg

Dass hier Wahoo-Pulsmesser auftauchen, ist kein Zufall: Das ursprünglich auf Rollentrainer und Radcomputer spezialisierte Unternehmen streckt seine Fühler nämlich in Richtung Lauf- und Multisport aus. Mit der Element Rival hat die US-Marke im Spätherbst genau das getan, was mir gegenüber im Februar davor noch als "Lagerfeuergeschichte" bezeichnet und dementiert worden war: eine Uhr auf den Markt gebracht nämlich.

Was die um 380 Euro angebotene Rival von Mitbewerbern unterscheidet, ist zwar cool – aber ein Nische-in-der-Nische-Feature: Sie erkennt im Triathlonmodus angeblich (ich war heuer noch nicht Schwimmen-Laufen) Übergänge zwischen den Disziplinen. Man erspart sich im Wettkampf also Knopferldrücken. Eh super – trotzdem frage ich ketzerisch, wie groß die Zielgruppe jener ist, die das verwenden. Und wie viele von diesen Leuten damit tatsächlich signifikant Wettbewerbsvorteile rausholen können.

Egal: Es geht um Potenziale. Um das, was Teile können können – weil man es wollen will.

Foto: thomas rottenberg

In der auf die echte Hightech-Performance fokussierten Fachpresse wurde die Wahoo-Uhr dennoch zerpflückt. Mit Gründen: Die Uhr kann viel nicht, was der Mitbewarb in den letzten Jahren als Standard etabliert hat: navigieren etwa. Oder Trainingsplanunterstützung. Geld ausgeben. Oder … Wirklich verwunderlich ist das bei einem "Erstling" nicht – schließlich haben Polar, Suunto und Garmin Jahre Vorsprung.

Und auch die schärfsten Kritiker (etwa "DC Rainmaker") attestieren dem "Newbie" zweierlei: Das Teil schaut cool & wertig aus. Und Wahoo hat auch schon in anderen Gebieten rascher aufgeholt, als es dem Mitbewerb lieb war.

Foto: thomas rottenberg

Was der "Rainmaker" dann beim Zerpflücken sehr genau nimmt, ist vor allem die GPS-Genauigkeit: Da ortet er jede Menge Luft nach oben.

Nicht dass ich seinen Grafiken und Analysen widersprechen möchte. Aber im Alltagsgebrauch sehe ich das entspannter. Ich habe die Rival unter anderem zweimal auf Halbmarathondistanzen gegen meine Garmin 945er "antreten" lassen – und beide Male lagen die getrackten Routen keine 300 Meter auseinander: Da ich keine Marschflugkörper punktgenau ins Ziel steuern muss, kann ich mit derlei "Ungenauigkeit" gut leben.

Anzeigemodi und die App-Einbindung mag ich auch – wobei genau das Geschmackssache, wenn nicht sogar für viele das markenentscheidende Feature ist.

Ob ich die Uhr aber kaufen würde?

Gute Frage. Vermutlich würde ich noch ein bisserl warten: Wahoo ist bekanntlich gut im Aufholen. Trendsetting ist zwar cool – man zahlt aber oft Entwicklungskosten. Und auch wenn die Rival ein feiner Wecker ist: "Meine" persönlichen Killerfeatures hat sie nicht. Noch – das ist nur eine Frage der Zeit.

Foto: thomas rottenberg

Genau deshalb, wegen dieser persönlichen Killerfeatures, habe ich unlängst auch wieder einmal eine Suunto ausprobiert: die Suunto 7. Die ist zwar nicht neu am Markt, sollte aber Mitte April in einer Titan-Version rauskommen. Und im Juni wird es angeblich eine neue Suunto 9 Peak geben. (Wieso sie Shakespeare zitiert? Keine Ahnung.)

Was die 7er kann, ich aber bisher nicht wahrgenommen habe, ist genau das, was mich meine aktuelle Uhr lieben lässt: Musik & Bezahlen – ohne Handy.

Hat man die Technik und die Bedienung über mehrere Apps – Wear OS, Suunto, Google Pay und Spotify – durchschaut, die Kopfhörer verbunden (ohne sie aus dem Fenster zu werfen, weil sie sich automatisch gleich wieder mit dem Handy am Küchentisch connecten, dessen Bluetooth-Funktion man jetzt ja nicht ausschalten darf), funktioniert die Unterwegsbeschallung klaglos. Und darüber, dass die Uhren dieser Liga ihren eigentlichen Job gut und präzise machen, müssen wir nicht eigens diskutieren – bei keinem Markenhersteller.

Foto: thomas rottenberg

Was aber sehr wohl Thema ist, ist die Convenience. Bequemlichkeit, Gewohnheit, persönlicher Geschmack, "Look & Feel" der Anwendungen: So werden die Smartwatchfunktionen der Suunto über Wear OS gesteuert. Fein, aber von der Usability her – schlicht subjektiv – nicht meins.

Die App, mit der Training und Sport der Suunto dann am Handy gezeigt und ausgewertet werden, wäre es aber. Der Haken? Suunto hat sich im Herbst endgültig von seiner Webplattform Movescout verabschiedet. Uhren werden nun de facto nur noch per App verbunden. Da die sich mit einer Million anderer Trainings- und Sportseiten (und Apps, egal ob Strava, Trainerpeaks oder sonst was) verbinden lassen, ist der tatsächliche Verlust enden wollend.

Dennoch fehlt vielen UserInnen etwas. Vermutlich nur, weil sie die Möglichkeit, am "großen" Rechner an Uhren und Einstellungen zu tüfteln, seit immer gewohnt waren (aber eh kaum nutzten). Trotzdem.

Foto: screenshot

Womit ich – endlich – zur Anfangsgeschichte im Prater zurückkomme. Zum "Geräteoverkill" unterwegs – und Anwendungen, die kein vernünftiger Mensch so je aktivieren würde.

Schuld daran sind die Leute von Garmin: Die schickten mir mit der Enduro ihr neuestes Dauerlauf-Flaggschiff. Eine Uhr, die angeblich ewig und einen Tag durchhält – und wenn das ins Glas eingebaute Solarpanel genug Sonne bekommt, noch ein paar mehr: Die Enduro ist also eine Berg-, Multisport- und Ultralauf-Uhr, mit der auch eine Wüstendurchquerung kein Problem sein sollte. Zumindest das Tracken.

Was die Uhr aber (so wie mittlerweile viele andere) auch kann: ZuhausebleiberInnen das Zwiften versüßen. Also das sportliche Bereisen virtueller Welten vom Heimtrainer aus. Was zwiften am Rad ist und kann, habe ich schon öfter, zuletzt hier, beschrieben – und ausgespart, dass man auch beim Laufen zwiften kann.

Wieso? Weil ich Laufbänder hasse.

Foto: thomas rottenberg

Lauf-Zwiften ist aber genau das: ein Feature, das das Indoor-Laufen von "superöd" zu "gesellig" pimpen soll. Mit modernen High-End-Laufbändern ist das kein Problem – weil die Dinger so wie "smarte" Rollentrainer über 1.000 Features, Einbindungen und Anwendungen verfügen, mit denen sie sich via Ethernet, Laptop, Tablet oder Smartphone mit der Zwift-Welt verbinden lassen. Nur gibt es auch ältere und schlichtere Laufbänder. Oder Menschen, die im Fitnessstudio (wenn es je wieder offen haben sollte) nicht 25 Minuten an Einstellungen und Verbindungen herumschrauben wollen.

Also haben Uhren wie die Enduro (oder Wahoos Rival) heute "virtuelle" Lauffunktionen. Über die kann man sich auch mit der Zwift-App am eigenen Handy oder Laptop verbinden – und in Watopia, New York & Co herumrennen.

Foto: thomas rottenberg

"Virtual Run" bedeutet aber auch, dass die Uhr das Laufen – also die Bewegung – nicht anhand der GPS-Daten, sondern ausschließlich durch die Armbewegung per Trägheitssensoren in der Uhr (und mitunter eben auch dem Pulsmesser) erkennt, misst – und an die Virtual-Lauf-App weitergibt: Ob man am Laufband, auf einer Indoor-Bahn, in einem Tunnel oder der Hauptallee rennt, sollte also egal sein.

Und weil ich Laufbänder nicht mag, tat ich genau Letzteres: Ich koppelte Garmins Enduro und den Polar Verity Sensor (am linken Oberarm) mit Zwift am iPhone. Dann legte ich rechts den Wahoo Tickr Fit an, verband ihn mit meiner 945er-Garmin, die schon mit meinen Kopfhörern verbunden war – und schaltete zum Drüberstreuen am Smartphone dann noch das Tracken via Strava ein.

Foto: thomas rottenberg

Komplett sinnfrei, ich weiß – aber darum geht es nicht.

Worum es geht: Den Nachweis, dass es geht.

Denn auch wenn ich irgendwann unterwegs versehentlich per "Hosentaschenanruf" das Zwift-Gerenne unter- und dann sogar abbrach, weil wenn es sogar mir zu geistesgestört geschienen hätte, beim Laufen in der Echtwelt die virtuelle Laufwelt am Smartphone ständig vor der Nase zu haben: Es funktioniert.

Richtig gut. Sollte ich also je wieder im Fitnesscenter am Band rennen, oder mich ein Superhart-Lockdown zum Kauf eines Laufbandes bewegen: Ich weiß, dass das billigste Band genügt.

Aber da ist noch etwas.

Foto: thomas rottenberg

Denn auch wenn der auf Zwift aufgezeichnete Lauf nur wenige Kilometer lang war, war ich ja mit eingeschalteter "Laufband"-Uhr ohne GPS genauso weit gelaufen wie mit dem per GPS trackenden Wecker an der anderen Hand.

Und obwohl die "Enduro" nie kalibriert oder sonstwie auf mein Laufen eingestellt worden war, deckten sich die Daten fast 1:1. Laut der GPS-Uhr war ich 23,3, laut Bewegungssensoren 23,15 Kilometer unterwegs.

Am – relativ betrachtet – "ungenauesten" war die Strava-Messung via iPhone: 24, 2 Kilometer. Wobei das mit der Genauigkeit natürlich auch genau umgekehrt sein kann – aber ganz bestimmt eines ist: Ziemlich wurscht.

Foto: thomas rottenberg

Denn auch wenn es für mich und viele andere irgendwas zwischen lustig und spannend ist, mich mit Gadgets zu behängen, die Unmengen an Daten sammeln, auswerten und ausspucken, steht doch eines fest:

Um zu laufen, um sich zu bewegen, braucht man nichts davon.

Dafür ist nur eines nötig: Den Hintern von der Couch hoch zu kriegen – und zu beginnen.

(Anmerkung im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die genannten Geräte wurden von der Herstellern für Testzwecke zur Verfügung gestellt.)

(Tom Rottenberg, 30.3.2021)

Weiterlesen:

Träumen am Gummiband: Wieso ich zwifte

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