Helsinki ist die am nördlichsten gelegene Hauptstadt der EU. An der von zahlreichen Buchten und Inseln geprägten Küstenlinie der Region drängt sich zwischen Hafenanlagen und modernen Glastürmen eine pittoreske Altstadt mit Klassizismus- und Jugendstilbauten. Das ganze Land gibt sich in Sachen Klimaschutz progressiv. Viele Kommunen und Unternehmen bemühen sich um Nachhaltigkeit und können auf die Unterstützung einer bereits stark auf das Thema sensibilisierten Bevölkerung bauen.

Helsinki, die Stadt am Finnischen Meerbusen, ist von seinen Buchten und Inseln geprägt. Forscher entwickelten maßgeschneiderte Lösungen für das Energiesystem der Stadt.
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Auch die Hauptstadt selbst hat sich in große Ziele gesteckt. Dort möchte man zum europäischen Vorreiter werden und schon bis 2035 zur CO₂-neutralen Stadt werden. Das ist durchaus ehrgeizig, weil es dafür eines großangelegten Umbaus des städtischen Energiesystems bedarf. Immerhin kommt heute noch weit mehr als die Hälfte der Wärmeversorgung aus Kohlekraftwerken.

"Radikale Lösungen" gesucht

Um die beste Strategie für die individuelle Situation der Stadt zu finden, hat Helsinki einen Wettbewerb ausgeschrieben – die Helsinki Energy Challenge. Eine Million Euro wurden für die beste Antwort auf folgende Frage ausgeschrieben: Wie kann man das Heizsystem Helsinkis dekarbonisieren und dabei so wenig Biomasse wie möglich verwenden? Die Kohlekraftwerke sollen verschwinden, Holz- und andere Biomasseressourcen aber geschont werden. Man sucht wörtlich nach "radikalen Lösungen".

In einem der Teams, die 2020 dieser Ausschreibung gefolgt sind, war auch das auf nachhaltige Energietechnologien spezialisierte Forschungsinstitut AEE Intec in Gleisdorf in der Steiermark vertreten – ein Mitglied des Forschungsnetzwerks Austrian Cooperative Research (ACR). Gemeinsam mit den französischen Unternehmen Engie, Storengy und Newheat, dem finnischen Solartechniker Savosolar und der dänischen Beratungsfirma Plan energi fand man sich zum Konsortium Hive zusammen und legte – als eine von mehr als 250 Einreichungen – ein Konzept für die 650.000-Einwohner-Stadt vor. Dieses Konsortium ging nun als Gewinner des Bewerb hervor.

"Der Großteil der Wärme kommt im Moment von zwei Kohlekraftwerken, die aber 2024 und 2029 vom Netz gehen sollen. Spitzenlast wird zudem durch Wärme aus Erdgas abgedeckt. Es gibt ein relativ neues Biomasseheizwerk. Doch hier gibt es keine Intention, diese Energieform weiter auszubauen, weil ein weiterer Bedarf nicht lokal und nachhaltig gedeckt werden kann", skizziert Ingo Leusbrock, der bei AEE Intec für das Projekt zuständig war, den Status quo in Helsinki.

Kombinierte Lösungen

Die Experten beachteten in den Plänen zudem, dass es neben Heizwärme zum Teil auch Bedarf an Kälteversorgung gibt – etwa für bestimmte Betriebe, Supermärkte oder Büros. In diesen Fällen sollten kombinierte Lösungen Anwendung finden.

Das Konzept von Hive setzte zum einen an der Verbraucherseite an. Dazu gehören Anreize und Bewusstseinsbildung für thermische Sanierungen oder Hausspeicher, aber auch intelligente Regelungskonzepte, die Lastspitzen etwa in den Morgen- oder Abendstunden verhindern. Die Mittel der Digitalisierung sind für Leusbrock ein wichtiges Mittel zur Optimierung des Energiesystems. Der Wärmebedarf der Stadt könnte mit diesen Mitteln bis 2035 um etwa 20 Prozent sinken.

Zum anderen kommt auf der Seite der Bereitstellung der Wärmeenergie eine ganze Reihe innovativer Konzepte zum Einsatz. "Ein wichtiger Aspekt ist die Speicherung, sowohl langfristig in Form von saisonalen Wärmespeichern als auch für kürzere Zeiträume wie Tage und Wochen", sagt Leusbrock. Bei den saisonalen Erdbeckenspeichern ist Dänemark ein Vorbild. Auch in Graz gibt es Pläne für den Bau eines derartigen Speichers – sie harren aber noch ihrer Umsetzung. Für Helsinki wurden verschiedene Orte meist an der Peripherie der Stadt identifiziert, an denen der Bau für das Energiesystem Sinn macht.

Meer als Energiequelle

Die Saisonalspeicher sollen die Energie aus Solarthermie, aus Geothermie oder aus Industrieabwärme in den Winter bringen. "Wir haben Solarthermiefelder in der Größe von mehreren Hunderttausend Quadratmetern berücksichtigt. Trotz des nordischen Klimas können sie in Kombination mit den Erdbeckenspeichern gute Effekte erzielen", sagt Leusbrock. Flächen dafür wären etwa auf alten Industriearealen vorhanden. Zusätzlich sollen große Meerwasserwärmepumpen die Ostsee als Energiequelle anzapfen.

Die Gesamtmaßnahmen ergeben eine CO₂-Einsparung von 78 Prozent, sagt Leusbrock – übrig bleiben die Biomasseanteile sowie der Bedarf an elektrischer Energie für das Heizsystem, der noch nicht vollständig emissionsfrei gedeckt werden kann. Der Ball liegt nun bei den Verantwortlichen aus Helsinki: Der Bewerb brachte eine Unmenge Ideen. Es liegt an ihnen, sie weiter zu verbessern, zu einem eigenen Konzept zu verdichten und zu einer Umsetzung zu führen. (Alois Pumhösel, 6.4.2021)