Bei einem an widrigen Umständen reichen Milliardenprojekt wie dem Semmering-Bahntunnel fällt Schwund offenbar erst ab einer bestimmten Größenordnung auf.

Foto: Der Plankenauer

Wien – Hätten die Angeklagten nicht ständig weitergemacht, wäre der Betrug möglicherweise nie aufgeflogen. Aber wenn 200.000 Liter Diesel zu viel bestellt und abgezweigt werden, fällt das selbst bei einem Megaprojekt wie dem Semmeringbasistunnel (SBT), bei dem locker an die fünf Milliarden Euro bewegt werden, auf.

So häuften die sechs Angeklagten in den Jahren 2017 bis 2019 einen Schaden von insgesamt 1,8 Millionen Euro an, von dem laut Anklageschrift allerdings nur der weitaus kleinere Teil (rund 200.000 Euro) auf abgezweigten Diesel entfällt. Der große Rest bestand aus Baustahl, Baumaterial und Gebrauchsgütern – darunter ein TV-Gerät mit hochauflösendem Bildschirm –, die sich auf 1,6 Millionen Euro summierten.

Wie es gelang, den Treibstoffbedarf für Baumaschinen und Fahrzeuge trotz des mit einem automatischen elektronischen Bestellsystem ausgestatteten Tanks künstlich derart in die Höhe zu schrauben, den beim Mineralöllieferanten zu viel georderten Diesel zu verbringen und (über abgesondert verfolgte Abnehmer) "schwarz" zu verkaufen, darüber rätseln selbst die Verteidiger der Angeklagten.

Diesel um 200.000 Euro

Allerdings dürfte es bei den vielen Baustellen des 27 Kilometer langen Eisenbahntunnelprojekts nicht einfach sein, den Überblick zu bewahren. Insgesamt wurde zwischen Juni 2018 und Jänner 2019 siebenmal Treibstoff geordert, nicht nach Grautschenhof geliefert, sondern an eine vermeintliche Außenstelle in Schottwien, von wo selbiger zu 70 bis 80 Cent pro Liter weitervercheckt wurde – bis die geschädigte Arge SBT 3.1 Grautschenhof Marti GmbH – Marti Tunnel AG Verdacht schöpfte und ihre Innenrevision nachforschen ließ, die prompt fündig wurde.

Etwas aufwendiger war die Konstruktion, über die ab 2017 in großem Stil Baumaterialien geschleust wurden – teils über eigens für diesen Zweck unterhaltene Unternehmen der Angeklagten. Sie klingt laut Rekonstruktion der Staatsanwaltschaft Leoben einfach wie bestechend: Ein Baukaufmann der Tunnelbaugesellschaft schließt namens der Geschädigten – zum Schein – eine Vereinbarung über ein Kompensationsgeschäft mit der Firma des Drittangeklagten ab, wonach dessen Unternehmen auf Rechnung der Arge SBT 3.1 Baumaterial bezieht und im Gegenzug in den Jahren 2018 bis 2021 eine vollständig ausgestattete und funktionstüchtige Containeranlage mit 40 Wohneinheiten (für Bauarbeiter) samt Fundament und Außenanlagen liefert.

Baumaterial zum Schein

Mit einem weiteren Zulieferer der Arge SBT wird dann die Lieferung von Baumaterial im Wert von einer halben Million Euro an diese bauausführende Installationsfirma vereinbart. Auf den dazugehörigen Lieferscheinen und Rechnungen, die vom Baukaufmann freigegeben wurden, schienen freilich nur für den Tunnelbau übliche Materialien auf. Begründet wurde der Mehrbedarf an Material mit dringend gebrauchten Mitarbeiterunterkünften in einem zweiten Containerdorf, die zuständige Arge SBT sei informiert.

So wurden beispielsweise fünf Züge Baustellmatten bestellt, veranlasst wurde jedoch nur die reguläre Lieferung von vier Zügen. Im Wert des fünften Zuges seien dann Bestellungen für die Firmen der Angeklagten vorgenommen und auch geliefert worden. Bezahlt wurden die entsprechend gefälschten Rechnungen dann von der Arge SBT, zeichnet die Staatsanwaltschaft die Schleichwege nach. Ähnlich lief es bei Baustahlgittern, die bei Großhändlern bezogen und zu erhöhten Preisen verrechnet wurden – bisweilen wurden gar nur Scheinlieferscheine und -rechnungen gestellt. Die so erlangten Einnahmen teilten die Akteure untereinander auf. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.

Der Prozess beginnt am 12. April in Leoben. (Luise Ungerboeck, 31.3.2021)