Die österreichische Politik ist derzeit eine Mischung aus Zögern, Streiten, Populismus und Hilflosigkeit. Das gilt für Corona. In Sachen Legitimation zum Regieren bedeutet sie ein fortschreitendes Aufdecken trauriger moralischer Maßstäbe, die Entzauberung einer Selbstverkäuferpartie, ernsthafte Zweifel an der Funktionsfähigkeit.

Wir gehen in die Osterfeiertage mit einem dringenden Bedarf an Orientierung. An Richtlinien, was jetzt zu tun ist, mit welchem Ziel und mit welchen Mitteln. Das ist in Sachen Corona ein Jahr später immer noch unklar. Was die demokratische Substanz betrifft, drängt sich die Erkenntnis auf, dass die üblichen österreichischen Zustände ganz bewusst noch massiv verschlechtert wurden.

Sebastian Kurz und sein enger Kreis müssen derzeit sehen, wie sie ihre Regierungsfähigkeit behalten.
Foto: imago images/SEPA.Media/Martin Juen

Wer bietet in dieser Situation Orientierung? Wer sagt, was jetzt notwendig wäre? Wer durchbricht die Ermattung, den Zynismus und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den richtigen öffentlichen Worten – und zugleich mit diskretem Handeln?

Der Bundespräsident ist die verbliebene Instanz mit Glaubwürdigkeit – und mit, wenn auch begrenzten Mitteln. Von ihm ist zu erhoffen, dass er zunächst mit einer klaren öffentlichen Aussage die völlig verrutschten Maßstäbe für alle sichtbar wieder zurechtrückt.

Dritte Welle

Die Situation: Die dritte Welle ist in vollem Gang, aus den Spitälern, den Laboren, den Abteilungen der Wissenschafter dringen beunruhigende Nachrichten, aber das Krisenmanagement ist zersplittert, in Teilen inkompetent, immer noch ohne richtiges Problembewusstsein. Der Gesundheitsminister "verhandelt" tagelang mit unwilligen Landeshauptleuten, denen man (mit Ausnahme des Wiener Bürgermeisters) erst den Ernst der Lage klarmachen muss, die Impforganisation läuft zum Teil immer noch mehr schlecht als recht. Und: Wie geht es nach der "Osterruhe" weiter? Der Bundeskanzler mag im Hintergrund tätig sein, öffentlich hört man von ihm derzeit nichts oder nichts Richtungsweisendes.

Kein Wunder, Sebastian Kurz und sein enger Kreis müssen derzeit sehen, wie sie ihre Regierungsfähigkeit behalten. Die Chats des politischen "Operators" Thomas Schmid mit Kurz und Gernot Blümel offenbaren einen speziell türkisen Machtmissbrauch. Postenschacher et cetera ist an sich Austro-Folklore. Aber das Spezielle ist, dass eine kleine Gruppe glaubt, sich über alles hinwegsetzen zu können. Und diese kleine Gruppe geht zu weit, nämlich in Richtung Orbánismus: Die katholischen Bischöfe fordern von uns mehr Humanität im Umgang mit Flüchtlingen ein? Na, dann drohen wir ihnen halt mit der Steuerkeule!

Irgendjemand muss diese Truppe auf ihre zweifache Verantwortung aufmerksam machen – für ein kompetentes und ethisch einwandfreies Handeln.

Ein Bundespräsident kann "nur" appellieren, aber Alexander Van der Bellen ist in der Lage, das so zu tun, dass sowohl die Bevölkerung als auch die wichtigsten politischen Akteure nicht so einfach darüber hinweggehen können. Er kann auch intern Empfehlungen aussprechen, ungeeignete oder diskreditierte Personen zu ersetzen. Viel mehr geht unter den jetzigen Umständen nicht und wäre auch nicht angemessen. Wir haben keine Präsidialrepublik. Aber wir haben Bedarf an Orientierung. (Hans Rauscher, 30.3.2021)