Die Politisierung der Verwaltung führt zu einem Aushebeln der Verwaltung, warnt der Ökonom Thomas Wieser im Gastkommentar. Lesen Sie dazu auch den Beitrag von Helmut Brandstätter: "Öbag-Chats: Liebe und Unterwerfung".

Diverse Pannen und Parallelaktionen in der Corona-Krise zeigen: Die Fehleranfälligkeit der Verwaltung ist hoch. Woran liegt das?
Foto: APA / Herbert Neubauer

Die österreichische Politik liebt seit Jahrzehnten Verwaltungsreformen. Warum, so fragt sich oft der verblüffte Bürger, kommt es dennoch zu solch gravierenden Fehlleistungen wie in der Causa BVT, aber auch laufend – von der Öffentlichkeit mal bemerkt, mal nicht – in diversen anderen Bereichen, auf der Ebene des Bundes, der Länder und Gemeinden. Gerade in letzter Zeit stellt man sich die Frage, ob eine holprige Implementierung einer Impfstrategie nicht auch auf Fehlleistungen der Verwaltung zurückzuführen ist.

Die Fehleranfälligkeit der Verwaltung ist im letzten Jahrzehnt deutlich angestiegen. Ohne grundlegende Änderungen im Verhältnis von Politik und Verwaltung werden sogar gut gemeinte Reformbestrebungen wenig an der Misere ändern.

Politisches Selbstverständnis

Ein erster Ansatz, um dem Problem auf die Spur zu kommen, ist die Frage nach dem Selbstverständnis von Politik. Besteht es darin, dass man politischen Erfolg aus der medialen Verwertung von Absichtserklärungen bezieht, so kostet die Planung (und Implementierung) einer professionellen Umsetzung lediglich Zeit und Ressourcen. In der Wirtschaft würde man das wohl mit einem CEO vergleichen, der einen Jahresplan verkündet und den Rest des Jahres auf dem Golfplatz verbringt. Will die Politik jedoch, was ja die Hoffnung und Erwartung wäre, mehr als eine Aneinanderreihung von Gedanken an zukünftige Pläne erreichen, so muss auch der Apparat für eine vernünftige Umsetzung vorhanden sein. Das ist meistens "die Verwaltung".

Ich habe im Laufe meines Berufslebens eng mit den Verwaltungen der (damals) 28 EU-Mitgliedstaaten zusammengearbeitet, von denen einige wenige exzellent, einige ganz gut und einige katastrophal waren. Man muss sich auch nicht lange bei Selbstverständlichkeiten wie einer ausreichenden Personalausstattung aufhalten. Dass dies jedoch alles andere als selbstverständlich ist, zeigt das Beispiel Sloweniens, das im Zuge von Verwaltungseinsparungen etwa 80 Prozent der EU-Experten in der Verwaltung freigesetzt hat. Die EU-Präsidentschaft 2021 wird wohl eine Gratwanderung. Gemein ist jedoch allen (der wenigen) gut strukturierten und funktionierenden Verwaltungen, dass sie professionell geführt werden, untereinander exzellent koordiniert werden und ein meritokratisches Aufnahme- und Beförderungssystem haben.

Inhaltliche Veränderung oder Partikularinteressen?

Welche Rolle spielt die Politik da, und – noch wichtiger – welche Rolle spielt sie nicht? Zurück zu der Frage, was Politik will: Will sie sich inhaltlich durchsetzen und Veränderungen bewirken? Oder gar nur Partikularinteressen von Parteigängern und Eigeninteressen durchsetzen?

Politik, die auf inhaltliche Veränderung abzielt und evidenzbasiert ist, gibt die politischen Ziele vor. Die inhaltliche Umsetzung delegiert der CEO dem Personal der Firma, in diesem Falle der Verwaltung. Ein gutes Management kontrolliert regelmäßig den Umsetzungsstand. Je weniger Interesse man an der Umsetzung hat, sondern an einer Politisierung der Verwaltung, desto eher politisiert man letztlich sogar die Abläufe und Umsetzungsschritte, was durch das weitgehende Aushebeln der Verwaltung funktioniert.

Zu große Kabinette

Ein wesentlicher Faktor, die Verwaltung auszuhebeln, ist möglichst große Kabinette in Ministerien oder anderen Verwaltungseinheiten zu schaffen. Die wirklich guten Administrationen in EU-Staaten haben kleine Kabinette für die jeweiligen Minister. Je schlechter hingegen ein Land verwaltet ist, desto größer sind im Schnitt die Kabinette. Der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem kam beispielsweise mit einem einzigen politischen Referenten aus, ansonsten stützte er sich auf die Experten seiner Verwaltung. Ähnlich die Personalausstattung des damaligen Finanzministers Wolfgang Schäuble in Berlin.

Der nächste Schritt ist sodann, die einzelnen Mitglieder der Kabinette in die Verwaltung einzuschleusen, wobei in der Regel gerade die qualifizierteren Kabinettsmitarbeiter anderweitig Karriere machen. Damit ist sichergestellt, dass politische Opportunität den Vorzug vor faktenbasierter Beratung der Politik erhält. Wenn Aufnahmen und Beförderungen gezielt nach politischer Zugehörigkeit erfolgen, was in den letzten Jahrzehnten von relativ hohem Niveau ausgehend noch weiter zugenommen hat, so braucht man nur noch wenige kritische Stimmen zu fürchten.

"Die Politik betrachtet es als Erfolg, möglichst viele Parteifreunde unterzubringen."

Dass eine Personalpolitik, die eher nepotistisch denn meritokratisch ist, zu qualitativ mittelmäßigen Umsetzungen führt, liegt auf der Hand. Oft liegt das auch daran, dass der Verwaltungsapparat gar nicht mehr mitbekommt, was auf politischer und scheinpolitischer Ebene denn ausgemacht wird. Die Koordination erfolgt primär über politische Büros, die eher am kurzfristigen politischen Erfolg und nicht an Umsetzbarkeit oder gar langfristigem Erfolg interessiert sind. Von Kritik ganz zu schweigen.

Nepotistische Systeme führen also unausweichlich zu schlecht funktionierenden Institutionen. Die Politik betrachtet es als Erfolg, möglichst viele Parteifreunde unterzubringen – nicht jedoch, eine erstklassige Verwaltung auf die Beine zu bringen.

Aber die Verwaltung hat auch systemische interne Mängel: Anreizsysteme funktionieren nicht, Minderleistung wird nicht sanktioniert, da sind das Beamtendienstrecht und die Personalvertretung vor. Es gibt erhebliche Mängel in der Personalausstattung im Bund, während in den Bundesländern und etwa der Gemeinde Wien noch eher aus dem Vollen geschöpft wird.

Ausgelaugte Verwaltung

Der Sukkus: Österreich muss sich, will es denn gut verwaltet werden und gegen zukünftige Krisen besser gewappnet sein, das Ziel einer besser funktionierenden Verwaltung setzen. Das gilt für alle Ebenen unseres Staates.

Die zunehmend miserable Qualität der Verwaltung ist kein Ergebnis übermäßigen Sparwahns, sondern einer langfristigen parteipolitischen Kaperung der Verwaltung, die dadurch qualitativ ausgelaugt und demotiviert worden ist. Ohne Änderung dieser nepotistischen Strukturen, ohne langfristig angelegte Meritokratisierung bleibt solch ein Ziel unerreichbar. (Thomas Wieser, 31.3.2021)