"Seit Wochen ist 'Salzmann 4' mit einer Gruppe aus seinem Dorf unterwegs. Sein Name ist Farshid. Er ist 16 Jahre alt. [...] Morgen kommen sie zur Salzmine. Dort sollen sie für sechs Monde [...] arbeiten. Die Arbeit soll gefährlich sein, sagen sie. Aber Farshid ist sehr gespannt." Dass Farshid nur noch wenige Tage lebt, weiß er zu diesem Zeitpunkt nicht. Kurz nach seiner Ankunft in der Salzmine von Chehrābād vor 2.400 Jahren geschieht ein Unglück. Mehrere Menschen sterben – auch Farshid. Mit einer Graphic Novel erzählt das Deutsche Bergbau-Museum Bochum in seiner Sonderausstellung "Tod im Salz. Eine archäologische Ermittlung in Persien" den letzten Tag des berühmten Salzmann 4. Sie geben den Salzmännern fiktive Namen: Salzmann 4 wird zu Farshid, Salzmann 3 zu Aram und Salzmann 5 zu Navib. Die Geschichte basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, die die Forscherinnen und Forscher rund um Thomas Stöllner seit über 20 Jahren zusammentragen.

Bahnbrechende Ergebnisse dank internationaler Zusammenarbeit

Ausgangspunkt der Forschung sind die 1993 im Salzbergwerk von Chehrābād, Iran, gefundenen mumifizierten Menschen. Seit 2007 untersucht und rekonstruiert ein internationales Team die Lebenswelt der Menschen im Persien der Achämeniden vor 2.400 Jahren und Sassaniden vor 1.500 Jahren. Es sind bahnbrechende Ergebnisse, die das Team zusammenträgt.

Salzmann 4.
Foto: klaus stange

Keramikfunde und Siedlungsspuren am Fuße des Berges sowie Reste von Nahrungsmitteln im Salzbergwerk lassen Vermutungen zu, wie die Bergarbeiter gelebt haben könnten. Botanische sowie tierische Überreste geben Hinweise darauf, wie die Landschaft zur Zeit von Salzmann 4 ausgesehen haben könnte. Das Umland war bewaldeter als heute und in den vergangenen 2.000 Jahren bildete sich eine circa fünf Meter hohe Sedimentschicht im Tal, wie geologische Untersuchungen von Bohrkernen und geoelektrische Messungen zeigen. Die Menschen ernährten sich von Getreide und Früchten, Schaf- und Ziegenherden weideten in der Nähe des Salzberges. Ein mumifiziertes Ziegenbein lässt Rückschlüsse auf die wahrscheinlich braune Fellfarbe der Tiere zu. Neben der Lebensweise der Bergmänner können die Abbaumethoden rekonstruiert werden. Dank der hervorragenden Erhaltung organischer Materialien ist die Form der Werkzeuge, mit denen das Salz abgebaut wurde, erkennbar. Mit Experimenten im Salzbergwerk von Bad Dürrnberg bei Hallein erarbeiten die Archäologinnen und Archäologen mögliche Abbaumethoden – und vergleichen diese mit den zeitgleichen Funden aus Österreich.

1.500 Jahre alter sassanidischer Handschuh, gefunden im Salzbergwerk von Chehrābād.
Foto: Deutsches Bergbau-Museum Bochum

Lebenswichtiges Salz

Salz ist für den Menschen überlebenswichtig. Damit der Körper funktioniert müssen täglich fünf bis sieben Gramm Salz aufgenommen werden. "Seit dem Neolithikum muss Salz in größerer Menge zugeführt werden, denn die kaliumreiche Getreidenahrung braucht das Salz, um verdaut und im Körper umgesetzt werden zu können", führt Stöllner aus. Dies erklärt, warum Menschen schon früh daran interessiert waren, Salz abzubauen. In mehreren groß angelegten Grabungskampagnen konnte die Nutzungsgeschichte des Bergwerks querschnittartig untersucht werden. So zeigt sich, dass neben den achämenidischen und sassanidischen Nutzungsphasen, in die die Mumienfunde datieren, das Salz in Chehrābād kontinuierlich abgebaut wurde – bis 2009.

Karina Grömer und Thomas Stöllner bei Untersuchungen an Salzmann 4.
Foto: Karina Grömer

Ein auf den Grabungsarbeiten aufbauendes konservatorisches und ausstellungsplanerisches Projekt (Federführung: Deutsches Bergbau-Museum Bochum) war durch die Gerda-Henkel-Stiftung bewilligt worden. Das Archäologische Museum Frankfurt ist als weiterer Antragsteller zusammen mit dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum, dem Naturhistorischen Museum Wien, der Ruhr-Universität Bochum und den iranischen Partnern (Zanjān Saltmen and Archaeological Museum, National Museum of Iran) zentral in das Projekt eingebunden. Das Ziel des Projektes "Die Salzmänner Irans. Das Kulturerbe des Salzmumien-Museums in Zanjān" ist die fachgemäße Konservierung und die Bekanntmachung von außerordentlichen organischen Funden und Mumien in Iran aus den achämenidischen und sassanidischen Epochen, die sich vor allem im Saltmen-Museum in Zanjān in Westiran befinden. Es handelt sich um bedeutende Entdeckungen, die bisher wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse erbracht haben und die für die Identität einer ganzen Region eine signifikante Rolle spielen.

Textilforschung an einer Mumie

Die Mumien der Bergleute sowie weitere teils vollständig erhaltene Kleidungsstücke sind eine wichtige Quelle für unser Verständnis der Geschichte der Kleidung, gemeinsam mit den aus dem alt- und neupersischen Reich bekannten bildlichen Quellen. Wir haben erstmals konkret nachweisbare Arbeitskleidung aus einem Salzbergwerk vor uns. Die Kleidung von Salzmann 4 ist dabei besonders spannend. Die Stoffe der Gewänder wurden bereits in die richtige Form gewoben, dann nur noch zusammengeklappt und an den Seiten zusammengenäht. Die Rekonstruktion der Hose von Salzmann 4 war eine besondere Herausforderung. Wie Karina Grömer vom Naturhistorischen Museum Wien berichtet "… wie soll man den Schnitt einer Hose identifizieren, wenn eine Mumie, die noch dazu in einer verzerrten Körperhaltung daliegt – sie noch trägt? Ich habe dann einfach ein Stück modernen Stoff genommen und an den Beinen eines Kollegen so lange Drapierungsversuche gemacht, bis ich die Herstellungsweise der Hose entschlüsselt hatte. Das Ganze geschah im Museum in Zanjān, teils unter neugieriger Beobachtung der Besucher – mit Erklärungen meinerseits inklusive Simultanübersetzung in Farsi. Das war wirklich ein außergewöhnliches Erlebnis für mich als Textilforscherin."

Experimentelle Rekonstruktion der Hose von Salzmann 4.
Foto: Karina Grömer

Im Salzbergwerk von Chehrābād wurden viele Textilien entdeckt. Das Naturhistorische Museum Wien beschäftigt sich seit vielen Jahrzehnten mit der Erforschung des prähistorischen Salzbergwerks Hallstatt und den dort aufgedeckten außergewöhnlichen organischen Objekten. Auch die verschiedenen Textilreste aus dem Salzbergwerk von Chehrābād hatten verschiedene Funktionen im Bergbau. So sind die Gewänder der Bergmänner zu nennen, aber auch textile Gegenstände, die als Arbeitsgerät im Bergbau eingesetzt wurden, etwa große Wollsäcke. Es finden sich auch zerrissene Fetzen von teilweise hochwertigen Stoffen, die manchmal auch Knoten tragen. Sie wurden extra gesammelt, um dann als behelfsmäßiges Bindematerial oder als Lumpen im Salzbergwerk benützt zu werden – etwa zur Reinigung von Mensch und Gerät, als Lappen, oder als Unterlage.

Szenen einer Ausstellung

Eine Ausstellung während einer Pandemie zu planen, mag komisch klingen. Doch die Museumsmacherinnen und Museumsmacher haben sich der Herausforderung gestellt, die Salzmänner als Teil des Kulturerbes zu präsentieren. Die Sonderausstellung thematisiert nicht nur die Ergebnisse der langjährigen Forschung, sondern stellt die archäologische Arbeit in den Mittelpunkt. Die Besucherinnen und Besucher erleben so, welche Schritte bei einer Ausgrabung wichtig sind und dass Forschung auch interdisziplinäre Teamarbeit ist. So gelingt es dem Team aus Archäologen, Archäobotanikern, Geophysikern, Medizinern und Textilforschern ein buntes Bild der Lebenswelt vor über 2.000 Jahren zu zeichnen.

Spontan und flexibel reagierten sie auf die sich ändernden Umstände und verlagerten die Ausstellung kurzerhand ins Internet. Ein detailgetreuer digitaler Rundgang ermöglicht es Besucherinnen und Besuchern, die Forschung zu den Salzmännern zu erkunden, auch wenn die Museen geschlossen sind. Die Objekte sind in virtuellen Vitrinen zu sehen. Dies bietet den Vorteil, dass einige Objekte in 3D-Modellen gezeigt werden und die Besucherinnen und Besucher die Objekte sehr viel genauer betrachten können, als in Realität.

Ein besonderes Highlight ist das Design der Ausstellung. Große Schlagzeilen leiten die einzelnen Themenabschnitte ein. Als Kontrast dazu bekommen die Besucherinnen und Besucher detailliertere Informationen im Stil einer bekannten Online-Enzyklopädie. Stöllner erklärt, wie das Team auf dieses Design kam: "Wir wollen auf verschiedenen Ebenen die Besucherinnen und Besucher mitnehmen und haben uns für die Optik der Sensationspresse entschieden. Damit kann man zum einen zeigen, dass die Funde eine Sensation sind, zum anderen darauf aufmerksam machen, welche Sprache bei Sensationen verwendet wird."

Neben den großen Schlagzeilen veranschaulichen Zeichnungen von Sasan Saidi die Themen. Seine Illustrationen nehmen die Erkenntnisse auf und bringen diese in ein visuelles Element. "Die Herausforderung bei diesem Projekt war, nicht zu genau zu zeichnen. Ich bin es gewohnt, viele Details darzustellen, doch bei Farshid wissen wir vieles nicht. Daher habe ich versucht, nur das zu beleuchten, was wissenschaftlich belegbar ist. Dass die Szenen zum Großteil untertage spielen, ist hier ein Vorteil. Wir haben verschiedene Techniken ausprobiert und haben uns am Ende für den kontrastreichen Comic Noir entschieden. Dieser Stil ermöglicht es, eine Atmosphäre zu schaffen, ohne zu viele Details zu zeigen", sagt Saidi in einem Interview.

Darstellung der Hand von Salzmann 4 in der Graphic Novel.
Foto: sasan saidi
Die Flucht aus dem Salzberg.
Foto: sasan saidi

Am Ende der Ausstellung setzen sich die einzelnen Zeichnungen zu einer Graphic Novel zusammen und ergeben ein Bild über das Leben vor 2.400 Jahren. Details stehen schwarzen Flächen gegenüber. Die Bildsprache verdeutlicht, dass die Forschenden einiges sehr detailliert rekonstruieren können, vieles aber noch im Dunkeln ist. (Thomas Stöllner, Nicolas Schimerl, Pia Weber, Karina Grömer, 1.4.2021)