Die Wiege der Menschheit liegt in Afrika – und Spuren unserer Vorfahren sind dort insbesondere in Küstennähe zu finden. Daher dachte man, dass sich der Homo sapiens in Afrika über lange Zeit vorwiegend in der Nähe zum Meer aufgehalten hat. Nun hat ein internationales Forscherteam erstmals mehr als 100.000 Jahre alte Belege für die Anwesenheit moderner Menschen in der Kalahari-Wüste im Landesinneren entdeckt. Die Ergebnisse wurden im Fachblatt "Nature" veröffentlicht.

Unter den Funden sind Kalzit-Artefakte, die eher kulturelle denn praktische Bedeutung gehabt haben dürften.
Foto: Jayne Wilkins

Die zahlreichen Ausgrabungsstätten in Küstennähe führten zu der verbreiteten Annahme, dass die Nähe zum Meer und den dort verfügbaren Nahrungsressourcen zur Entwicklung des modernen Menschen beigetragen haben könnten. Die ältesten Belege für die künstlerische oder spirituelle Nutzung von Gegenständen stammen aus küstennahen Fundstätten und sind zwischen 125.000 und 70.000 Jahre alt. Damit schien ein Zusammenhang mit der Umgebung und der immer komplexeren Entwicklung der kulturellen und sozialen Fähigkeiten unserer Vorfahren möglich.

Straußeneier als Wasserbehälter

Die neuen Funde in der südafrikanischen Kalahari werfen aber nun ein anderes Licht auf die Geschichte des modernen Menschen in Afrika. "In unserer Studie haben wir Funde unter einem Felsvorsprung mehr als 600 Kilometer im Landesinneren analysiert und ein Alter von 105.000 Jahren festgestellt", sagte Michael Meyer vom Institut für Geologie der Universität Innsbruck, einer der Ko-Autoren der Studie.

Konkret untersuchten die Forscher 42 großteils verbrannte Überreste von Straußeneierschalen, die bei Grabungen am Ga-Mohana-Hügel in der heutigen Trockensavanne gefunden wurden. Sie dienten vermutlich als Wasserbehälter. Außerdem fanden sich dort 22 markant geformte Kalzitkristalle, die offenbar gezielt gesammelt wurden, obwohl sie keinen erkennbaren praktischen Nutzen hatten. Die Forscher vermuten, dass diese Objekte für rituelle Handlungen verwendet wurden. Bis heute dient der Ga-Mohana-Hügel der dort ansässigen Bevölkerung als spirituelle Gebetsstätte. "Die Funde belegen, dass diese steinzeitlichen Binnenmenschen Verhaltensweisen und kognitive Fähigkeiten an den Tag legten, die gleichwertig sind mit jenen die man beim Homo sapiens zur gleichen Zeit in unmittelbarer Küstennähe antrifft", sagte Meyer.

Grabungen am Ga-Mohana-Hügel in der südlichen Kalahari.
Foto: Jayne Wilkins

Feuchtere Umgebung

Um das Alter der Funde zu bestimmen, nutzten die Forscher die sogenannte Optisch Stimulierte Lumineszenz-Datierung. Dabei werden natürliche Lichtsignale verwendet, die sich im Laufe der Zeit in Quarz- und Feldspatkörnern anreichern. "Dabei kann man sich jedes Korn wie eine winzige Uhr vorstellen, die wir unter kontrollierten Laborbedingungen ablesen. Das Lichtsignal lässt uns auf das Alter der archäologischen Sedimentschichten schließen. Je mehr Licht, desto älter das Sediment", sagte Meyer. Die aufwendigen Analysen gaben auch über die damaligen Umweltbedingungen Aufschlüsse. Demzufolge war die Umgebung der Fundstätte damals deutlich feuchter als heute.

"Einige unserer Annahmen über den Zusammenhang der Entwicklung des Homo sapiens mit dem Leben in Küstenregionen müssen überdacht werden", sagte Jayne Wilkins von der australischen Griffith University, die Erstautorin der Studie. Die Funde aus der Kalahari würden demnach eher die These stützen, dass sich der Sprung zum modernen Menschen in verschiedenen Regionen Afrikas vollzogen hat. (red, APA, 31.3.2021)