Immer mehr Städterinnen und Städter haben die Sehnsucht, sich die Finger beim Garteln schmutzig zu machen.

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Beim Wohnprojekt "ERnteLAA" startet heuer die erste Gartelsaison. Hier gibt es sogar drei Glashäuser für wetterresistente Hobbygärtner und -gärtnerinnen.

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Im Wohnprojekt Glanbogen in Salzburg gibt es ein Kernteam aus 16 Interessierten, die miteinander garteln.

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Mit ein paar Blumenkästen auf der Fensterbank ist es heute längst nicht mehr getan. Denn in vielen Städterinnen und Städtern ist in den letzten Jahren – und noch einmal verstärkt durch die Corona -Pandemie – die Sehnsucht erwacht, sich die Finger schmutzig zu machen. In Hochbeeten auf Dächern werden Tomaten gezogen, Erdbeeren geerntet und Kräuter gezupft.

"Die Beschäftigung mit der Natur beruhigt, entspannt und macht glücklich", sagt Joachim Kräftner, Geschäftsführer von Kräftner Landschaftsarchitektur. Darauf reagieren Bauträger, die Wohnprojekte mit der Möglichkeit zum Garteln bewerben. Aber wie funktioniert dieses "Urban Gardening" in der Realität? Und wird dort am Ende wirklich einträchtig nebeneinander gegartelt – oder entbrennen hier Nachbarschaftsstreits darüber, wer wem eine Tomate stibitzt hat?

Beim Wohnprojekt "ERnteLAA" der Buwog in Wien-Liesing wird sich das weisen. Hier beginnt heuer die erste Gartensaison. In der Meischlgasse sind 31 freifinanzierte Mietwohnungen und 160 Wohnungen im Rahmen der Wiener Wohnbauinitiative entstanden. Auf dem Dach gibt es insgesamt 400 Quadratmeter Pflanzflächen. Außerdem stehen hier drei 60 Quadratmeter große Glashäuser – eines zur Aufzucht von Jungpflanzen, eines zur Überwinterung von Topfpflanzen und eines für Zusammenkünfte der Hobbygärtnerinnen und -gärtner. Letzteres mit Fußbodenheizung.

In die Konzeption des Daches flossen die Erfahrungen aus vergangenen Projekten ein, erzählt Michael Herbek von der Buwog-Projektentwicklung in Österreich. Etwa aus der Oase 22 im 22. Bezirk, wo seit der Fertigstellung 2012 das Dach entsprechend genutzt wird. "Das funktioniert bis heute sehr gut", sagt auch der damals zuständige Landschaftsarchitekt Joachim Kräftner.

Begleitung nötig

Aus Erfahrung weiß man bei der Buwog, dass Großbeete schneller bepflanzt und genutzt werden als Einzelbeete. Ein wichtiger Punkt ist auch: "Es braucht jemanden, der das moderiert und zum Laufen bringt", sagt Herbek. Bei "ERnteLAA" übernimmt diese Rolle für eine Pflanzensaison das Quartiersmanagement der Caritas. Gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern werden auch Regeln fürs Dach erarbeitet.

Noch etwas hat man bei der Buwog gelernt: Das Garteln muss durchdacht und komfortabel sein. Vom Dach des Wohnprojekts "ERnteLAA" führt daher ein Abwurfschacht direkt in den Müllraum, über den man Strauchschnitt und zerkleinerte Äste entsorgen kann. So muss Abfall nicht durch das ganze Haus geschleppt werden. Netter Nebeneffekt für die Hausverwaltung: So werden auch die Aufzüge und die Gänge weniger verschmutzt.

Gestritten wird wenig an den gemeinschaftlichen Hochbeeten, meinen Bauträger. Ernteneid gibt es keinen. Das berichtet auch Gerhard Strasser von der Immoschmiede, der für die Kommunikation im Wohnprojekt Glanbogen in Salzburg zuständig ist. Nur mit Hunden, die sich an den Hochbeeten erleichterten, gab es kurzfristig ein Problem – das aber mit dem Pflanzen einer Rosenhecke gelöst wurde. In der General-Keyes-Straße in Salzburg wurde in den letzten Jahren eine Wohnanlage, die in den 1950er-Jahren für amerikanische Offiziere errichtet worden war, saniert und erweitert. 550 Wohnungen sind mit dem Projekt Glanbogen entstanden. Die Gärtnerinnen und Gärtner sind hier mittlerweile schon recht erfahren.

Die Hochbeete liegen hier ebenerdig. Die ersten zwei Saisonen wurden noch von Profis begleitet. Mittlerweile hat ein Kernteam von 16 Interessierten übernommen. Wenn nicht gerade Corona das gesellschaftliche Leben lahmlegt, trifft man sich einmal wöchentlich, "da wird besprochen und gegartelt", sagt Strasser. Eine Biertisch-Garnitur wurde für die Treffen vom Bauträger zur Verfügung gestellt. Auch die Grundausstattung – Scheibtruhe, Werkzeug, Hackschnitzel – kam vom Bauträger, und ein Komposthaufen wurde veranlasst. Die Hackschnitzel werden demnächst erneuert. Ansonsten läuft die Sache.

Für heuer hat sich das Gartenkollektiv eine Änderung gewünscht: So werden in den vier großen Hochbeeten erstmals Einzelbeete abgeteilt. Das sei gewünscht worden, damit die urbanen Gärtnerinnen und Gärtner den Corona-Sicherheitsabstand einhalten können.

Verwilderte Flächen

Noch einmal mehr Gartensaisonen hat das Projekt Laskahof der GWG in Linz auf dem Buckel. In der vor zehn Jahren fertiggestellten Wohnanlage steht jedem Bewohner bzw. jeder Bewohnerin eine fix zugeteilte Fläche auf dem Dach zur Verfügung. Das wird von manchen sehr gerne genutzt – von anderen nicht. Manche der kleinen Flächen würden daher verwildern, berichtet Nikolaus Stadler, Geschäftsführer der GWG: "Das haben wir uns zwar anders vorgestellt. Aber letztendlich ist das ja auch naturnah."

Und vielleicht stellt sich ja der eine oder andere auf seine naturnahe Wiese auf dem Dach einen Liegestuhl. Auf dem Dach darf es nicht nur ums Garteln gehen, betont Landschaftsarchitekt Kräftner: "Das Geheimnis ist, dass man in diesem Wohnfreiraum ein vielfältiges Angebot schafft." Es braucht nicht nur Platz zum Garteln, sondern auch Sitzmöglichkeiten, damit sich Ruhesuchende zurückziehen können, sowie ein Angebot für Kinder. Das funktioniert, ist Kräftner überzeugt: "Manchmal komme ich kurz nach der Schlüsselübergabe vorbei, und es sind schon die ersten Salatpflanzen angesetzt."

Gut für die Nachbarschaft

Das Schöne am Garteln in der Stadt: Es hat einen integrativen Aspekt, weil unterschiedliche Menschen zusammenkommen. Das hat auch Gerhard Strasser im Glanbogen in Salzburg beobachtet: Dort gebe es Mieter, die exotische Kräuter aus ihren Heimatländern angepflanzt haben – und die nun zwischen den Krautköpfen und Tomaten wuchern. Seniorinnen und Senioren aus der Nachbarschaft hätten sogar ihre Spazierrouten geändert, um an den Hochbeeten vorbeizukommen, weil sich hier immer etwas tut.

Das gemeinsame Garteln stärkt die Hausgemeinschaft, weil man ins Gespräch kommt. Und wenn die Nachbarin notfalls mal das Gießen übernehmen kann, tut das nicht nur der Nachbarschaft gut. Sondern auch den Tomaten. (Franziska Zoidl, 8.4.2021)