Meisterstratege oder Verlierer? Alle Bemühungen von Bundeskanzler Sebastian Kurz, Österreich auf die Liste jener Staaten zu hieven, die ein Sonderkontingent an Impfstoffen bekommen sollten, liefen – zumindest bisher – ins Leere.

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Die 27 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union wussten schon sehr gut, warum sie die endgültige Entscheidung über den Korrekturmechanismus bei der Impfstoffverteilung nicht gleich beim Gipfeltreffen am vergangenen Donnerstag treffen wollten, sondern diese Agenda in die Hände ihrer Botschafterinnen und Botschafter in Brüssel legten: Sie würden vielleicht heute noch vor den Bildschirmen sitzen, verhandeln, feilschen – und streiten.

Und tatsächlich ist das, schon für sich selbst genommen, eine heikle und folglich auch undankbare Verhandlungsmaterie. Wie feststellen, wer wirklich einen Mangel an Vakzinen hat? Wo den Grenzwert zwischen "läuft super", "geht schon", "geht nicht" und "zu Hilfe!" setzen? Denn je nach Definition der Notfallkriterien fallen manche Länder aus dem Spiel raus – oder kommen plötzlich doch wieder rein.

Österreich nicht auf der Liste

Am Mittwoch begannen die Verhandlungen auf Botschafterebene. Portugal, im ersten Halbjahr 2021 EU-Ratsvorsitzland, schlug zuletzt vor, insgesamt drei Millionen jener zehn Millionen vorgezogenen Biontech/Pfizer-Impfdosen für Nachlieferungen im Sinne eines "Solidaritätsausgleichs" zu nutzen. Nutznießer seien demnach Bulgarien, Kroatien, Estland (ein Neuzugang, den es bisher nicht gab), Lettland, die Slowakei sowie Tschechien. Österreich steht nicht auf der Liste und bekäme nur 139.170 Impfdosen, was dem Verteilungsschlüssel je Bevölkerungszahl beim verbleibenden Kontingent von sieben Millionen Biontech/Pfizer-Dosen entsprechen würde. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte sich aber aus dem Zehn-Millionen-Paket bis zu 400.000 Dosen erhofft. Es blieb aber bisher dabei: Österreich gehört nicht zu den Benachteiligten.

Allenfalls habe sich die Regierung in Wien – so war es schon beim EU-Gipfel vergangene Woche zu hören gewesen – beim Bestellverfahren im Sommer 2020 vertan oder habe bloß Geld sparen wollen. "Österreich? Nein. Ich denke nicht, dass Wien Hilfe benötigt", meinte Italiens Ministerpräsident Mario Draghi schon am vergangenen Freitag. "Die Lage in Österreich ist nicht dramatisch, sie haben sogar eine höhere Impfrate als wir."

Harte Position aus Dänemark

Während man dieser Tage immer wieder auf die harten Positionen von Dänemark, der Niederlande oder Deutschlands hinweist, wenn es um den Verteilungsstreit geht, hat sich zuletzt vor allem in Italien ein Widerstandsnest gegen Kurz' Vakzinbeschaffungspolitik gebildet. Da bezichtigt etwa die EU-Parlamentarierin Tiziana Beghin, Delegationsleiterin der regierenden Fünf-Sterne-Bewegung, den Kanzler der "politischen Spielchen" auf dem Rücken der europäischen Bürgerinnen und Bürger: "Weisen wir gemeinsam diese Erpressungsversuche zurück."

Auch Nicola Danti, EU-Parlamentarier der mitregierenden Kleinpartei Italia Viva von Ex-Premier Matteo Renzi, griff Kurz an: "Die EU darf nicht vor dieser neuen Erpressung kapitulieren, die bezeugt, dass Nationalismus Egoismus bedeutet." In italienischen Leitartikeln war von einem "Europa in Geiselhaft" zu lesen, während Wien ebenso diskret wie unverschämt mit Russland um Lieferungen des Sputnik-V-Impfstoffs verhandle.

"Autsch, das tat weh"

Das US-Magazin "Politico" schildert die österreichische Vorgehensweise aus seiner Sicht in einem Newsletter vom Mittwoch unter dem Titel Autsch, das tat weh. Die Forderungen beziehungsweise Drohungen – die das Bundeskanzleramt noch Dienstagnachmittag eilig dementierte – würden ins Leere laufen.

Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft bestätigte, dass es laut Expertise der eigenen Brüsseler Juristen "keinerlei Möglichkeit für einzelne Staaten" (gemeint ist wohl Österreich) gebe, die EU am Ankauf zusätzlicher Impfdosen bei zugelassenen Herstellern zu hindern.

Was dem Vernehmen nach bei etlichen EU-Regierungen auf Kritik stößt, ist die Tatsache, dass die Kollegen aus Wien nicht den Beginn der Botschafterverhandlungen abwarten wollten, sondern stattdessen schon vorab – und noch dazu öffentlich – Druck aufbauten. So macht man sich keine Freunde.

EU-Debatte vertagt

Der Vorschlag des portugiesischen EU-Vorsitzes bleibt jedenfalls strittig. Am Mittwoch gelang den EU-Botschafterinnen und -Botschaftern kein Durchbruch bei den Verhandlungen: Sie haben den Streit am späten Nachmittag über die Verteilung der zehn Millionen vorgezogenen Biontech/Pfizer-Impfdosen vertagt. (Gianluca Wallisch, 31.3.2021)