Sebastian Kurz ist angetreten, um frischen Wind in die Politik zu bringen. Vor allem ist er mit dem Versprechen angetreten, es anders und besser zu machen, den Proporz, die Postenschacherei und die Freunderlwirtschaft hinter sich zu lassen. Kurz hat glaubwürdig vermittelt, dass er selbst von diesem System angewidert sei und dass er es mit seinem jugendlichen Elan und mit seinem frischen Blick auf die Dinge anders machen kann, besser eben. Die alten Zöpfe abschneiden, das war im Wesentlichen das, was Kurz und seine Freunde als das Projekt der "neuen Volkspartei" zu verkaufen versucht haben.

Sebastian Kurz ist angetreten, um frischen Wind in die Politik zu bringen.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Mit Erfolg. Die Zeit war reif für etwas Neues, für die Überwindung der Verhaberung und der Trägheit. Dafür wurde Kurz gewählt. Ihm ist es gelungen, den Wählerkreis entscheidend zu erweitern: Viele Menschen, die sich von der ÖVP bisher nicht angesprochen gefühlt hatten, haben Kurz gewählt. Leute aus einem gesellschaftspolitisch liberalen Umfeld waren von der Dynamik, der Direktheit und der unkonventionellen Art, mit der Kurz die Dinge angeht, angetan, aber auch viele aus der anderen politischen Richtung, die von der FPÖ enttäuscht waren, fühlten sich durch den harten, kompromisslosen Kurs gegen Ausländer bestätigt. Das waren die Eckpfeiler seines Wahlerfolgs.

Jetzt stürzt das System Kurz gerade in sich zusammen. Die in der Öffentlichkeit aufgetauchten Chats zeigen ein Bild der Verhaberung, der Seilschaften, der Freunderlwirtschaft und des Postenschachers – so skrupellos und selbstverständlich, dass einem der Atem wegbleibt. Kurz und seine Vertrauten bilden hier einen Staat im Staat, sie haben das alte System gekapert und verinnerlicht. Wer wen kennt, wird was, da werden Gefälligkeiten ausgetauscht und vorausgesetzt, da werden Ausschreibungen zur Farce, da werden Jobs nach Hörigkeit und Fügbarkeit vergeben.

Keine Konsequenzen

Das sickert jetzt einmal in der Öffentlichkeit. Da werden sich jene, die Kurz gewählt haben, auch fragen, ob das das neue System ist, das sie sich vorgestellt haben.

Einsehen scheint es bei der Kurz-Partie keines zu geben. Nachdem sie ertappt wurden, wird abgelenkt und verharmlost: Das war doch immer schon so, so läuft das eben. Konsequenzen: keine.

Das Auftauchen dieser Chats markiert einen Wendepunkt: Was hat Kurz vorzuweisen, wenn sich das Versprechen, die Politik umzukrempeln und ein neues System aufzubauen, das auf Leistung und nicht auf Bekanntschaften fußt, als billiger Gag erweist? Da bleibt nicht viel über. Die harte Linie gegen Ausländer greift gerade nicht, es gibt keine Migrationsströme abzuwehren und keine Routen zu schließen. Ersatzweise muss gerade die EU als Feindbild herhalten, das wird nicht aufgehen. Und das angepeilte Nulldefizit, ein Prestigeprojekt, ist längst von der Pandemie hinweggespült.

Nicht einmal die türkis-grüne Koalition, die nach dem blauen Desaster als innovatives und zukunftsversprechendes Projekt gegolten hat, lässt sich noch verkaufen: Die Bekämpfung der Pandemie ist kein Ruhmesblatt, auch mit viel Wohlwollen lässt sich hier kein Erfolg herauskitzeln. Das Vertrauen zwischen Türkis und Grün ist mittlerweile zerrüttet, die Hackeln fliegen bereits tief.

Der Kanzler wurde gründlich entzaubert. Schadenfreude ist nicht angebracht. Es ist unser Kanzler, unsere Regierung: unsere Politik, unser System. Das ist schmerzhaft. (Michael Völker, 31.3.2021)