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Viele Paare erhoffen sich von der Polyamorie, neuen Schwung in ihre Beziehung zu bringen. Aber was, wenn einer plötzlich nicht mehr will?

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Als sie beginnen, andere Paare zu daten, sind sie knapp zehn Jahre in einer Beziehung. Einer schönen Beziehung, wie sie sagen. Sabine und Hannes haben viel gemeinsam: ihren Hang zum Philosophieren, ihre Abenteuerlust, ihre Geselligkeit. Sie klettern, gehen Skitouren, spielen Tennis, reisen gemeinsam durch Europa und haben einander auch nach einem Jahrzehnt noch viel zu sagen. Nur der Sex ist weniger geworden, die erste Verliebtheit abgeflaut. Das macht ihnen zu schaffen. Sie wissen, es muss sich etwas ändern – und beschließen, die Beziehung zu öffnen. Das soll neuen Schwung bringen.

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Über eine Internetbörse suchen sie Gleichgesinnte und treffen sich mit ihnen. Ein Paar gefällt ihnen besonders gut: Thomas und Nina. Er hat lange Haare, zu einem Zopf zusammengebunden, fährt Motorrad. Sie ist eine interessierte Zuhörerin, zurückhaltend und dadurch wohl so interessant. Es knistert zwischen den vieren, sie treffen sich immer häufiger. Zwischen den Treffen schreiben sie in einer Chatgruppe. "Es war schön mit euch!" oder "Wann können wir uns wiedersehen?". Sie planen einen gemeinsamen Urlaub in Griechenland.

Zu diesem Urlaub kommt es nicht mehr. Denn nach einem halben Jahr können Hannes und Nina nicht mehr richtig miteinander. Hannes liebt politische Diskussionen, aber Nina interessiert sich nicht für Politik und blockt jedes Mal ab. Ihr Hobby sind Filme, Hollywoodfilme, die Hannes gar nicht leiden kann. Typische Differenzen, die in einer jungen Partnerschaft früher oder später aufkommen. Und meistens dazu führen, dass beide sagen: Es passt einfach nicht, beenden wir es lieber.

Das wäre vielleicht auch bei Hannes und Nina so – wären da nicht noch Thomas und Sabine. Bei ihnen läuft es nämlich so richtig gut. Thomas verliebt sich in Sabines direkte, quirlige Art. Auch sie findet immer mehr Gefallen an ihm, fühlt sich geschmeichelt von seinen Komplimenten. Er beginnt, ihr Nachrichten zu schicken, von denen die anderen nichts mitbekommen. Er schreibt, dass er sie vermisst und bald wiedersehen will. Nina stört das nicht, als sie davon erfährt. Hannes hingegen will die Viererbeziehung sofort beenden. Aber er ist alleine damit.

Ohne Hannes

Was folgt, ist eine Beziehung ohne Hannes. Sabine, Thomas und Nina gründen eine neue Chatgruppe, zu dritt. Sie treffen sich weiterhin, nur ohne ihn. Für Hannes bedeutet das eine Achterbahnfahrt der Emotionen, Eifersucht, Enttäuschung, Hilflosigkeit. Und das beißende Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Seine Frau versteht ihn, will die Beziehung aber nicht beenden, dafür hat sie die anderen beiden zu lieb gewonnen.

Wie konnte es so weit kommen?

Natascha Ditha Berger ist Psychotherapeutin und spezialisiert auf das Thema Polyamorie. Sie sagt: "Leider ist es oft so, dass es zu Differenzen kommt. In polyamoren Beziehungen werden Unterschiede deutlich sichtbar, wenn es darum geht, was jeder Einzelne will." So, wie es bei Hannes und Sabine gelaufen ist, laufe es oft ab: Einer hat keine Lust mehr und will auch dem anderen die Außenbeziehung verbieten. Das sei aber nicht unbedingt richtig, meint Berger, "denn wenn Sabine den anderen Mann weiter treffen möchte, und Hannes verbietet ihr das, kann das auch deren Beziehung gefährden. Es kann sein, dass sie sich unter Druck gesetzt fühlt und sich früher oder später sogar trennt. Immerhin ist Sabine nicht Hannes' Eigentum."

Ein Fehler liege auch in mangelnder Absprache. In polyamoren Beziehungen, so Berger, brauche es vor allem eines: gute Kommunikation. Wichtig sei, schon vorab zu besprechen, was jeder erwartet. Und auch, was passiert, wenn einer nicht mehr will. "Vieles, das wir in Beziehungen tun, passiert unbewusst. Wir gehen, auch durch unsere kulturelle Prägung, automatisch von manchen Dingen aus. Dass zum Beispiel eine Viererbeziehung zu Ende ist, wenn einer sich trennen möchte. Aber bei polyamoren Beziehungen muss vieles neu ausverhandelt werden, weil sie komplexer sind." Verständnis füreinander ist dabei entscheidend. "Denn es kommen Themen auf, von denen man gar nicht gewusst hat, dass sie ein Thema sind. Sie sind plötzlich da, und man muss damit umgehen."

Wer eine polyamore Beziehung führt, der lerne viel über sich, über seine Stärken und Schwächen, sagt die Psychotherapeutin. Das ist für sie auch das Schöne daran. "Polyamorie ist die beste Selbsterfahrung." Wer mit mehreren Menschen in einer Beziehung ist, bekommt permanent den Spiegel vorgehalten. So treten Eigenschaften zutage, die man zuvor noch nicht an sich kannte, positive wie Aufgeschlossenheit, aber auch negative wie Unsicherheit, die dann zur Eifersucht führen kann. Damit gelte es sich auseinanderzusetzen, sagt Berger. Denn wer polyamor lebt, der muss damit rechnen, dass er es früher oder später mit der Eifersucht zu tun bekommt.

Wichtig sei, sich vorher klarzuwerden, ob man das wirklich möchte. "Nicht jeder ist für eine Poly-Beziehung geschaffen", sagt Berger. Entscheidet man sich dafür, sollte man sich für schwierige Situationen wappnen. "Wenn ich weiß, dass mein Partner oder meine Partnerin auf einem Date ist, und ich sitze daheim und drehe Däumchen, dann ist es völlig klar, dass es mir nicht gut geht", sagt die Psychotherapeutin. Ihr Tipp: sich zu überlegen, was man tun kann, damit man sich trotzdem wohlfühlt, Stichwort Selbstfürsorge. Wie bei jeder anderen Liebesbeziehung sei es wichtig zu verstehen, dass man selbst dafür verantwortlich ist, seine eigenen Bedürfnisse zu erfüllen – und nicht die Partnerin oder der Partner.

Das Ende der Geschichte

Dass Viererbeziehungen, wie sie Hannes und Sabine eingingen, über einen längeren Zeitraum funktionieren, sei übrigens äußerst selten. Dafür gibt es eine logische Erklärung: "Es ist so schon relativ kompliziert, jemanden zu finden, mit dem es passt. Wenn ein Paar mit einem anderen über längere Zeit eine Beziehung führen will, wird es umso komplizierter."

Wie es bei den vieren weiterging? Thomas, Nina und Sabine trafen einander weiterhin. Bis Thomas anfing, gegen Hannes zu wettern. Er sei nicht gut für Sabine, ein schlechter Mensch. Ihr war das nicht recht – und sie beendete die Beziehung. Hannes und Sabine sind bis heute zusammen. Sie treffen sich weiterhin mit Paaren. Aber nur für einen Abend oder für ein Wochenende. Eine weitere Beziehung eingehen, das möchten sie nicht mehr. Sie bleiben lieber zu zweit. (Lisa Breit, 17.4.2021)