Zwei Brüder sind angeklagt, da sie aus eher unerfindlichen Gründen vier Kontrahenten mit einer Waffe bedroht haben sollen. Erklären können sich die Unbescholtenen ihre Tat eigentlich nicht.

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Wien – Richterin Alexandra Skrdla ist ratlos. "Was reitet einen da? Ich versteh es nicht", sagt sie zu den Brüdern J., 21 und 17 Jahre alt, die mit einer Anklage wegen versuchter schwerer Nötigung vor ihr sitzen. Das Duo soll am 28. Februar um 1.15 Uhr früh in ihrem Heimatbezirk Ottakring eine andere Gruppe junger Männer mit einer Gaspistole bedroht haben – warum, ist eigentlich unklar.

"Was machen Sie überhaupt um die Zeit im Auto? Ausgangsbeschränkungen im Lockdown sind wurscht, oder?", fragt Skrdla den geknickten 21-jährigen Erstangeklagten. "Wir waren auf dem Rückweg von meiner Freundin", gibt dieser zu. Rund zwei Minuten von der elterlichen Wohnung entfernt, entdeckten die beiden vier Männer auf der Straße. "Die waren laut, betrunken und wollten sich untereinander prügeln", erklärt der Erstangeklagte dazu.

"Verpisst euch, meine Mutter schläft!"

Er stoppte seinen Wagen, forderte die andere Gruppe auf, leiser zu sein, und kündigte an: "Ich fahr jetzt noch eine Runde um den Block, wenn ich wieder zurückkomme, seid ihr weg!" Waren sie nicht. Daher stieg das Brüderpaar aus und wurde deutlicher. "Verpisst euch, meine Mutter schläft", forderte der Erstangeklagte. "Warum sagen Sie das? Ihre Mutter wohnt ja gar nicht dort?", wundert sich Skrdla. Der ältere J. kann dazu nur sagen, dass es dumm gewesen sei.

Der 21-Jährige Nordmazedonier hatte auch eine Gaspistole, Geburtstagsgeschenk eines Freundes, aus dem Handschuhfach genommen, repetierte sie vor den Kontrahenten und drohte auf der nächtlichen Straße: "Ihr habt noch nie mit Albanern zu tun gehabt, ihr Scheiß-Serben!" – "Können Sie nachvollziehen, dass sich die anderen fürchten, wenn sie eine Waffe sehen, und die Polizei rufen werden?", will die Richterin wissen. "Ja", zeigt der ebenso wie sein Bruder unbescholtene Arbeiter durchaus Empathie.

"An sich ruhige Typen"

Auch Verteidiger Mirsad Musliu weiß nicht genau, was seine Mandanten angetrieben hat. "Sie sind an sich ruhige Typen", erklärt er, seien bisher noch nie mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Für den Jüngeren, der die Waffe erst bemerkt haben will, als sein Bruder sie lud, regt Musliu eine diversionelle Erledigung an.

"Warum sind Sie ausgestiegen?", will Skrdla noch vom zweitangeklagten Schüler wissen. "Ich bereue es, aber ich wollte dabei sein", sagt der Teenager nun mit hängendem Kopf. "Warum sind Sie und Ihr Bruder in diese Situation gekommen?", bohrt die Staatsanwältin nach. "Ich weiß es wirklich nicht", kann der Zweitangeklagte nicht weiterhelfen.

"Wie dumm kann man sein?"

"Als ich den Akt gelesen habe, habe ich mir gedacht 'Wie dumm kann man sein?'", verrät die Richterin noch. Dann entscheidet sie sich bei beiden Angeklagten für eine Diversion. Der jüngere Bruder muss innerhalb von sechs Monaten 80 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Dem Älteren erlegt sie eine Geldbuße von 1.000 Euro auf. "Ich sehe den Sinn nicht, Ihnen mindestens zwölf Monate Freiheitsstrafe umzuhängen, die im Strafregister aufscheinen, damit Sie dann vielleicht den Job verlieren und wieder jemand im Sozialsystem landet, der bisher brav gearbeitet hat", erklärt Skrdla. Die Geldbuße sei eine spürbarere Sanktion, ist sie überzeugt.

Während die Angeklagten das Angebot dankbar und demütig annehmen, gibt die Staatsanwältin keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 1.4.2021)