Hat zehn Jahre lang ihre Karriere unter der Vormundschaft ihres Vaters bestritten: Britney Spears.

Foto: Felicia Culotta

Jamie raus! Die Rollen scheinen klar verteilt. Jedenfalls für die Fans, die sich vor dem Gerichtsgebäude in Los Angeles einfinden, wenn Popstar Britney Spears gegen die Vormundschaft ankämpft, mit der ihr Vater Jamie ihre Karriere und ihr Leben kontrolliert. Auf Postern finden sich auch kryptischere Botschaften als der Hashtag "#FreeBritney" der gleichnamigen, 2019 von Fans ins Leben gerufenen Bewegung. "Hybrid business model" etwa spielt auf den verräterischen Begriff an, den Co-Vormund Andrew Wallet gebrauchte, als er eine Gehaltserhöhung forderte: Vormundschaft als erfolgreiches Geschäftsmodell.

Entschuldigung nach Doku

Der zur Fanbewegung gewordene Streit um die Vormundschaft bildet die erzählerische Klammer von Samantha Starks bisweilen beklemmender Dokumentation Framing Britney Spears. Der unter der Flagge der New York Times produzierte Film brach bei seiner Premiere Anfang Februar in den USA Zuschauerrekorde und hat zu einer Reihe von Entschuldigungen bei Spears, unter anderem auch von Ex-Freund Justin Timberlake, geführt. Ab Ostermontag ist die Doku nun auch offiziell im deutschsprachigen Raum auf Amazon Prime abrufbar.

Framing Britney Spears bietet in 75 Minuten wenig Neues, aber eine kompakte, wenn auch journalistisch nicht immer ausgegorene Zusammenfassung zum aktuellen Stand der Spears-Saga. So konnte auch die New York Times jene ursprünglich von einem Fanpodcast veröffentlichte Nachricht nicht verifizieren, die die "#FreeBritney-Bewegung" erst richtig ins Rollen brachte: Ein Anrufer, der sich als Anwaltsgehilfe ausgab, hatte behauptet, Spears sei gegen ihren Willen in die Psychiatrie eingeliefert worden.

Im Schnelldurchlauf geht es durch die Karriere von Spears – nicht ohne von Anfang an Fragen nach Selbstbestimmung und den Zumutungen durch andere aufzuwerfen. Als die aus einer Kleinstadt in Louisiana im Herzen des Bible-Belts stammende Sängerin als Zehnjährige einen stimmgewaltigen Auftritt in der Show Star Search hinlegt, wird sie vom ältlichen Moderator auf irritierende Weise nach einem Freund gefragt. Ein erster unangenehmer Vorgeschmack auf Fragen im gleißenden Scheinwerferlicht nach ihren Brüsten, ihrer Jungfräulichkeit, die bald folgen werden.

Legitime Notwehr

Als Spears Ende der 1990er-Jahre in die Ära der Boygroups platzt und zum Superstar aufsteigt, bietet sie eine Projektionsfläche zwischen Unschuld und Sexiness. Aufnahmen von Proben zeigen, wie sie die Zügel in der Hand hält: "Ich bin keine Diva, aber ich weiß, was ich will."

Fast alles, was abseits der Bühne folgt, die Beziehung mit Justin Timberlake, die Ehen, das Kind beim Autofahren auf dem Schoß, kommt unter das Brennglas der Boulevardpresse. Oder, wie der Fotodirektor von US Weekly anmerkt: "Was die Leute am meisten faszinierte, war ihr Zerfall!" Angesichts der in der Doku geballten Blitzlichtgewitter kommt man nicht umhin, selbst in Spears' vielpublizierter Glatzenrasur und ihrer Regenschirmattacke auf Paparazzi legitime Notwehr zu sehen.

World of Trailers

Der Vater wird die längste Zeit in der Rolle des Abwesenden präsentiert, der einmal zu einer Managerin gesagt haben soll: "Meine Tochter wird so reich sein, dass sie mir ein Boot kauft." Erst 2008, auf dem Tiefpunkt, als Britney Spears in Quizshows als Ziel schmerzhafter Witze herhalten muss, tritt er in der Filmerzählung wieder auf den Plan: als Vormund, der die Karriere seiner Tochter und die dazugehörige mustergültige Marke zehn Jahre weitertreibt. Bis sich die Sängerin 2019 zurückzieht und schließlich erklärt, ihre Karriere erst fortzusetzen, wenn ein anderer Vormund installiert wird.

An die Stelle des Boulevards sind die sozialen Medien getreten. Fans durchforsten jeden Instagram-Post der Sängerin nach versteckten Botschaften. Dass ihre Herangehensweise nicht unähnlich jener von Verschwörungstheoretikern ist, gesteht auch eine #FreeBritney-Aktivistin in der Doku ein. Spears selbst hat auf Instagram mittlerweile zumindest erklärt, dass sie Teile des Films gesehen, sich dafür geschämt und danach zwei Wochen geweint habe. Der Vater beteuerte indessen über Anwälte in TV-Interviews seine besten Absichten. Die nächste Anhörung ist für 27. April angesetzt.

Toxische Celebrity-Kultur

Ohne die Beteiligung von Spears und ihrem inneren Zirkel mag das Bild, das die Interviewpartner in Framing Britney Spears liefern, unvollständig und einseitig bleiben. Von einer eindeutig toxischen Celebrity-Kultur zeugt das kompilierte Archivmaterial. Man könnte es auch mit dem nicht für seine Zurückhaltung bekannten Filmemacher Michael Moore, halten, der über Spears sagt: "Warum lassen wir sie nicht einfach in Ruhe?" (Karl Gedlicka, 2.4.2021)