An wen wendet man sich als rechte Hand des Finanzministers, wenn unabhängige Ermittler im Ministerium auftauchen? Im Fall von Clemens-Wolfgang Niedrist, Kabinettschef von Gernot Blümel, ist die Antwort eine verstörende. Denn eigentlich müsste man meinen, dass die Expertise von Blümels Anwalt oder die Rechtsansicht der hauseigenen Juristen genügen würde. Aber Niedrist kontaktierte den mächtigen Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek, der mit den Ermittlungen formell rein gar nichts zu tun hatte.

Pilnacek reagierte empört auf die Nachricht aus dem Finanzministerium – aber nicht, weil er durch seine Involvierung in eine unangenehme Lage gebracht wurde, sondern weil ihn die unabhängigen Ermittlungen seiner Kolleginnen und Kollegen so aufregten. "Das ist ein Putsch!!", antwortete der Sektionschef und riet, Beschwerde einzulegen. Außerdem fragte er, wer "Gernot für die Einvernahme vorbereitet".

Die Chatnachrichten lassen Schlimmes befürchten. Schon seit Jahren warf die jeweilige Opposition Pilnacek vor, Verfahren widerrechtlich zu beeinflussen. Es gab dafür zwar Hinweise, aber keine Beweise. Als Chef der Sektion für Strafsachen war Pilnacek in einer Situation, in der er es kaum jemandem recht machen konnte. Deshalb war es angebracht, den Vorwürfen gegen Pilnacek skeptisch gegenüberzustehen. Doch in den vergangenen Monaten tat sich endgültig ein Bild auf, das Pilnaceks Handlungen in ein schiefes Licht rückt.

Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP)
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Verdachtsmomente

Die merkwürdigen Chats mit Blümels Kabinettschef sind nämlich beileibe nicht die einzigen Verdachtsmomente. Sie wurden ja nur gefunden, weil dem mittlerweile suspendierten Sektionschef vorgeworfen wird, eine Hausdurchsuchung vorab verraten zu haben – es gilt die Unschuldsvermutung. Dazu kommen zwei Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Innsbruck, in denen es um fragwürdige Weisungen und Falschaussagen vor dem U-Ausschuss geht.

Sichtbar wird ein breites Netzwerk, das sich über mehrere Ministerien spannt. Dass der Disziplinarsenat, bestehend aus einem Vertreter der ÖVP-nahen Gewerkschaft und zwei Spitzenbeamten der Justiz, sich gegen Pilnaceks Suspendierung aussprach, ist angesichts der Chatinhalte verstörend. Dass Blümels Kabinettschef sich an Pilnacek wandte, obwohl Chats zwischen den beiden bereits zuvor Alarm bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft ausgelöst hatten, ist ungeheuerlich.

Es sind immer wieder dieselben Akteure, ob in den Chats zur Staatsholding Öbag, in der Causa Blümel oder jetzt in der Justizaffäre. ÖVP-nahe Spitzenbeamte und türkise Politiker agieren, als würden ihnen die Institutionen dieser Republik gehören. Es wirkt, als ob sie ihre Kompetenzen – ob im Bereich der Ermittlungen oder bei Postenbesetzungen – primär dazu nutzten, ihrem eigenen Netzwerk und sich selbst zu dienen.

Gerechtigkeit und Anstand dürften Fremdworte sein. Dass beim Halali auf unabhängige Ermittler, die all das auf decken wollen, auch der wohl mächtigste Beamte im Justizministerium mitmacht, verschärft die Staatskrise, in die Österreich langsam schlittert. Das größte Problem ist, dass den Verantwortlichen nicht einmal klar zu sein scheint, wie verheerend sich ihr Verhalten auswirkt: auf das Funktionieren des Staates, auf das Vertrauen der Bürger in ihn. Man zittert, was da noch kommen mag. (Fabian Schmid, 1.4.2021)